Ernährung in den ersten Lebensjahren

Du bist, was du isst

Schwangere, die Tsatsiki lieben, können davon ausgehen, dass auch ihr Kind Stammgast beim Griechen wird. Denn Geschmack und Duft der mütterlichen Leibgerichte sind Babys aus dem Fruchtwasser bekannt und werden meist gemocht. Die Reifung der Abwehrkräfte des kindlichen Organismus verläuft hingegen komplizierter. Auch hierbei fällt der Ernährung in Mutterleib und früher Kindheit eine entscheidende Rolle zu. Ihre positiven – und negativen – Folgen können sich noch Jahre später bemerkbar machen.

Auf einem Fachsymposium zu diesem Thema in Rom im November 2006 unterstrich der Münchner Stoffwechsel-Experte Prof. Dr. Berthold Koletzko diese Erkenntnis: „Die Ernährung in den kritischen Entwicklungsphasen der Gewebe und Organe vor und nach der Geburt hat einen enormen Einfluss auf die Prägung des Immunsystems.“

Der renommierte Kinder- und Jugendarzt aus dem von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte: „Durch die Interaktion mit der Nahrung gewöhnt sich das Kind an die Antigene, die sein Immunsystem zu tolerieren hat. Es wird mit Nährstoffen und anderen Faktoren versorgt, die zur Reifung der Abwehrkräfte nötig sind, und zudem mit Substanzen ausgestattet, die zum Aufbau einer gesunden und widerstandsfähigen Darmflora benötigt werden.“

Muttermilch ist am besten

Obwohl die heute angebotene Babynahrung eine sehr hohe Qualität erreicht hat und eine problemlose Ernährung aller Babys ermöglicht, ist der Wert der Muttermilch bis heute unerreicht geblieben, betont Koletzko. Sie enthält eine Reihe von Abwehrstoffen, die miteinander zusammenwirken und Infektionen und Entzündungen verhindern können. So ist das Risiko eines voll- oder teilgestillten Babys, an akuten Magen-Darm-Infekten zu erkranken, nicht nur in den Entwicklungsländern, sondern auch in westlichen Industrienationen etwa vier- bis fünfmal geringer als von Kindern, die ausschließlich Flaschennahrung bekommen haben.

Eine wichtige Rolle spielt dabei das sekretorische Immunglobulin A, ein Antikörper, der den Magen-Darm-Trakt wie ein Schutzanstrich auskleidet und dabei Fremdantigene und Bakterien bindet. Es gibt aber noch weitere immunologisch aktive Substanzen, die für starke antiinfektiöse und antiinflammatorische Effekte sorgen: So das wichtige Enzym Muttermilchlipase, Immunglobuline der Gruppen G, M und D, Fibronektin, langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren sowie Oligo- und Polysaccharide. Die Muttermilch versorgt das Kind auch mit wichtigen Immunzellen. Sie überträgt vor allem Makrophagen und neutrophile Granulozyten, die den niedrigen pH-Wert des Magens weitgehend intakt passieren und die im Dünndarm und zum Teil auch noch im Dickdarm eine antibakterielle Wirkung entfalten können.

Positive Langzeiteffekte

Vergleichende Studien über das relative Risiko von gestillten und nicht gestillten Kindern haben beeindruckende Unterschiede aufgedeckt. So wirkt sich die Ernährung eines Säuglings nicht nur unmittelbar, sondern auch langfristig auf das Immunsystem aus. „Ein bösartiger Lymphdrüsenkrebs tritt 1,5-fach häufiger auf, wenn Kinder nicht gestillt worden sind“, berichtete Koletzko in Rom. „Diabetes mellitus Typ I kommt bis zu viermal häufiger bei nicht gestillten Kindern vor; die chronisch-entzündliche Darmerkrankung Morbus Crohn tritt ebenfalls viermal häufiger bei nicht gestillten Kindern auf.“ Wer als Baby gestillt wurde, hat außerdem als Erwachsener niedrigere Cholesterinwerte und weniger Gefäßablagerungen und ist damit besser vor Herz- und Kreislauferkrankungen geschützt.

