Rechtliche Grundlagen und Auswirkungen
Auch wenn Praxisorganisation und Arbeitsabläufe nach Maßgabe der geltenden Hygienebestimmungen mittlerweile ebenso selbstverständlich sind wie die Einhaltung von Vorschriften zum Arbeitsschutz der Mitarbeiter, werden Begehungen in der Regel als unangenehm, belastend und – wegen drohender Sanktionen – zuweilen als bedrohlich empfunden.
Die Ansichten der Beteiligten über die erforderlichen Schutzmaßnahmen, aber auch über die Reichweite der behördlichen Kompetenzen bei Praxisbegehungen gehen weit auseinander. Zudem lässt die Anwendung uneinheitlicher Hygienemaßstäbe durch die Behörden den Eindruck der Willkür entstehen. Die Vielzahl einschlägiger Rechtsvorschriften, die unübersichtliche Zuständigkeitsverteilung und das Fehlen von verbindlichen Vorgaben für die Hygienestandards verunsichern die Zahnärzte zusehends.
Die nachfolgenden Ausführungen verhelfen zu einem Überblick über die rechtlichen Grundlagen und die Reichweite der behördlichen Kompetenzen bei Praxisüberwachungen und -begehungen und damit zugleich präventive Möglichkeiten für Zahnärzte.
Der Schutzgedanke als Basis
Aus rechtlicher Sicht bestehen eindeutige Zuständigkeiten und Kompetenzen für die Kontrolle von Zahnarztpraxen durch Behörden, die aber den Beteiligten – unter Umständen auch auf Behördenseite – oft genug unklar sind. Schutzzweck der rechtlichen Vorschriften zur Überwachung und Begehung ist grundsätzlich die Abwehr von Gefahren für Mitarbeiter und Patienten durch Infektionen und andere Gefahrenquellen in der Praxis, die typischerweise mit der zahnärztlichen Tätigkeit und der Anwendung medizinisch-technischer Geräten verbunden sind. Von diesem Schutzgedanken sollten sich alle Beteiligten leiten lassen und durch ein Zusammenwirken vermeiden, dass Sinn und Zweck der behördlichen Kontrolle durch Verweigerung der Mitwirkung des Zahnarztes oder durch unverhältnismäßige Gängelung der Zahnärzte durch die Behörden leer laufen.
Hand in Hand zum transparenten Leitfaden
Bereits im Vorfeld von Begehungen kann durch gezielte Koordination und Kooperation der zuständigen Stellen sowohl Rechtssicherheit für die Niedergelassenen als auch ein einheitliches Qualitätsniveau der Gefahrenabwehr erreicht werden.
Für die ärztlichen Kollegen haben in Baden-Württemberg das Sozialministerium, das Landesgesundheitsamt, der Landesverband Ambulantes Operieren, die Landesärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung und der Öffentliche Gesundheitsdienst in geradezu vorbildlicher Weise bei der Erstellung eines Hygiene-Leitfadens zusammengewirkt, der als „Leitfaden Praxishygiene – Hygiene in der Arztpraxis und beim Ambulanten Operieren“ (August 2007) durch das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg bereits in der 2. Auflage herausgegeben wurde. Den Ärzten und auch den kontrollierenden Behörden wurde dadurch ein einheitlicher – und im Gegensatz zu verwaltungsinternen Vorgaben – transparenter Maßstab an die Hand gegeben, an denen sich die hygienische Praxisorganisation und deren Kontrolle orientieren können. Das Selbstverständnis, was diesem Kooperationsprojekt zugrunde liegt, wird anhand des folgenden Zitats aus dem Leitfaden (Seite 154) zur „Hygiene in der Praxis aus Sicht der behördlichen Überwachung“ deutlich:
„Generell liegt die Aufgabe einer periodischen Begehung nicht vordergründig in einer externen, amtlichen Überwachung der Praxis und des Verhaltens ihres Personals, der akribischen Suche nach Fehlern und deren kritischer Beurteilung, sondern in einer kurz gefassten Statuserhebung bezüglich hygienischer Standards, im Austausch von Informationen, der Beratung, Betreuung und Hilfestellung bei der Umsetzung notwendiger Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Betrieb.“
Rechtliche Grundlagen
Behörden dürfen Zahnarztpraxen nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung begehen, da sie andernfalls das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes – welches Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume einschließt –, verletzen. Die diesbezüglichen Rechte und Pflichten der Behörden werden sowohl in bundesrechtlichen Vorschriften (insbesondere die Gesetze zu Infektionsschutz, Medizinprodukten und Arbeitsschutz) festgelegt als auch vereinzelt durch die Landesgesetzgeber (Gesetze über den Öffentlichen Gesundheitsdienst) bestimmt. Für die ärztlichen Kollegen sehen zudem normative Vereinbarungen der Gemeinsamen Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung diese Überprüfungen vor.
