Die Achterbahn der Börse
8 131 Punkte – diesen Höchststand der letzten Jahre erreichte der Dax, Deutschlands wichtigster Aktienindex, am Donnerstag, den 21. Juni 2007. Doch statt in Jubel auszubrechen, zuckten die meisten Börsianer nur mit den Schultern. Sie hatten mehr erwartet. Im Raum stand die 8 136, der absolute Höchststand des Leitindex seit seinem Bestehen. Dieser bis dato nicht mehr erreichte Höhenflug fand im März 2000 statt und ist den Anlegern in keiner guten Erinnerung: Von da an ging’s bergab, am 12. März 2003 war der Tiefststand von 2 203 Punkten erreicht. Die Menschen mieden die Aktien wie die Pest.
Konjunktur als Motor für die Kurse
Erst seit die Konjunktur auch in Deutschland wieder angezogen hat, erfreuen sich die Anteilsscheine erneut großer Beliebtheit. Die Kurse der 30 größten Aktiengesellschaften im Lande legten in den vergangenen vier Jahren rund 250 Prozent zu. Manche, wie die Commerzbank, erzielten sogar das 7,5-fache. Doch für alle Anleger, die hofften, noch auf den fahrenden Zug aufspringen zu können, war Mitte Juni Schluss, der Dax fiel wieder unter die magische 8 000-Punkte-Grenze und seitdem (bis Redaktionsschluss 29. Juni 2007) schwankt er. Der Fachmann geht von einem volatilen Markt für den Rest des Sommers aus. Er wundert sich nicht über die Capricen der Börse; nach starken Kursanstiegen kommt es fast immer zu Korrekturen.
Läuft und läuft …
Mit steigenden Kursen dürfte in nächster Zeit nicht zu rechnen sein. Mit tiefen Einbrüchen allerdings auch nicht, dafür sind die Bedingungen einfach zu gut. Die Konjunktur in Europa läuft, und das wird wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre so bleiben. Ein Zyklus dauert üblicherweise zirka acht bis zehn Jahre – bleibt ein Rest von drei oder vier Jahren. Vor allem scheint sich die deutsche Aufwärtsbewegung vom Export gelöst zu haben. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Konsumausgaben steigen, selbst die Erhöhung der Mehrwertsteuer scheinen die Verbraucher zu verschmerzen.
Aus den USA kommen ebenfalls relativ gute Nachrichten. Mit viel Bangen beobachten die Anleger die Entwicklung der Konjunktur und der Zinsen an der Wall-Street, doch die Wirtschaft dort entwickelt sich bislang im grünen Bereich, wenngleich das Platzen der Immobilienblase wie ein Damoklesschwert darüber hängt.
Jedenfalls planen die Amerikaner für den Sommer keine weitere Zinserhöhung. Im Gegensatz dazu dämpft die Anhebung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank die Aktienkurse: Steigen die Zinsen, fallen die Kurse – so die alte Börsenweisheit. Experten rechnen mit einer Anhebung bis auf 4,5 Prozent. Die Amerikaner werden zwar nicht weiter erhöhen, aber wohl auch nicht senken. Hier wie drüben lautet die Begründung: Es lauert die Gefahr einer Inflation.
Experten befürchten zwar, dass die höheren Zinsen die Gewinne der Unternehmen schmälern könnten, weil die Investitionskredite sich verteuern, doch werden in Deutschland die sinkenden Unternehmenssteuern im nächsten Jahr zu einer Kostenentlastung von rund fünf Milliarden Euro führen. Kommt es darüber hinaus noch zu einer Einigung bei der geplanten Entlastung bei den Sozialversicherungsabgaben, rechnen sie mit einem ähnlichen Effekt.
Ein weiteres Indiz, dass für eine weitere Aufwärtsbewegung der Börse spricht, ist das niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Derzeit liegt es bei 14 für die Dax-Werte; zu den Euphorie-Zeiten im Jahr 2000, kurz vor dem Absturz, zahlten die Anleger noch das 30-fache der Unternehmensgewinne.
Bis jetzt gibt es noch viele private und institutionelle Anleger – unter anderem Versicherungen – die sich immer noch nicht mit Aktien eingedeckt haben. Für sie bieten sich angesichts der Kurskorrekturen neue Gelegenheiten, noch relativ günstig einzusteigen.
Die Anzeichen für auf und ab
Mit einem Ende der Schwankungen rechnen die Profis nicht vor Ende des Sommers. Für Anleger wird es deshalb schwierig, zu entscheiden, ob sie jetzt verkaufen oder nach einer Korrektur kaufen sollen. Mut zur Entscheidung gehört derzeit sicherlich dazu. Vielleicht will man ja auch abwarten und beobachten, wie sich die Bedingungen entwickeln.
Börsianer beziehen in ihre Entscheidungen die sogenannten Frühindikatoren mit ein. Die Börse nimmt wirtschaftliche Entwicklungen immer vorweg. Deshalb befragen Wirtschaftsinstitute regelmäßig die Manager der börsennotierten Unternehmen und fragen nach deren Einschätzung für die kommenden Monate. Wichtig für den Konsum ist beispielsweise die Zahl der Arbeitslosen. Sinkt sie, können die Menschen wieder mehr Geld für den Konsum ausgeben, Aktien von Einzelhandelsunternehmen, Autoherstellern und Ähnlichen steigen – und die Preise ebenfalls. Für die Zentralbanken ein Signal, die Zinsen heraufzusetzen – wie es derzeit der Fall ist. Börsianer rechnen mit Mehrausgaben der Unternehmen, wenn diese Investitionen finanzieren wollen. Gleichzeitig steigt die Attraktivität der Anleihen, sinkt das Interesse an Aktien. Die Anleger setzen dann auf festverzinsliche Papiere.