Als Beispiel für Langzeiteffekte der Ernährung in frühester Kindheit zog Koletzko die Situation in Gambia heran: „Dort gibt es in der Regenzeit zwischen Juli und Oktober, wenn die Vorräte aufgebraucht sind, wenig zu essen. Dann hungern auch die stillenden Mütter. Kinder, die in dieser Zeit geboren werden, bekommen zu wenige Kalorien und bleiben im Wachstum deutlich zurück.“ Die Unterschiede zu den Kindern, die während ihrer frühen Entwicklungsphase ausreichend versorgt würden, zeigten sich noch im Erwachsenenalter mit erschreckender Deutlichkeit, sagte der Münchner Experte: „Menschen, deren erste Lebenswochen und -monate in die Hungerperiode fallen, sterben mit 3,7-fach höherer Wahrscheinlichkeit früher. Ursache ist eine gehäufte Infektionsrate. Wir haben es also eindeutig mit einem Langzeiteffekt auf das Immunsystem zu tun.“

Widersprüche bei Allergien

Über den Einfluss des Stillens auf das spätere Allergierisiko eines Babys liefern internationale Studien etwas widersprüchliche Erkenntnisse. Normalerweise schützt Stillen vor so genannten atopischen Erkrankungen wie Neurodermitis. Es gibt allerdings auch Hinweise, dass eine deutlich über die empfohlenen sechs Monate hinaus verlängerte, ausschließliche Ernährung mit Muttermilch das Risiko einer Neurodermitis oder eines Asthmas für das Kind erhöhen kann – wenn die Mutter selbst Allergikerin ist oder unter Asthma leidet. Dazu Koletzko: „Offenbar ist die Schutzwirkung der Muttermilch gegenüber Allergien auch von genetischen Faktoren und Umweltbedingungen abhängig. Es gibt jedenfalls bessere Gründe, die fürs Stillen sprechen als die Allergieprävention.“

Übrigens bietet die möglichst späte Einführung von Beikost in den Speiseplan von Babys – wie sie von Ernährungsexperten seit vielen Jahren empfohlen wird – nach neueren Erkenntnissen keinen Schutz vor späteren Allergien. „Die Empfehlung ist überholt und hat keinen Nutzen, sie setzt nur die Mütter unnötig unter Druck“, so Koletzko. Fest steht: Für die Abwehrkräfte eines gesunden Babys ist der Wert des Stillens durch nichts zu überbieten. Trotz intensiver Forschungsarbeit ist es den Herstellern von Säuglingsnahrung noch nicht gelungen, die immunstärkenden Effekte der Muttermilch vollständig nachzuahmen. Sie versuchen aber seit einiger Zeit in verstärktem Maße, das Vorbild der Natur mit so genannten Pre- oder Probiotika zu imitieren. Der Grundgedanke dabei: Der zunächst keimfreie Darm des Babys wird beim Stillen mit der Bakterienflora der Mutter „geimpft“. Es siedeln sich schon in kurzer Zeit Millionen von gesundheitsfördernden Keimen an, zum Beispiel Bifidusbakterien und Lactobazillen. Um diese Inhaltsstoffe der Muttermilch nachzuahmen, gehen die Hersteller auf unterschiedlichen Wegen vor:

probiotisch

Dabei werden der Fläschchennahrung natürliche Bifidusbakterien und/oder Lactobazillen zugesetzt. Diese „Probiotika“ passieren unzerstört den Magen und siedeln sich in der Darmwand an, wo sie ihre nützliche Wirkung gegen Durchfall, Infekte oder Allergien entfalten.

prebiotisch

Prebiotika, zum Beispiel Galacto- und Oligosaccharide, sind Substanzen natürlichen Ursprungs. Sie dienen nützlichen Bakterien und anderen gesundheitsfördernden Mikroorganismen – wie etwa den Probiotika – im Darm als Nahrung und fördern dadurch das Wachstum von Bifidusbakterien und Lactobazillen. Bisher durchgeführte Studien scheinen die Wirksamkeit beider Vorgehensweisen zu bestätigen.

Lajos SchöneGerstäckerstr. 981827 München

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.