TIN – Steueridentifikationsnummer

Big Brother Fiskus is watching you

Ab 1. Juli 2007 bekommt jeder Bürger Deutschlands eine Steueridentifikationsnummer zugeteilt. Die Absicht dahinter: Mehr Transparenz und effizientere Verwaltung verspricht sich der Gesetzgeber davon. Mehr Kontrolle befürchten die Skeptiker.

Die hellseherischen Fähigkeiten des britischen Schriftstellers George Orwell stellt wohl kaum mehr jemand in Frage. In seinem Roman „1984“ zeichnete er ein düsteres Bild von der totalen Überwachung des Menschen durch den Staat. Was er vor 60 Jahren fantasievoll beschrieben hat, scheint nun Wirklichkeit zu werden. Am 1. Juli 2007 bekommt jeder Bürger eine Steueridentifikationsnummer zugeteilt. Die TIN (Tax Identification Number) begleitet jeden ein Leben lang und wird erst 20 Jahre nach seinem Tod gelöscht. Damit verschafft sich der Staat die Möglichkeit, seine Bürger zu überwachen. Lückenlos.

Wie der Gesetzgeber bereits seit zehn Jahren darauf hinarbeitet, zeigt die Chronik:

• Seit1997müssen Sparer ihren Banken Freistellungsaufträge erteilen, deren Inhalt die Institute an die Finanzämter weitergeben. Damit hat sich der Fiskus Einblick in die Zins- und später auch in die Dividendenerträge verschafft.

2001unterzeichneten die EU-Staaten ein Rechtshilfeabkommen in Straf- und in Steuerstrafsachen.

• Seit2003sind alle Kreditinstitute verpflichtet, die Kontenstammdaten ihrer Kunden an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen zu melden. Die BaFin darf bei Strafverfolgung darauf zurückgreifen.

• Seit2004erstellen die Banken für ihre Kunden Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzanlagen. Bei der Steuererklärung muss jeder das Papier auf Verlangen des Finanzbeamten vorlegen.

• Ein gutes Jahr lang haben Steuersünder Zeit, verschwiegene Kapitalerträge nachzumelden. Gegen Zahlung einer Pauschalsteuer gehen sie straffrei aus.

2005erhalten die Finanzämter Zugriff auf die bei der BaFin gespeicherten Kontendaten. Der Fiskus fragt diese auch im Auftrag der Sozial- und der Bafög-Ämter ab.

Drei Monate später beginnt die grenzüberschreitende Zinsbesteuerung innerhalb der EU. Die Länder tauschen Kontrollmitteilungen über Zinserträge ihrer Bürger aus. Nur Luxemburg, Österreich und Belgien erheben wie die Schweiz und Liechtenstein eine pauschale Quellensteuer.

• Innerhalb der gesamten EU regelt ab Februar2006ein Protokoll die Zusammenarbeit in Strafsachen. Auf Antrag geben die Banken bei Steuerstrafsachen umfangreiche Kontendaten heraus, wenn die Tat in beiden Staaten unter Strafe steht.

• Seit Anfang des Jahres2007gilt für Überweisungen, dass Name, Anschrift und Kontonummer des Auftraggebers vermerkt sein müssen. Überweisungen von mehr als 1 000 Euro werden von den Banken dokumentiert und fünf Jahre lang gespeichert. Sie sind angehalten, verdächtige Transaktionen an die zuständigen Behörden zu melden.

• Ab 1. Juni 2007 muss jeder Bürger an der Grenze Bargeld ab 10 000 Euro unaufgefordert deklarieren. Das gilt auch für Schecks, Sparbücher, Edelmetalle oder andere Wertsachen.

Und einen Monat später kommt die TIN, Juli 2007. Bis dahin haben alle 5 500 deutschen Meldebehörden dem Bundeszentralamt für Steuern Daten über jeden der 82 Millionen Steuerpflichtigen zukommen lassen. Daraus ergibt sich die elfstellige TIN, die die alte Steuernummer ablösen wird.

