Mehr als Etikettenschwindel
Testkäufe im Internet bestätigten den Verdacht: Das verschreibungspflichtige Haarwuchsmittel Propecia wurde bei 24 „auffälligen“ Versandhändlern bestellt, zwölf Anbieter lieferten – ohne dass das erforderliche Rezept eingereicht wurde. Zum Teil leicht erklärlich: Sechs der 14 Lieferungen waren Fälschungen, darunter vier Präparate ohne Wirkstoff, bei den zwei anderen waren ein Mindergehalt und mangelhaftes Freisetzungsverhalten feststellbar. Die Fälschungen waren visuell kaum vom Original zu unterscheiden, berichtete Astrid Kaunzinger, Abteilungsleiterin des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker.
Auch in Potenzmitteln, die über das Internet vertrieben werden, sind erneut Verfälschungen mit synthetischen Wirkstoffen aufgetreten. Die als „rein pflanzlich“ bezeichneten Nahrungsergänzungsmittel wurden als traditionelle chinesische Medizin vertrieben.
Der BKA-Studie „Arzneimittelkriminalität – ein Wachstumsmarkt?“ zufolge hat der illegale Handel mittels Internet seit der Öffnung des Versandhandels für Arzneimittel nach Einschätzung von Experten deutlich zugenommen. Die Gefahr, dass in der legalen Verteilerkette gefälschte Arzneimittel gehandelt werden, sei nach wie vor gering, betonen die Beamten. Doch Verbrauchern sei es oft nicht möglich, zwischen zugelassenen und nicht zugelassenen Internetapotheken zu unterscheiden, hier lauere die Gefahr. Deutschland sei das einzige Land der Europäischen Union, das den Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zulässt. Der EuGH dagegen halte ein Verbot aus Gründen der Arzneimittel-Sicherheit für zulässig. Die Studie soll nun zum frühzeitigen Erkennen neuer Tendenzen, zur Aufhellung des Dunkelfelds sowie zur Reduzierung der Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz beitragen. BKA-Präsident Jörg Ziercke betonte die Notwendigkeit, alle tangierten Partner für den Schutz der Gesundheit zu sensibilisieren: „Die Gesundheit ist ein besonders zu schützendes Rechtsgut. … Arzneimittelkriminalität können wir nur dann effizient bekämpfen, wenn der Staat, die Unternehmen und auch die Verbände an einem Strang ziehen.“
Einfallstor für Fälschungen
Harald Schweim, Inhaber des Lehrstuhls „Drug Regulatory Affairs“ der Universität Bonn, hatte zu einem Symposium „Versandhandel – Fortschritt der Arzneimittelversorgung oder Gesundheitsgefährdung?“ der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn, unter anderem Vertreter der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (NRW), des Bundeskriminalamtes, des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und der ABDA eingeladen. Während die Beteiligten sich darüber einig sind, dass höchstmöglicher Verbraucherschutz Priorität haben muss, divergieren die Meinungen über die notwendigen Maßnahmen auf dem Vertriebsweg.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW zieht ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Betracht.
Der Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände – Heinz-Günter Wolf begrüßte die Empfehlung des BKA, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu hinterfragen. Wegen Globalisierung und Liberalisierung nehme die Bedrohung durch Arzneimittelfälschungen zu. Der Versandhandel mit Medikamenten untergrabe die Sicherheitsmechanismen, die für die Abgabe von Medikamenten an Patienten vorgesehen sind. „Das Internet ist ein großes Einfallstor für gefälschte Arzneimittel. Verbraucher unterschätzen deren Risiko oft“, erklärte Magdalene Linz, Präsidentin der Bundesapothekerkammer. Der Deutsche Apothekertag in Düsseldorf hatte bereits im September verschärfte Strafen für den Handel mit nicht zugelassenen oder gefälschten Arzneimitteln gefordert. Des Weiteren wurde diskutiert, ob der Versandhandel per se die Strukturen der Arzneimittelsicherheit und der Apothekenpflicht aushöhle. Zumal der Versand aus dem Ausland kaum kontrollierbar und Strafverfolgung dort kaum durchführbar seien. Hierzulande schon: Das Bayerische Landeskriminalamt hat jüngst eine kriminelle Bande dingfest gemacht, die illegalen Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln sowie Betäubungsmitteln über das Internet betrieben hatte. Dennoch: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit etwa zehn Prozent aller Arzneimittel gefälscht. 2006 wurden an den EU-Grenzen 2,5 Millionen gefälschte Arzneimittel-Einheiten sichergestellt, 2005 waren es noch 500 000.