Teil eines umfassenden Behandlungskonzeptes
Primarius Dr. Gerhard Kreyer aus Langenlois präsentierte das in den Jahren 1973 bis 2006 in Wien entwickelte Konzept zur Lösung der Zahnbehandlungsangst. Grundlage dazu waren die 60 000 psychisch kranken und psychisch behinderten Patienten des Otto-Wagner-Spitals in Wien. Die ursprüngliche Vollnarkosequote von 16 Prozent bei der Zahnbehandlung dieser Patienten konnte durch die systematische Umsetzung des Anxiolysekonzeptes auf aktuell 0,7 Prozent gesenkt werden. Das Wiener Konzept der „Integrativen Anxiolyse“ stellt eine Synthese von verschiedenen Methoden dar und ist hierarchisch wie folgt aufgebaut:
Psychokonkordante Terminierung – Ärztliche Gesprächsführung – Systematische Desensibilisierung – Positive Reiztherapie – Suggestive Techniken – Hypnose – Pharmakotherapie – Vollnarkose. Bei starker Angst sind die kognitiven Fähigkeiten der entsprechendenPerson stark eingeschränkt. Es müssen zwei Angstarten voneinander getrennt werden: „trait anxiety“ und „state anxiety“. Die Trait-Angst ist die personenspezifische Grundangst, welche als Persönlichkeitsmerkmal praktisch unveränderlich ist. Dagegen ist die State-Angst ein Zustand aktueller Angst, hier setzten die gängigen Anxiolyseverfahren an.
Anti-Angst-Training
Dr. Peter Macher, Achern, unterstrich in seinem Vortrag die Aussagen des Vorredners und stellte sein Konzept des Anti-Angst-Trainings (AAT) vor, welches ebenfalls eine Kombination von Therapien darstellt, die über die reine Verhaltenstherapie hinausgeht. Oralphobiker haben häufig neben der pathologischen Angst vor der Zahnbehandlung auch weitere traumatische Erlebnisse. Diese müssen bei einer kausalen Angsttherapie berücksichtigt werden. Allgemein betonte Dr. Macher die psychologische Bedeutung des Redens des Zahnarztes, neben positiven könnten damit natürlich auch negative Wirkungen erzielt werden.
Dr. Gabriele Marwinski, Bochum, präsentierte ihr Konzept einer angstfreien Praxis: Die ersten zehn Sekunden beim Eintreten in die Praxisräumlichkeiten sind entscheidend, ob der Patient sich wohl fühlt oder nicht. Räume können somit positiv aber auch negativ leben. Die Farb- und Duftgestaltung wurde in einem wissenschaftlichen Projekt mit Prof. Axel Venn und Ilka Brüderle erarbeitet: Über allem stand die Frage an die Patienten: „Was können Sie sich vorstellen, um Ihre Angst zu verlieren?“ Als Farben wurden warme, pastellartig aufgetragene Farbtöne gewählt.
Angst und Lebensqualität
Dr. Dr. Norbert Enkling, Bern, präsentierte Ergebnisse einer Studie zum Zusammenhang der Zahnbehandlungsangst und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Lebensqualität rückt aktuell immer weiter in den Fokus der modernen Medizin. Die Therapien der Medizin werden daraufhin überprüft, inwieweit sie neben der Therapie der Erkrankung auch die Lebensqualität positiv verändern. Das Ziel der positiven Beeinflussung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität hat ebenfalls die moderne Zahnmedizin. Über validierte Fragebögen werden entsprechende Daten erhoben, welche aussagekräftigersind, als die reine Frage: „Sind Sie mir Ihrem Zahnersatz zufrieden?“. Es konnte gezeigt werden, dass die Zahnbehandlungsangst die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität massiv beeinflusst und dass dieser Einfluss mit sinkender Angst ebenfalls sinkt. In der Studie hatte der Zahnersatzversorgungsgrad keinen Einfluss auf die Ergebnisse zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität.Angstspezifische Patientenwünscheaus einer Stichprobe von 492 Probandeneiner Standardpraxis stellte ZahnarztSchwichtenhövel, Meschede, vor. JüngerePatienten wünschen bei der Zahnbehandlung eher Ablenkung, ältere lehnten diese eher ab. Eine strenge Behandlungsführung wird von allen Patienten abgelehnt und eine empathische auf Information und Schmerzfreiheit aufgebaute Behandlung gewünscht. Der Wunsch nach Information nimmt mit zunehmenden Patientenalter zu. Die Psychologin Mag. rer. nat. Ursula Sigmund, Stuttgart, sprach über die Behandlung von Kindern. Ein kongruentes Verhalten des zahnärztlichen Teams ist Grundlage für ein belastbares Vertrauensverhältnis. Unstimmigkeiten im Verhalten würden von den Kindern sofort erkannt. Besonders wichtig ist das Ende der Behandlung. Hier sollte das Kind immer gelobt werden, so dass es mit einem guten Gefühl den Behandlungsraum verlässt.