Das Bundeszentralamt gibt die neue Nummer an die Meldebehörden und an die Bürger weiter. Jeder Bürger meldet seine Nummer an die Rentenversicherung – egal ob gesetzlich oder privat. Dem Informationsaustausch unter den Behörden steht demnach nichts mehr im Wege. So dürfen die Rentenversicherungen dem Finanzamt die Höhe der Renten mitteilen. Die Sozialbehörden können auf direktem Wege mit dem Finanzamt abstimmen, ob irgendwo Leistungsmissbrauch vorliegt oder ob etwa ein Selbständiger Wohngeld kassiert, obwohl er genug verdient. Ein besonderes Augenmerk hat der Fiskus auf den Umsatzsteuerbetrug. So haben sich häufig Scheinfirmen registrieren lassen, um üppige Umsatzsteuerüberschüsse zu kassieren.

Kritiker befürchten allerdings, dass in wenigen Jahren auch andere Behörden, wie etwa die Krankenkassen, sich mithilfe der TIN Informationen über ihre Mitglieder verschaffen. Das System erinnert an die amerikanische Social Security Number. Mit ihrer Hilfe bekommt der Fiskus nahezu unbegrenzte Einsicht in die Kontobewegungen und Kreditkartenabrechnungen. Den Behörden hierzulande erlaubt die TIN die digitale Bearbeitung der Verwaltungsvorgänge und erleichtert die Suche nach unversteuerten Einnahmen.

So sollten Rentner mit einer schärferen Kontrolle rechnen. Bereits seit 2005 werden alle Rentenzahlungen an die Zentralstelle gemeldet. Das gilt auch für private Rentenversicherungen und berufsständische Versorgungsleistungen, zum Beispiel die der Zahnärzte. Rentner, die mehr als den Grundfreibetrag von 7 664 Euro beziehen, müssen dann auch Steuern auf Mietund Zinseinnahmen zahlen. Eltern, deren Kinder Bafög bekommen, können sich darauf einstellen, dass ihre Vermögensverhältnisse genau überprüft werden. Auch die Konten der Kinder werden auf versteckte Geldbeträge hin untersucht. Überschreitet das Einkommen der Familie die vorgeschriebenen Grenzen, verlangt der Staat die Unterstützung für den Studenten zurück.

Meldet sich angesichts des drohenden Ungemachs bei dem einen oder anderen Anleger das schlechte Gewissen, bietet ihm der Fiskus wohlwollende Unterstützung an. Reumütige Sünder, die Selbstanzeige erstatten, gehen straffrei aus. Vorausgesetzt, sie zahlen die hinterzogenen Steuern nach, plus einen Aufschlag von sechs Prozent Hinterziehungszinsen pro Jahr. Stößt der Finanzbeamte bei der Kontrolle der Steuererklärung selbst auf Ungereimtheiten und fragt, ob vielleicht noch ein anderes Konto existiert oder fordert weitere Unterlagen an, besteht noch eine Chance für die säumigen Steuerzahler: Können sie die gewünschten Informationen beschaffen, gehen sie vielleicht noch komplett straffrei aus.

Wer ein großes Vermögen nicht völlig mit dem deutschen Fiskus teilen wollte oder will, fand und findet auch heute noch Plätze, an denen er sein Geld steuergünstig anlegen kann. Eine relativ nahe gelegene Oase für viele Deutsche ist immer noch das Kleinwalsertal in Österreich. Die dortigen Banken halten Produkte bereit, mit denen sich die Quellensteuer legal umgehen lässt. Aber auch in Belgien und Luxemburg sowie in der Schweiz und in Liechtenstein warten die Profis in den Geldinstituten auf ihre ausländische Kundschaft. Steuersparer, die eine möglichst große Distanz zwischen dem heimischen Finanzamt und ihrem Vermögen wahren wollen, entscheiden sich für die Cayman Islands, Bahamas, Singapur oder ähnlich exotische Ziele. Aber vielleicht streckt Big Brother ja bald seine Fühler auch über die Weltmeere aus.

Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de

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