Zeit der Trennung
Zum Spiel an der Börse gehört es, auch zu verlieren. Selbst gewiefte Börsianer können sich irren. Private Anleger, die sich in den Markt begeben wollen, können mit bestimmten Techniken ihre Risiken begrenzen. Das einfachste Mittel, um auf der sicheren Seite zu bleiben, ist es, die Verluste so gut wie möglich zu begrenzen. Dieser Gedanke leuchtet zwar jedem Anleger ein, doch viele von ihnen halten an ihren Verlustpositionen fest, weil sie hoffen, dass der Kurs ihrer Aktien sich wieder drehen wird – was selten genug passiert. Profis empfehlen, die Verluste zu begrenzen, indem man schon beim Kauf der Aktie festlegt, ab welcher Höhe des Kursverlusts man sich von dem Papier trennen will. Als Instrument dient ihnen die Stop-Loss-Order. Dabei handelt es sich um einen limitierten Verkaufsauftrag. Die Bank erhält von ihrem Kunden die Anweisung, eine Aktie zu verkaufen, wenn deren Kurs eine bestimmte Untergrenze erreicht hat. In diesem Fall verkauft die Bank automatisch zum nächsten handelbaren Kurs. Der kann über oder unter der festgelegten Marke liegen. Im Börsenjargon heißt das „bestens“ verkaufen.
Damit das Papier aber auf keinen Fall an schwachen Börsentagen zum absoluten Tiefstkurs verschleudert wird, gibt der Anleger eine Stop-Limit-Order: Sie markiert die untere Grenze. Ist dieses Preislimit erreicht, wird die Order in das Auftragsbuch gestellt. Dann gilt die Aktie als verkauft, weitere Verluste werden vermieden.
Gerade Anfänger tun sich schwer darin, die Marken für den Stop-Loss-Kurs festzusetzen. Den richtigen Abstand zum aktuellen Kurs zu finden, will gelernt sein. Er hängt ab von dem eigenen Mut zum Risiko, der Schwankungsbreite des Kurses und den Bedingungen, die gerade am Markt herrschen. So kann es zum Beispiel passieren, dass der Kurs einer Aktie nur mal eben nach unten ausrutscht, um sich gleich wieder zu erholen. Wurde aber das genannte Limit erreicht, wird verkauft – und ein vielleicht chancenreiches Papier verschwindet aus dem Depot. Eine intensive Beschäftigung mit den Gegebenheiten und den Eigenschaften der Aktie sind also unbedingte Voraussetzung für die Festlegung der Marken.
Eigenregie für Sparsame
Damit im Verlustfall nicht auch die Bank dank der Limits zu viel Gebühren kassiert, überlegen sich Anleger genau, wann sie ein Limit setzen. Denn für jede Bewegung, die die Bank im Auftrag des Kunden ausführt, kassiert sie auch.
Sparsamer ist es natürlich, selbst die Kurse zu verfolgen und sich sozusagen im Geiste eine Untergrenze zu setzen, um selbst eine Verkaufsorder zu geben. Praktischer noch sind sogenannte Trailing-Stops. Sie funktionieren automatisch. Der Anleger gibt einen bestimmten Prozentsatz vor, um den der Kurs der Aktie steigen oder fallen darf.
Timing ist Nervensache
Fast so schwierig wie die Entscheidung, eine Aktie zu verkaufen, ist es, den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg zu finden. Eine allgemeine Empfehlung dafür gibt es nicht. Auf jeden Fall sollten angehende Börsianer sich intensiv mit dem Wunschpapier beschäftigt haben, also die wichtigsten Kennzahlen des Unternehmens und der Branche wissen. Erst wenn sie wirklich von der Aktie überzeugt sind, ist es Zeit für die Kauforder. Allzu langes Nachdenken über das richtige Timing für Kauf und Verkauf zahlt sich selten aus, das haben mehrere Studien ergeben. Nur selten schafft es ein Anleger, zum Tiefstkurs zu kaufen und das Papier zum Höchstkurs mit einer maximalen Rendite wieder abzustoßen. Wer hat schon die Nerven, tatsächlich antizyklisch zu kaufen, nämlich dann, wenn die Kurse am Boden liegen und nichts mehr geht? Zu diesem Zeitpunkt will niemand etwas von der Börse wissen. Und befinden sich die Aktionäre im Höhenrausch, weil die Kurse abheben, hat jeder Angst, zu früh auszusteigen. Und verpasst so den günstigsten Zeitpunkt.
Spiel mit dem Teufel
Wer an eine Aktie glaubt und die Bedingungen geprüft hat, kann beruhigt kaufen. Herrscht aber ein unsicheres Klima und sind die Kurse volatil, das heißt sie schwanken stark, sollte er erst einmal nur einen Teil des vorgesehenen Betrages investieren. Stabilisiert sich die Lage, kauft er nach – ausschließlich nur mit dem dafür vorgesehenen Kapital. Eine Finanzierung auf Kredit ist ein Spiel mit dem Teufel, auch wenn die Aussichten auf Rendite noch so gut sind. Viele Anleger haben noch den letzten Crash in trauriger Erinnerung. Sie haben sich von der maßlosen Euphorie anstecken lassen und die vermeintlich günstigen Investitionen auf Pump finanziert. Manche von ihnen knabbern jetzt noch an ihren Schulden von damals.
Derzeit kann aber von einem ungesunden Übermut nicht die Rede sein. Bis jetzt untermauern die Gewinne der Unternehmen die Entwicklung des Dax, wenngleich es nicht in diesem Tempo weitergehen wird.
Marlene Endruweitm.endruweit@netcologne.de