Helfen ja – ersetzen nein
Sie heißen AGnES, Verah oder Mopra, und bei allen drei Bezeichnungen handelt es sich um Modellprojekte, mit denen Ärzten in unterversorgten Gebieten von mobilen Gesundheitsberufen und Praxispersonal unterstütz werden (siehe Kasten). Das Problem ist akut und dringlich, da gerade in strukturschwachen Gegenden immer mehr Hausärzte und wohnortnah tätige Fachärzte fehlen. Gleichzeitig steigt die Zahl chronisch kranker und multimorbider Patienten. Das wirft Fragen auf, die sich letztlich auf das komplexe Thema von Delegation oder Substitution ärztlicher Leistungen beziehen.
Anlass für die KBV, auf ihrer Veranstaltung „KBV kontrovers“ die Problematik von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten. Es gehe darum, ob, wie und welche medizinischen Leistungen an nicht ärztliche Fachberufe delegiert werden können, betonte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Köhler in seiner Einführung. Eine Schwester, die zum Doktor werde, sei genau nicht gewollt. Der Arzt solle zwar entlastet, nicht aber ersetzt werden. Die hausärztliche Versorgung solle keinesfalls entfallen, vielmehr wolle man sinnvolle Formen der vorbeugenden und arztunterstützenden Tätigkeiten auf ihr Verbesserungspotenzial in der Patientenversorgung hin überprüfen.
Im Zentrum der Veranstaltung stand das Streitgespräch zwischen dem KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller und der Präsidentin des Deutschen Pflegerats Marie-Luise Müller. Es komme darauf an, dass die ärztliche Verantwortung erhalten bleibe, erklärte der KBV-Vertreter. Deswegen sei für die Ärzte die gezielte Delegation der richtige Weg, denn Substitution führe zu einer schleichenden Aushöhlung des medizinischen Versorgungsniveaus. Ziel sei es, das Versorgungsniveau so zu gestalten, dass pro-aktiv gehandelt werde und dass der Patient daran aktiv teilhabe. Als perfektes Bindeglied zwischen Pflegedienst und Arztpraxis könne eine entsprechend geschulte Fachkraft dienen. Dabei seien berufsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen zu berücksichtigen.
Nach den Vorstellungen der KBV könne als Voraussetzung für eine solche Praxisassistenz eine abgeschlossene Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, als Sprechstundenschwester, Arzthelferin oder Medizinische Fachangestellte dienen. Vorgeschlagen ist auch eine mindestens dreijährige Berufstätigkeit in einer Hausarztpraxis und eine entsprechende Fortbildung, beispielsweise über die Ärztekammern. Carl-Heinz Müller betonte: „Wir brauchen definitiv keine weitere Leistungsebene, die die Versorgung mit neuen Schnittstellenproblematiken erschwert.“
Kooperation
Im Gegensatz dazu sprach sich die Präsidentin des Deutschen Pflegerates für eine Substitution aus. Pflege sei eine Querschnittsdisziplin. Leistungen, die nicht aus der Medizin heraus erforderlich seien, könnten durchaus auf die Pflege übertragen werden. Die Fachlichkeit von professioneller Pflege könne mit der Fachlichkeit der Medizin eine Kooperation eingehen.
Müller verwies auf das Pflegeweiterentwicklungsgesetz, das im Rahmen einer Öffnungsklausel für nicht ärztliche Berufe diesen erstmals bestimmte ärztliche Tätigkeiten übertrage. So unterstützte sie die Idee, dass in einem Modellversuch Pflegekräfte Pflegemittel verschreiben. Sie verwies auf das Beispiel der „nurse practitioners“ aus angelsächsischen Ländern und sprach sich dafür aus, die Akademisierung der Pflegeberufe voranzutreiben und (wenn auch vorsichtig und langfristig) für diese eine Verkammerung anzustreben.
Viele offene Fragen
Unter der Fragestellung „Entlastung oder Risiko: Lässt sich ärztliche Verantwortung teilen?“ wurde das Thema in einer Diskussionsrunde vertieft. Es diskutierten Peter Bechtel, Vorsitzender des Verbandes Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Leitender Pflegepersonen, Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Prof. Christian Katzenmeier, Direktor des Instituts für Medizinrecht der Uni Köln, Sabine Rothe, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, Prof. Eberhard Wille, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, und Dr. Andreas Köhler. Dabei wurde viele offene Punkte tangiert, darunter Aspekte der Arzt- und Berufshaftung, des Heilberufegesetzes, Allokationsprobleme und Qualitätsanforderungen.
Es gab zwar bei den Diskutanten und Teilnehmern keine abschließende Einigung, dennoch wurde die Gesamtverantwortung des Arztes für den Behandlungsprozess nicht in Frage gestellt. Wichtig sei, die Schnittstelle von ambulantem und stationärem Bereich sowie der Pflege sauber zu definieren.