Hand aufs Herz: sind unsere Therapiekonzepte noch zeitgemäß
Veranstaltet von der blend-a-med-Forschung unter wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Thomas Hoffmann, Dresden, sowie Prof. Dr. Johannes Einwag, Stuttgart, war es das Ziel der zweitägigen Tagung in Dresden, dem Praktiker durch hochkarätige Referenten wesentliche Neuerungen vorzustellen und ihm zu zeigen, wie diese von kurzlebigen Trends zu unterscheiden sind. Führende Zahnmediziner aus Forschung und Praxis referierten und diskutierten unter anderem zu neuen Strategien in der Kariesprävention, „liebgewonnenen Mythen“ bisheriger Therapiekonzepte sowie neuen Behandlungsweisen der Periimplantitis. Parallel fand ein Praxisprogramm für zahnärztliche Mitarbeiterinnen statt, das Fortbildungen, zum Beispiel zum richtigen Umgang mit älteren Patienten, anbot. So stellte Prof. Dr. Thomas Hoffmann die „Parodontitis-, Infektions- oder Entzündungserkrankung“ vor. Immer deutlicher zeichnet sich mittlerweile ab, dass der Krankheitsverlauf von der Abwehrkraft des Patienten bestimmt wird. Sie wird beeinflusst durch genetische Faktoren, Allgemeinerkrankungen und Lebensgewohnheiten (wie Rauchen). Diese Risikofaktoren oder Risikoindikatoren lassen Vorhersagen über das Fortschreiten der Parodontitis zu. Wenn also ein hochaktives Abwehrverhalten des Immunsystems erkannt wird, könnte dies für die Früherkennung von Parodontitis bedeutend sein. Es ließen sich so auch Hinweise auf Allgemeinerkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Probleme finden. Es ist sogar vorstellbar, künftig durch gezielte Veränderungen der Immunabwehr frühzeitig den Verlauf einer Parodontitis positiv zu beeinflussen.
Individuelle Kariesfaktoren
Seit 1989 wird Karies als chemo-parasitäre Erkrankung charakterisiert. Während bislang das Hauptaugenmerk der Forschung auf einzelnen Mikroorganismen lag, werden heutzutage vermehrt individuelle Faktoren einschließlich genetischer Variablen untersucht, wie Prof. Dr. Thomas Attin, Zürich, diskutierte. Unter anderem werden Zahnstellung, Zahnform, Speichel und Immunsystem der Betroffenen in moderne Krankheitsmodelle mit einbezogen.
Welche wissenschaftlichen Fortschritte den Patienten künftig vor Karies schützen könnten, erläuterte Prof. Dr. Matthias Hannig, Homburg. Während bisher eine gute Mundhygiene, gesunde Ernährung und der Einsatz von Fluorid gegen Karies helfen sollten, wird der Zahn von morgen mit ganz neuen Methoden vor Keimattacken bewahrt. Unter dem Stichwort „biofilm engineering“ versuchen Forscher die Bildung von Zahnbelag zu verhindern. Dies könnte durch eine Immunisierung gegen das Karies auslösende Bakterium Streptococcus mutans geschehen. Ebenso im Gespräch ist der Austausch von Streptokokken gegen gentechnisch veränderte, weniger schädliche Bakterien oder die Reduktion von Plaque durch eine neuartige Anti-Haft-Beschichtung für Zähne.
Gegen frühe Kariesschäden und freiliegende Zahnhälse hält die Nano-Biotechnologie Abhilfe bereit. Neue Werkstoffe sollen Zahndefekte auffüllen oder „Neomineralisationsprozesse“ an der Zahnoberfläche einleiten. Die dabei neu entstehenden Apatit- Kristallite entsprechen weitestgehend den natürlichen Kristalliten in Zahnschmelz und Dentin.
Plaquefrei heißt nicht immer parodontal gesund
Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf, Würzburg, zeigte auf, dass, zahlreiche Studien zwar belegen, dass regelmäßige Mundhygiene die Zähne plaquefrei erhält und damit Zahnfleischentzündungen verhindert, neuere Untersuchungen diese Annahme jedoch widerlegen. Die Ursache parodontaler Erkrankungen liegt in einem gestörten Immunsystem des Mundraums. Anhand von Beispielen zeigte Schlagenhauf, dass bis zu einem gewissen Maß die mangelhafte Immunabwehr durch effektive Zahnpflege kompensiert werden kann.