Die Anforderungen an Hygiene und Arbeitsschutz sind in zahlreichen Empfehlungen und Richtlinien konkretisiert, die zwar grundsätzlich nicht (rechts-)verbindlich sind, aber dennoch in Einzelfällen entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen können. Dazu zählen in erster Linie die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert Koch-Institut (RKI-Richtlinien), berufsgenossenschaftliche Vorschriften und auch technische Regeln (DIN EN-Normen). Trotz der fehlenden Verbindlichkeit bieten diese Vorschriften brauchbare Anhaltspunkte für die Qualitätsanforderungen und sollten im Praxismanagement unbedingt Beachtung finden. Für die zahnärztliche Praxis ist die RKI-Richtlinie „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“ entscheidend. Während es für die verschiedenen Fachgebiete der Medizin (bisher) keine gesonderten Empfehlungen gibt, wird den Besonderheiten in der Zahnmedizin mit dieser Richtlinie umfassend Rechnung getragen.
Verhältnismäßigkeit als Eckpfeiler
Bei allen Begehungen sind die Behörden an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, Artikel 20 Grundgesetz, ableitet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt es sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, dass diese als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist.
Nicht nur bei der Frage, ob eine Praxis zu begehen ist, sondern auch bei der Frage, wie diese Begehung durchzuführen ist, bindet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Behörden. Das bedeutet, dass jede einzelne Maßnahme für einen konkreten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen sein muss.
• Eine Maßnahme ist stets geeignet, wenn sie das angestrebte Ziel erreicht.
• Ferner muss die Behörde unter mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige treffen, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt.
• Schließlich muss die Maßnahme verhältnismäßig sein, das heißt die durch die Maßnahme zu erwartenden Nachteile für den Betroffenen dürfen nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.
• Aus Sicht der Bundeszahnärztekammer sollten diese Maßnahmen evidenzbasiert und nicht willkürlich erfolgen.
Auch für die Frage, ob Amt respektive Behörde eine Begehung ankündigen muss oder auch ohne Vorankündigung durchführen darf, ist entscheidend, ob der Schutz öffentlicher Interessen Letzteres erfordert: Nur im Falle eines konkreten Anlasses, von dem eine akute Gefahr ausgeht und „Gefahr im Verzug“ besteht, ist eine nicht angekündigte Begehung zulässig. In allen anderen Fällen muss die Behörde dem Praxisinhaber die Begehung rechtzeitig ankündigen. Da dieser für die Einhaltung der hygienerechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften allein verantwortlich ist, müssen seine Mitarbeiter nicht anwesend sein, doch steht es ihm frei, sie als Zeugen für ein ordnungsgemäßes Hygienemanagement heranzuziehen.
Um kompetent zu handeln, sollte ein niedergelassener Zahnarzt die folgenden sechs der wichtigsten Spezialgesetze in Grundzügen kennen:
• Infektionsschutzgesetz (IfSG),
• Rund um die Medizinprodukte,
• Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG),
• Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG),
• Gesetze über den Öffentlichen Gesundheitsdienst,
• Gesetzliche Unfallversicherung.
