Eine märchenhafte Zeit
Das „Mulla-Regime“ liegt im Trend: Märchen-Zeit ist angezeigt! Das Sommermärchen bescherten uns die Fußballer, die Handballer das Wintermärchen – dazwischen erzählte uns das „Mulla-Regime“ das „Reform-Märchen“. Der „Stern“ formulierte das jüngst so: „Es war einmal eine Reform. Die wurde als das ganz große Ding angekündigt ... Formal haben es die Regierungsfraktionen eingebracht. Das ist ein schlechter Witz. In Wahrheit stammt es vom ‘Mulla-Regime’. So wird das Duo Merkel und Ulla Schmidt spöttisch genannt, das die Reform mithilfe von Kungel-Runden ausgeheckt hat. Den Rest haben die Beamten im Gesundheitsministerium erledigt.“
Und der „Spiegel“ nannte den Grund für die Märchenstund’: „Seit den Beteiligten vor Monaten klar wurde, dass sich das Unionskonzept für eine Gesundheitsprämie und die SPD-Idee einer Bürgerversicherung nicht in Einklang bringen lassen, sollte vor allem ein Image-Schaden für Bundeskanzlerin Merkel und Gesundheitsministerin Schmidt abgewendet werden. Es galt, sich zu einigen. Worauf auch immer.“
Kritiker, die noch hofften, die öffentlich bereits als „Missgeburt“ (so der Experte Bert Rürup) erkannte Reform werde zum Nachdenken und zur Umkehr zwingen, wurden daher Zeugen eines unglaublichen Geschachers. Wie auf einem levantinischen Teppich-Basar wurde die überfällige Freigabe der Kostenerstattung gegen eine scheinbare Abschwächung der Übergriffe auf die privaten Krankenversicherer verhökert. Dabei ist der von den C-Parteien beabsichtigte Tausch der Kostenerstattung für die Verschiebung des Basistarifes auf das Jahr 2009 eine schlichte Milchmädchenrechnung. Denn mit dem schon ab 1. Juli 2007 dem bisherigen Standardtarif übergestülpten Zugangsrecht und der Versicherungspflicht für bisher Nichtversicherte greift die unselige Verquickung von PKV und GKV bereits dieses Jahr.
Ärzten wie Patienten bleibt die Erkenntnis, dass künftig PKV-Standardtarif-Versicherte, ab 2009 dann auch die offiziell als Basistarif-Versicherte bezeichneten Bürger, dem System weniger wert sind als diejenigen, die heute als Sozialhilfeempfänger in unsere Praxen kommen. Konflikte sind vorprogrammiert. Hier noch von Zwei-Klassen-Medizin zu reden, ist schon eher beschönigend. Und Sicherstellungsauftrag auch hier hin oder her – künftig gilt mit Begrenzung auf den 2,0-fachen GOZ-Satz: Zumeist erhalten die Standard- und später Basistarifversicherten dann nur die Sparversion der Sparversion. So geht es steil bergab. Und mancher ehedem privat Vollversicherte wird dann wohl rutschen. Vom Penthouse in den Kohlenkeller.
Von den großen Zielen im Koalitionsvertrag blieben nur kümmerliche Reste übrig. Von „Durchbruch“ (Angela Merkel) oder gar „Paradigmenwechsel“ (Kurt Beck) keine Spur. Zur Erinnerung: Versprochen war ein richtiger „fliegender Teppich“, eine Reform, die nachhaltig über die Anpassungsprobleme durch rückgängige Beschäftigung und gesellschaftliche Überalterung hinweg hilft. Jetzt wurde Ramsch geliefert. Nichts mit Senkung der Lohnnebenkosten, nichts mit Stabilisierung der Beiträge. Dafür weiterhin Finanzierung nach Kassenlage und als Sahnehäubchen eine Superbürokratie.
Abgelenkt durch eine Unmenge von Änderungsanträgen blieb selbst die Masse der Bundestagsabgeordneten bis fast zum Schluss in Unkenntnis über die tatsächlichen Inhalte des Paketes, das den Wählern als notwendiger Kompromiss zur Rettung des Gesundheitswesens verkauft wird. Selbst die Gesundheitsexperten der Koalitionsfraktionen muckten auf: In der Arbeitsgruppe Gesundheit lehnten so viele Mitglieder die „Reform“ ab, dass die Stellvertreter die Koalitionswelt sichern mussten. Der „Stern“ befand: „Es gilt die simple Gleichung: Je mehr Ahnung, desto größer die Ablehnung.“ Was Gesetz wird, bestimmt die Räson der Koalitionsspitze.
Alles deutet darauf hin, dass sich Deutschland mit dem jetzt verabschiedeten Flickenteppich abfinden muss. Einzige Gewissheit: Dieser Murks erfordert unweigerlich die nächste Reform. Und dann wird sich zeigen, ob Polit-Levante und Koalitionsräson erneut fröhliche Urständ feiern. Bis dahin bleibt es beim Märchen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Jürgen FedderwitzVorsitzender der KZBV