Über chronische Schmerzpatienten, also dauernde Schmerzen über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, sprach PD Dr. Dr. Monika Daubländer, Mainz. Die Maximalform des chronischen Schmerzes ist beim Krankheitsbild der Fibromyalgie erreicht, hier sind in allen Körperarealen ständig starke Schmerzen zu verspüren. Die Patienten mit Craniomandibulären Dysfunktionen (CMD) und die mit Fibromyalgien zeigen starke Überschneidungen. 75 Prozent der Fibromyalgiepatienten zeigen Zeichen einer CMD und umgekehrt 25 Prozent. Bei den Fibromyalgiepatienten ist häufig eine reduzierte Ruheschwebe, dumpfe Druckschmerzen in der Muskulatur und eine höhere Zahl ersetzter Zahnflächen festzustellen. Die erhöhte Zahl ersetzter Zahnflächen kann darauf hindeuten, dass in der Vergangenheit versucht wurde, die Schmerzen über eine Zahnbehandlung in den Griff zu bekommen.
Dr. Hajo Hantel, Berlin, untersuchte den Zusammenhang von Stress und Stressverarbeitung auf die Entstehung und Unterhaltung einer CMD. Besonderer Stellenwert kommt dabei dem Coping zu, der Stressbewältigungskompetenz. Frauen zeigten in der Studie Schwächen in Copingstrategien, was in direktem Zusammenhang zu erhöhten CMD Werten stand. Alter, Vorkommen von anterioren Schlifffacetten und der Helkimo Okklusionsindex zeigten keine Korrelation zur Ausprägung der CMD.
Mit der Attraktivitätsforschung beschäftigte sich die Psychologin Lea Höfel, Leibzig. Sie wurde für Ihren Vortag mit dem Thema „Wahrnehmung kosmetischer Veränderungen der Zähne und ihr Einfluss auf die Attraktivität des Gesichtes“ mit dem Vortragspreis als bester wissenschaftlicher Vortrag eines Nichthabilitierten mit dem durch Prof. Peter Jöhren, Bochum, gestifteten Preis des AKPP im Jahr 2008 ausgezeichnet. Gemäß den Ergebnissen dieser Studie werden geringe Veränderungen an den Zähnen zwar bemerkt, haben jedoch keinen relevanten Einfluss auf die Gesamtattraktivität eines Menschen. Diese Information kann bei der ästhetischen Beratung von Patienten hilfreich sein: Fremd- und Eigenwahrnehmung sind oft divergent.
Soma und Psyche
Unter dem Titel: jedes „Psycho“ braucht auch ein „Soma“ referierte Priv.-Doz. Dr. Ruscheweyh, Münster. Die Neurologin sprach über neueste Erkenntnisse, dass plastische Veränderungen des Nervensystems chronische Schmerzzustände aufrechterhalten können, auch wenn eine eingetretene Schädigung bereits ausgeheilt erscheint. Nach einer Verletzung kann der periphere Nerv seine nocizeptiven Eigenschaften ändern. Es tritt dann eine Hyperalgesie mit Übererregbarkeit und Spontanaktivität ein. Nach einem Schmerzreiz wird der wiederholte Schmerz am selben Nerven bis zu 100 Prozent verstärkt empfunden. Dies liegt an der synaptischen Langzeitpotenzierung (LTP). Dabei verdoppelte sich bei gleicher Reizstärke die synaptische Übertragungsstärke an der ersten Umschaltung. Ein ähnlicher Mechanismus läuft auch beim Lernen ab, so dass man daher auch von einem im Rückenmark, an der ersten synaptischen Umschaltung gelegenem, Schmerzgedächtnis sprechen kann. Bei extremen Schmerzen wird ebenso die körpereigene Spinalanästhesie aktiviert: im Rückenmark werden gesteuert über absteigende Mechanismen aus dem Hirnstamm hemmende Substanzen, wie Noradrenalin und Serotonin, ausgeschüttet. Diese absteigende Hemmung kann durch mehrere Zentren im Gehirn, unter anderem dem Thalamus, aktiviert werden. Die physiologische Funktion der absteigenden Hemmung liegt in der Aufrechterhaltung der Flucht- und Kampfmöglichkeit des Organismus in großer Gefahr trotz extremer Verletzungen. Möglichkeiten, die absteigende Hemmung auch zur Schmerztherapie einzusetzen, sind der „Schmerz bekämpft Schmerz“ Mechanismus und das Placebo. Die wissenschaftlich eindeutig belegte Wirksamkeit des Placebo auf die absteigende Hemmung weist eine Schnittstelle zwischen Psyche und Soma auf.
Werkstoffunverträglichkeit
Wert und Unwert der Verdachtsdiagnose „Dentale Werkstoffunverträglichkeit“ besprach Priv.-Doz. Dr. Brehler. Die Werkstoffunverträglichkeit zeigt sich über die Typ-IVReaktion einer Kontaktallergie. Allergien sind immer erworben, nie angeboren. Eine prognostische Testung ist daher nicht möglich. Das menschliche Immunsystem weist zu Beginn nur naive T-Zellen auf. Nach dem Kontakt mit einem Allergen differenzieren sich die T-Zellen zu regulatorischen und effektivenT-Zellen. Regulatorische T-Zellenbedeuten eine Toleranz, effektive T-Zellen eine Sensibilisierung. Die Haut wie die Schleimhaut haben beide die gleichen immunologischen Eigenschaften, wobei die Schleimhaut weniger anfällig ist, da sie weniger Langerhanssche Zellen aufweist, stärker durchblutet ist und durch den Speichelfluss die Kontaktzeit des Werkstoffs zur Schleimhaut reduziert ist. Eine eingetretene Toleranz, die auch über eine orale Exposition entwickelt worden sein kann, ist praktisch lebenslang vorhanden. Es wurde nachgewiesen, dass Kinder mit KFO-Geräten, welche Nickeldrähte enthielten, zu weniger Nickelallergien im Alter neigten. Zur Testung einer Allergie gilt weiterhin der Epikutantest, der nach 48 Stunden abgelesen wird, als Mittel der Wahl. Das bei dieser Testung entstehende Ekzem ist Hinweis auf eine Sensibilisierung. Diese Sensibilisierungbedeutet jedoch nicht, dass eine klinisch manifeste Allergie vorliegen muss. Eine allergische Reaktion ist immer eine Entzündungsreaktion, die im Kontaktbereich zu lokalen Veränderungen führt. Der Befund einer Sensibilisierung muss also immer mit dem lokalen Befund in der Mundhöhle oder im Gesicht abgeglichen werden.
Der Lymphozytentransformationstest (LTT) über die MELISA-Methodik ist eine ebenfalls eingesetzte Allergietestung. Dabei werden in einer Blutprobe allergenspezifische T-Zellen nachgewiesen. Es kann jedoch keine Aussage dazu getätigt werden, ob es regulatorische oder effektive T-Tellen sind. Zudem wird die Bewertung der Ergebnisse nicht einheitlich durchgeführt: Bei einem Cut-Off von 7,9 wäre eine Spezifität von 97 Prozent vorhanden. Von den Laboren wird hingegen in der Regel ein Cut-Off von zwei bis drei gewählt, welcher jedoch durch eine Spezifität von 25 Prozent zu sehr vielen falsch positiven Ergebnissen führt. Die LTT Ergebnisse bei diffuser Beschwerdesymptomatik sollten daher nicht zu einer kritiklosen Diagnose führen.