• Hygiene genießt Priorität
Zweck des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist es, gegen übertragbare Krankheiten bei Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Während Krankenhäuser, Einrichtungen für ambulantes Operieren, Dialyseeinrichtungen oder zum Beispiel Tageskliniken der obligatorischen infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt unterliegen (§ 36 Abs. 1 IfSG), ist für Zahnarztpraxen, Arztpraxen und Praxen sonstiger Heilberufe, in denen invasive Eingriffe vorgenommen werden, nur eine fakultative infektionshygienische Überwachung vorgesehen (§ 36 Abs. 2 IfSG).
Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes sind berechtigt (§ 16 Abs. 2 IfSG):
• Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen sowie Verkehrsmittel aller Art zu betreten,
• Bücher oder sonstige Unterlagen einzusehen und hieraus Abschriften, Ablichtungen oder Auszüge anzufertigen sowie
• sonstige Gegenstände zu untersuchen oder Proben zur Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen.
Der Praxisinhaber ist hierbei verpflichtet, den Prüfern Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen -sowie sonstige Gegenstände zugänglich zu machen und die Unterlagen über infektionshygienische Betriebsabläufe und Kontrolle vorzulegen. Personen, die innerhalb der Praxis mit dem Hygienemanagement befasst sind, müssen – sofern für sie oder einen ihrer nahen Angehörigen nicht die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens besteht – Auskunft erteilen.
Neben der fakultativen infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt kann auf der Grundlage des IfSG auch eine anlassbezogene Praxisbegehung durch die „zuständige Behörde“ durchgeführt werden, wenn Tatsachen festgestellt wurden oder angenommen werden dürfen, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können. Die Mitarbeiter der zuständigen Behörden haben ebenfalls die oben genannten Kompetenzen, die das Gesundheitsamt bei der fakultativen Begehung hat, und sind darüber hinaus berechtigt, „die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit hierdurch drohenden Gefahren“ zu treffen (§ 16 Abs. 1 IfSG). Sie können Ordnungsgelder anordnen, Auflagen für den Weiterbetrieb bestimmen, eine unmittelbare Einschränkung der Praxistätigkeit bis hin zur Schließung der Praxis als ultima ratio anordnen.
Die Zuständigkeit wechselt von Land zu Land
Die Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz werden auf Landesebene gesondert festgelegt. In Nordrhein-Westfalen nehmen die Kreise und kreisfreien Städte die Aufgaben des „Gesundheitsamtes“ im Sinne des § 36 IfSG wahr. „Zuständige Behörde“ im Sinne des § 16 IfSG sind die Städte und Gemeinden, also die örtlichen Ordnungsbehörden. Bei einer Begehung auf Grundlage des IfSG können daher sowohl Mitarbeiter des Gesundheitsamtes als auch der örtlichen Ordnungsbehörden anwesend sein, soweit die Zuständigkeit nicht auf eine einzige Behörde zusammenfällt (so bei kreisfreien Städten). In Niedersachsen sind dagegen die Landkreise und kreisfreien Städte für beide Aufgaben zuständig, so dass die dortigen Gesundheitsämter sowohl die Überwachung nach § 36 IfSG durchführen als auch die allgemeinen Maßnahmen nach § 16 IfSG anordnen. In Baden-Württemberg sind die Landkreise und Stadtkreise Stuttgart, Mannheim und Heilbronn als Gesundheitsämter für die infektionshygienische Überwachung und die Ortspolizeibehörden, also die Gemeinden, für die Anordnung entsprechender Maßnahmen zuständig. In Bayern sind grundsätzlich die Landratsämter als untere Behörde für Gesundheit (frühere Bezeichnung: Gesundheitsamt) für die Überwachung nach § 36 IfSG zuständig, diese Aufgabe kann im Einzelnen aber auch kreisfreien Städten übertragen sein. Für die Maßnahmen nach § 16 IfSG sind dagegen sowohl die Landratsämter und kreisfreien Städte als Kreisverwaltungsbehörden zuständig.