Welchen Verlauf die Erkrankung aber nun nimmt, hängt sowohl von der Gefährlichkeit dieser Keime als auch von individuellen Risikofaktoren des Patienten ab, wie Dr. Barbara Noack und Dr. Steffen Richter, Dresden, vorstellten.
Für verkürzte Zahnreihen gibt es viele Behandlungsmöglichkeiten, so dass der Zahnarzt häufig schwierige Entscheidungen zu treffen hat, so Prof. Dr. Michael H. Walter, Dresden, am zweiten Kongresstag. Im Vordergrund sollte immer ein Gewinn an Gesundheit und Lebensqualität des Patienten stehen, wobei auch das persönliche Empfinden des Betroffenen eine Rolle spielt. Zahnreihen können einerseits vollständig mit Zahnersatz wiederhergestellt werden, andererseits stellen auch verkürzte Zahnreihen in der Praxis durchaus eine Lösung dar.
Implantate waren auch das Thema des Referats „Implantate und Prävention – ein Widerspruch?“ von Dr. Tobias Thalmair, Erlangen. Festsitzender Zahnersatz ist bei Patienten beliebt, denn er kann den Wunsch nach einem ästhetisch perfekten Gebiss am ehesten befriedigen. Kein Wunder also, dass die Anzahl der gesetzten Implantate ständig zunimmt. Nach zehn Jahren sind noch mehr als 95 Prozent in einem guten Zustand. Ursache für einen Implantationsmisserfolg ist meist eine Entzündung des umgebenden Gewebes, die Periimplantitis. Eine gewissenhafte Patientenauswahl, eine gute Vorbehandlung und angemessene Zahnpflege beugen dieser Erkrankung vor. Ob Parodontitispatienten größere Probleme mit Implantaten haben, wird noch kritisch diskutiert.
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Gängler, Witten, stellte die Frage „Viele bisherige Therapiekonzepte sind nicht mehr zeitgemäß!?”. „Anhand der Evolutionsbiologie von Kleinstlebewesen und vielzelligen Organismen zeigte der Referent, dass einige bislang als Dogmen geltende „Weisheiten“ doch sehr zweifelhaft sind. Auch der schlichte Blick in die Klinik offenbart fast täglich Ausnahmen von bislang festen Regeln. Biologische Grundlagen jedoch sind ein sicheres Fundament für erfolgreiche Diagnosen, Behandlungen und Nachsorge. Gängler enthüllte einige Mythen in der Zahnmedizin, die der heutigen Beweisführung nicht standhalten können.
Präventive Zahnheilkunde heute und morgen
Prof. Dr. Peter Eickholz, Frankfurt a.M., wagte einen Ausblick und stellte die Frage: „Präventive Zahnheilkunde heute und morgen – was können wir von der Zukunft erwarten?“. Theoretisch können Zähne durch entsprechende Vorsorge bis ins hohe Alter ihre Funktion behalten, Erkrankungen des Zahnhalteapparates können eingedämmt werden. Der demografische Wandel der Bevölkerung bedeutet für Zahnärzte ein Mehr an Vorbeugung von Wurzelkaries, Verhinderung von Zahnverlust und Erhaltungstherapie. Die genaue Analyse des persönlichen Risikos für verschiedene Zahnkrankheiten wird künftig eine zielgerichtete Vorbeugung ermöglichen. Vielleicht wird der Kampf gegen Erkrankungen des Mundraums sich auch als Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Komplikationen bei der Schwangerschaft erweisen.
In der abschließenden Diskussion mit Lernkontrolle zeigte es sich deutlich: Die Therapiekonzepte der Gegenwart entsprechen den aktuellen Erfordernissen und bieten allen Patienten die bestmögliche Versorgung. Doch diese Konzepte sind nicht starr, sie unterliegen den Einflüssen von Gesundheitspolitik und Forschung. Beschränkte Ressourcen und eine sich ändernde Altersstruktur werden künftig zur großen Herausforderung für die Gesellschaft, aber auch für das Praxisteam.