„Vergiftet ohne Gift – Wie biokompatibel sind Zahnersatzmaterialien?“, fragte Priv.-Doz. Dr. Strietzel in seinem Vortrag: Kunststoffen wird eine östrogenähnliche Funktion nachgesagt; Aluminiumionen des Aluminiumoxyds sollen Alzheimer begünstigen; Zirkonoxyd stellt eine radioaktive Belastung dar; vielen Metallen, wie dem Palladium und dem Amalgam, werden zahlreiche negative Nebenwirkungen nachgesagt. Die meisten dieser Vorwürfe sind pharmakologisch nicht haltbar, aber bedingt durch Anwendungsfehler kann die Biokompatibilität sämtlicher Materialien stark reduziert werden. Der gezielte Einsatz der in Mitteleuropa auf dem Markt erhältlichen Dentalprodukte ist aus Sicht der Biokompatibilität unbedenklich. Diese Aussage ist jedoch für den asiatischen und amerikanischen Raum nicht gültig: Dort werden in der Regel Legierungen eingesetzt, welche wesentliche höhere Korrosionswerte aufweisen. Dies ist aus materialkundlicher Sicht ein Argument gegen Zahnersatzimport aus dem fernen Ausland.
Okklusion und Schmerz
Dr. Stefanie Janko, Frankfurt, referierte über den Einfluss der Okklusion auf die Beschwerden im Kopfbereich. In einem historischen Rückblick zeigte sie die Veränderungen auf, die die Bewertung Okklusion und CMD in den letzen Jahrzehnten durchlaufen hatte. Die frühere Behauptung, dass die gesamte CMD-Problematik getriggert durch Stress auf eine fehlerhafte Okklusion zurückgeführt werden könnte, ist heute sicherlich falsch. Die Patientengruppe die unter CMD zusammengefasst wird, ist jedoch so heterogen, dass die Frage nach der Bedeutung der Okklusion patientenspezifisch beurteilt werden muss. In der Regel sind jedoch zur Therapie der CMD stark invasive, okklusale Therapien kontraindiziert. Eine minimalinvasive Aufbissschienentherapie zum Ausschluss okklusaler Faktoren ist bei CMD jedoch nie falsch.
Prof. Dr. Stephan Döhring verwies in seinem Vortrag auf die Verdienste von Prof. Müller-Fahlbusch und Prof. Marxkors, die den Fokus der Zahnmedizin auf psychosomatische Zusammenhänge gerichtet hätten. Die Diskrepanz zwischen lokalem Befund und von Patienten geschilderten Beschwerden sollte weiterhin für die Zahnärzte ein Warnsignal sein. Die ICD-10-Klassifizierung unter F 45 schildert „somatoforme Störungen“ als Beschwerden,für die keine körperlichen Ursachenzu eruieren sind. Wichtig bei der Behandlung von Patienten mit somatoformen Störungen ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, die „Droge Arzt“. Eine vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehung ist unbedingte Voraussetzung, wenn eine Überweisung zu einer Psychotherapie erfolgreich sein soll. Das Thema psychotherapeutische Behandlung ist in unserer Gesellschaft weiterhin ein Tabu.
Ehrungen
Im Rahmen des Gesellschaftsabends im Schloss der Universität Münster wurden die beiden Gründungsväter des AKPP Prof. Dr. Sergl, Mainz, und der bereits verstorbene Prof. Dr. Müller-Fahlbusch, Münster, zu Ehrenmitgliedern des AKPP ernannt.
Termin 2009
Die 21. Jahrestagung des AKPP wird am 25./26. September 2009 in den Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden zusammen mit der Interdisziplinären Gesellschaft für psychosomatische Schmerztherapie (IGPS) abgehalten.
Weitere Informationen zum AKPP sind über die Homepage des AKPP akpp.uni-muenster. de zu finden. Der AKPP bietet zusammen mit der APW ein Curriculum Psychosomatische Grundkompetenz an, dass 2008 terminlich verschoben werden musste: Der neue Termin ist der 11. bis 18. Oktober 2008 und 23. bis 25. Januar 2009.
Dr. Dr. Norbert EnklingKlinik für zahnärztliche Prothetik Universität BernFreiburger Str. 7, CH-3010 Bernnorbert.enkling@zmk.unibe.ch