Chaos versus Fachkompetenz
Sehr verehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,
nach monatelangem Streit über die Gesundheitsreform haben Union und SPD eine Einigung erzielt. Was mit viel Getöse als großer Durchbruch angekündigt war, entpuppt sich – wieder einmal mehr – als Sturm im Wasserglas, als kleinster gemeinsamer Nenner. Argumente wurden hin und hergewälzt, was gestern aktuell war, ist heute bereits obsolet. Politik als gelebtes Chaos! Es werden keine Probleme gelöst, im Gegenteil: die Reform selbst ist das Problem.
Das trat auch bei dem gemeinsam von BZÄK und KZBV organisierten Neujahrsempfang am 15. Januar in Berlin in den Gastreden, aber auch im Verlauf der vielen Hintergrundgespräche – immerhin waren 50 Abgeordnete zugegen – deutlich zutage (siehe auch Seite 16 bis 18 in diesem Heft). Hört man bei einzelnen Politikern nach, so gibt es nicht viele, die sich für das Gesetzesvorhaben aus Überzeugung aussprechen. Eine Vielzahl der Abgeordneten ist skeptisch, aber Gesundheitspolitik dient in diesem Fall als Vehikel für den Machterhalt der Koalition.
All diese ins Leere laufenden Anstrengungen der Politik scheinen mir – um es frei nach Mark Twain auszudrücken – ein Rudern auf verlorenem Posten zu sein: Nachdem man die Richtung verloren hatte, wurde die Schlagzahl noch erhöht. Völlig fraglich ist, was mit den avisierten Regelungen zum Gesundheitsfonds und zum Basistarif geschieht, die erst 2009 in Kraft treten sollen. Ob diese tatsächlich umgesetzt werden, bleibt im Nebulösen (2009 ist das Wahljahr!). Das ganze Konstrukt Gesundheitsreform ruft förmlich danach, erneuert zu werden. Eines ist jetzt schon sicher: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz.
Wesentliche Teile der Liberalisierung werden nach dem erklärten Willen der Koalition einkassiert, so zum Beispiel im zahnärztlichen Bereich Elemente der Kostenerstattung. Sie dient als Lakmus-Test für die Erbringung unserer Leistungen in Freiberuflichkeit, die immer mehr in Gefahr gerät. Gerade unsere präventiven Erfolge bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bis hin ins Seniorenalter, sind Ausdruck und Ergebnis unserer freiberuflichen zahnärztlichen Tätigkeit in einem freiheitlichen Gesundheitswesen. Diese Tatsache ist vor kurzem erst so eindrucksvoll durch die neue DMS IV-Studie belegt worden. Es gibt kein System, das Leistungen im ambulanten Bereich besser, patientenfreundlicher, qualitätsvoller und wirtschaftlicher zu erbringen imstande ist als das der Freiberuflichkeit.
Wir Zahnärzte sollten uns trotz aller Widrigkeiten der Gesundheitspolitik nicht allein von Pessimismus leiten lassen. Sowohl jeder einzelne Kollege in seiner Praxis als auch die zahnärztlichen Selbstverwaltungen sind gefordert, Kräfte zu bündeln und eigeninitiativ tätig zu werden. Es geht nicht darum, die Flinte ins Korn zu werden, sondern darum, Nischen zu suchen und konstruktiv mit neuen Gegebenheiten umzugehen – in der Praxis und für die Praxis.
Unsere große Stärke ist und bleibt unsere unangefochtene Fachlichkeit: Wir Zahnärzte ausschließlich sind die Experten für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, und diese Fähigkeit kann uns niemand abspenstig machen. Auf Basis unserer beruflichen Kompetenz werden wir bereit sein, unsere Patienten auch weiterhin nach bestem Wissen und Können zahnmedizinisch zu versorgen.
Schwarzmalerei liegt jetzt eigentlich nahe. Aber unsere Fachkompetenz werden wir anbieten, um gute Zahnheilkunde im Sinne unserer Patienten zu betreiben. Und in diesem ganz individuellen Zahnarzt-Patienten- Verhältnis hat die Politik nichts zu suchen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer