Rechte ohne Grenzen
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
nach langen Wehen hat die EU-Kommission eine neue Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zur Welt gebracht. Was soll das, was hat das mit mir zu tun, werden Sie sich fragen. Als deutsche Zahnärztin beziehungsweise Zahnarzt behandele ich doch in aller Regel deutsche Patienten. Was habe ich also mit der Richtlinie zu tun? Künftig eine ganze Menge, wie Sie feststellen werden.
Das Entstehen der Richtlinie ist Lehrbeispiel dafür, wie in Brüssel gedacht und gehandelt wird. Und warum man sich am Anfang eines Konsultationsprozesses schon Gedanken machen muss, was am Ende dabei herauskommen kann. Wie es in der Bibel steht: „Am Anfang stand das Wort“.
In diesem Fall lautete das Wort „Dienstleistungen“. Die Kommission wollte eine Richtlinie über alle Dienstleistungen im Binnenmarkt auf den Weg bringen. Die sogenannten „Gesundheitsdienstleistungserbringer“ Ärzte und Zahnärzte versuchten der Kommission klarzumachen, dass medizinische Leistungen Besonderheiten mit sich bringen, die es zu berücksichtigen gilt und die in der Richtlinie über allgemeine Dienstleistungen nicht beachtet wurden. Die Behandlung eines Patienten folgt eben nicht den selben Regeln wie das Auswechseln eines Autoreifens oder den Gegebenheiten eines Transportunternehmens.
Und die Argumente waren gut. So gut, dass die Kommission ein Einsehen hatte. Sie verstand – und kam zu dem Ergebnis, für Gesundheitsdienstleistungen eine eigene Richtlinie erarbeiten zu müssen. Manche feierten das als Erfolg der politischen Arbeit. Die Bundeszahnärztekammer gehörte nicht dazu. Wir hatten spezielle Eckpunkte formuliert, bei deren Berücksichtigung die „Allgemeine Dienstleistungsrichtlinie“ für uns akzeptabel gewesen wäre. Diese Punkte wurden im Laufe der Konsultationen berücksichtigt, aber die Kommission bestand auf einer eigenen „sektoralen Richtlinie“ für die Heilberufe. Wir befürchteten damals, dass eine Richtlinie nur für die Gesundheitsdienstleistungen weit umfassender ausfallen und neue Reglementierungen enthalten würde.
So geschah es auch: Was zunächst noch Konsultation zu einem europäischen Rahmen für Gesundheitsdienstleistungen hieß, wurde später zu einem Richtlinienvorschlag für ein sicheres, qualitativ hochwertiges und effizientes grenzüberschreitendes Gesundheitswesen in Europa. Der aktuelle Richtlinienvorschlag bezieht sich nun auf die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.
Der Betrachter hat das Gefühl, dass der Spieß langsam aber sicher umgedreht wird. Ging es bei der Dienstleistungsrichtlinie noch darum, einen Rahmen für die Erbringung von Dienstleistungen in anderen EU-Mitgliedstaaten zu schaffen, so geht es jetzt darum, dass die Patienten als Dienstleistungsempfänger Rechte ausüben können.
Man schätzt, dass etwa ein Prozent der Gesundheitsdienstleistungen grenzüberschreitend erfolgt. Genaue Zahlen gibt es nicht. Also nur ein Randthema? Keineswegs, denn die Kommission geht davon aus, dass der Gesundheitsdienstleistungserbringer, also der Arzt oder Zahnarzt, nicht weiß, ob sein Patient ein Inländer oder ein Angehöriger eines anderen EU-Staates ist. Künftig sollen nach Willen der EU-Kommission die Anforderungen an die Gesundheitsversorgungen, insbesondere die Qualitäts- und Sicherheitsnormen, in allen Mitgliedstaaten gleich ausfallen. Auf diese Weise möchte sich die Kommission eine umfassendere Gesetzgebungszuständigkeit für den Gesundheitsbereich aneignen, in dem sie bislang nur eingeschränkte Kompetenzen hat.
Mit der Vorlage der Richtlinie, die eigentlich schon vor einem halben Jahr erfolgen sollte, hat die Kommission den offiziellen Diskussionsprozess eröffnet. Wir werden in Brüssel sowohl als Bundeszahnärztekammer als auch über den europäischen Verband Council of European Dentists (CED) unseren Standpunkt deutlich machen. Denn betroffen wären alle deutschen Zahnärzte, auch Sie, wenn es bei dem jetzigen Vorschlag bliebe. Wir bringen unsere Argumente für Sie ein und halten Sie auf dem Laufenden.
Freundliche kollegiale Grüße
Prof. Dr. Wolfgang SprekelsVizepräsident der Bundeszahnärztekammer