Wegen der unterschiedlichen Kompetenzverteilungen ist in manchen Bundesländern eine Zusammenarbeit der Behörden erforderlich. Im Rahmen der nicht anlassbezogenen Überwachung sind in NRW die Gesundheitsämter zu den oben genannten Maßnahmen des § 16 Abs. 2 IfSG (Grundstücke betreten, Bücher einsehen, Untersuchungen vornehmen et cetera) berechtigt, dürfen aber keine Anordnungen im Sinne des § 16 Abs. 1 IfSG zur Gefahrenabwehr (vorläufiges Operationsverbot, Schließung der Praxis, et cetera) vornehmen. Diese dürfen erst bei entsprechendem Anlass durch die „zuständige Behörde“ (NRW: örtliche Ordnungsbehörde) eingeleitet werden.
Sollten also im Rahmen einer Überwachung hygienische Missstände festgestellt werden, so kann das Gesundheitsamt die Ordnungsbehörden informieren, die dann wiederum gegenüber dem Praxisinhaber bestimmte Anordnungen zur Beseitigung der infektionshygienischen Gefahrenquellen erlässt. Nur bei Gefahr im Verzug, wenn also eine Gefahrenabwehr durch die Ordnungsbehörden als nicht (rechtzeitig) möglich erscheint, sind die Gesundheitsämter befugt, die erforderlichen Maßnahmen selbst anzuordnen (§ 16 Abs. 7 IfSG).
Empfehlungen für eine Struktur
Welche konkreten Anforderungen an den Infektionsschutz in einer Zahnarztpraxis gestellt werden, ist nicht verbindlich geregelt. Nach § 23 Abs. 2 IfSG wurde beim Robert Koch-Institut die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention eingerichtet. Die Kommission erstellt Empfehlungen zur Prävention nosokomialer Infektionen sowie zu betrieblich-organisatorischen und baulich-funktionellen Maßnahmen der Hygiene in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen (für Zahnärzte: „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“). Im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes sind diese Empfehlungen nicht verbindlich, bieten dem Zahnarzt aber vielfach die einzige Möglichkeit zur Orientierung und Strukturierung seines Hygienemanagements.
• Rund um die Medizinprodukte
Nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) unterliegen Zahnarztpraxen, in denen Medizinprodukte in den Verkehr gebracht, betrieben oder angewendet werden oder sterile oder keimarme Medizinprodukte aufbereitet werden, der Überwachung durch die zuständigen Behörden (§ 26 Abs. 1 MPG).
Die mit der Überwachung beauftragten Personen sind befugt,
- Grundstücke, Geschäftsräume, Betriebsräume, Beförderungsmittel und zur Verhütung drohender Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch Wohnräume zu den üblichen Geschäftszeiten zu betreten und zu besichtigen, in denen eine oben genannte Tätigkeit ausgeübt wird,
- Medizinprodukte zu prüfen, insbesondere hierzu in Betrieb nehmen zu lassen, sowie Proben zu entnehmen,
- Unterlagen über die Entwicklung, Herstellung, Prüfung, klinische Prüfung, Leistungsbewertungsprüfung oder Erwerb, Aufbereitung, Lagerung, Verpackung, in Verkehr bringen und sonstigem Verbleib der Medizinprodukte sowie über das im Verkehr befindliche Werbematerial einzusehen und hieraus in begründeten Fällen Abschriften oder Ablichtungen zu verlangen,
- alle erforderlichen Auskünfte, insbesondere über die genannten Betriebsvorgänge zu verlangen.
In der Verantwortung
Der Praxisinhaber muss als Verantwortlicher im Sinne des MPG derartige Maßnahmen dulden und die zuständigen Personen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Dies beinhaltet insbesondere die Verpflichtung, die Medizinprodukte zugänglich zu machen, erforderliche Prüfungen zu gestatten, hierfür benötigte Mitarbeiter und Hilfsmittel bereitzustellen, Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Auskünfte dürfen nur dann verweigert werden, wenn die Beantwortung die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung oder eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens für den Praxisinhaber oder einen Angehörigen auslösen würde. Auch hier ist es regelmäßig erforderlich, dass die Prüfer sich zuvor anmelden.
Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter oder zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Maßnahmen und prüft in angemessenem Umfang unter besonderer Berücksichtigung möglicher Risiken der Medizinprodukte, ob die Voraussetzungen zum in Verkehr bringen und zu Inbetriebnahme erfüllt sind (§ 26 Abs. 2 MPG). Die zuständige Behörde ist insbesondere befugt, Anordnungen, als ultima ratio auch über die Schließung des Betriebs oder der Einrichtung, zu treffen, soweit es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit, Sicherheit oder Ordnung geboten ist (§ 28 Abs. 2 MPG).
Abermals Länderhoheit
Die Zuständigkeiten nach dem MPG werden wiederum auf Landesebene bestimmt. So nehmen in NRW die Bezirksregierungen die Aufgaben der „zuständigen Behörde“ wahr, in Niedersachen sind die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter für die Überwachung nach dem MPG zuständig, in Baden- Württemberg die Regierungspräsidien. In Bayern nimmt die Gewerbeaufsicht der Regierungen des jeweiligen Regierungsbezirks die Überwachungsaufgaben wahr.
Welche Anforderungen bei dem Errichten, Betreiben und Anwenden von Medizinprodukten zu beachten sind, bestimmt die Medizinprodukte- Betreiberverordnung (MPBetreibV), die auf der Grundlage des MPG erlassen wurde. Demnach ist die Aufbereitung von bestimmungsgemäß keimarm oder steril zur Anwendung kommenden Medizinprodukten mit geeigneten, validierten Verfahren so durchzuführen, dass der Erfolg dieser Verfahren nachvollziehbar gewährleistet ist (§ 4 Abs. 2 MPBetreibV).
Eine ordnungsgemäße Aufbereitung von Medizinprodukten wird vermutet, wenn die gemeinsame Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zu den Anforderungen an die Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten beachtet wird. Diese rechtlich an sich unverbindlichen RKI-Empfehlungen erlangen durch die Vermutungswirkung für eine ordnungsgemäße Aufbereitung von Medizinprodukten den Status eines antizipierten Sachverständigengutachtens und gewinnen damit erheblich an sachlicher und dann auch rechtlicher Bedeutung. Zwar ist ein Abweichen von den RKI-Empfehlungen nicht automatisch als fehlerhafte Aufbereitung und als Behandlungsfehler zu werten; allerdings greift die Vermutungswirkung nicht ein und der Arzt muss im Einzelfall den Nachweis erbringen, auf welche andere Art und Weise er dennoch die ordnungsgemäße Aufbereitung sichergestellt hat, etwa durch die Befolgung anderer fachspezifischer und ausreichend validierter Verfahren. Für bestimmte Medizinprodukte sieht die MPBetreibV zudem sicherheitstechnische (§ 6) und messtechnische (§ 11) Kontrollen sowie das Führen eines Medizinproduktebuches (§ 7) und eines Bestandsverzeichnisses (§ 8) vor. Die zuständigen Behörden können Einsicht in die entsprechenden Unterlagen verlangen.
• Gesundes Arbeiten
Praxisbegehungen können darüber hinaus auch auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) erfolgen. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Der Praxisinhaber muss die Arbeit für die Mitarbeiter so gestalten, dass eine Gefährdung für Leben und Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.
Die Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind an dem Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten (§ 4 ArbSchG). Der Praxisinhaber ist darüber hinaus verpflichtet, seinen Beschäftigten geeignete Anweisungen zum Arbeitsschutz zu erteilen.
Die zuständigen Behörden haben die Einhaltung des Gesetzes zu überwachen und die Praxisinhaber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu beraten (§ 21 Abs. 1 ArbSchG). Dabei wirken die zuständigen Landesbehörden mit den Trägern der Gesetzlichen Unfallversicherung eng zusammen und fördern den Erfahrungsaustausch; sie unterrichten sich gegenseitig über durchgeführte Betriebsbesichtigungen und deren wesentliche Ergebnisse (§ 21 Abs. 3 ArbSchG).
Zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe können die zuständigen Behörden von Praxisinhabern die erforderlichen Auskünfte und die Überlassung von entsprechenden Unterlagen verlangen (§ 22 Abs. 1 ArbSchG). Darüber hinaus sind die mit der Überwachung Beauftragten nach entsprechender Voranmeldung befugt,
• zu den Betriebs- und Arbeitszeiten die Betriebsstätten, Geschäfts- und Betriebsräume zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen sowie
• in die geschäftlichen Unterlagen der auskunftspflichtigen Personen Einsicht zu nehmen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und
• Betriebsanlagen, Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen zu prüfen, Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen, Messungen vorzunehmen und insbesondere arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren festzustellen und zu untersuchen, auf welche Ursachen ein Arbeitsunfall, eine arbeitsbedingte Erkrankung oder ein Schadensfall zurückzuführen ist.
Die Zuständigkeiten werden auf Landesebene festgelegt. In Nordrhein-Westfalen sind die Bezirksregierungen zuständige Behörde im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes. In Niedersachsen und Baden-Württemberg ist die Staatliche Gewerbeaufsicht zuständig. In Bayern nehmen die Gewerbeaufsichtsämter der Regierungen die Aufgaben nach dem Arbeitsschutzgesetz wahr.
Praxisbegehungen sind auch nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) vorgesehen. Zur Überprüfung der Bestimmungen für den Gesundheits- und Arbeitsschutz von Jugendlichen – zu denen Auszubildende bis zu ihrer Volljährigkeit zählen -sind die Aufsichtsbehörden berechtigt, die Arbeitsstätten während der üblichen Betriebs- und Arbeitszeit zu betreten und zu besichtigen (§ 51 Abs. 2 JArbSchG). Außerhalb dieser Zeit oder wenn sich die Arbeitsstätten in einer Wohnung befinden, dürfen sie nur zur Verhütung von dringenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten und besichtigt werden.
• Der Öffentliche Gesundheitsdienst
Neben den vorgenannten bundesgesetzlichen Vorschriften existieren in einigen Bundesländern Gesetze über den Öffentlichen Gesundheitsdienst, nach denen die Gesundheitsämter verpflichtet sind, über die Einhaltung gesundheitsrechtlicher Bestimmungen und der Anforderungen der Hygiene in ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen zu wachen.
In Nordrhein-Westfalen weist das Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGDG) die Hygieneüberwachung den Kreisen und kreisfreien Städten als untere Gesundheitsbehörde zu und greift die Einteilung der obligatorischen und fakultativen Überwachung des IfSG auf. Die Gesundheitsämter sind berechtigt, während der üblichen Betriebs- und Geschäftszeiten die zu überwachenden Grundstücke, Räume, Anlagen und Einrichtungen zu betreten und dort Besichtigungen, Prüfungen und Untersuchungen vorzunehmen (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 ÖGDG). Zur Verhütung und Abwehr drohender Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung dürfen ihre Mitarbeiter diese Grundstücke und Räume, Anlagen und Einrichtungen sowie damit verbundene Wohnräume auch außerhalb der zuvor genannten Zeiten betreten und dort befindlichen Gegenstände untersuchen (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 ÖGDG).
Die Gesundheitsämter sind weiterhin berechtigt, Proben zum Zwecke der Untersuchung zu fordern oder zu entnehmen und, soweit erforderlich, die entsprechenden Bücher oder sonstigen Unterlagen einzusehen und daraus Ablichtungen zu fertigen (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 ÖGDG).
Nach § 18 ÖGDG obliegt den Gesundheitsämtern zudem die Erfassung der Berufe des Gesundheitswesens und die Überwachung der Berechtigung zur Ausübung eines Berufes des Gesundheitswesens und zur Führung von Berufsbezeichnungen.
• Für die Unfallversicherung
Praxisbegehungen sind auf der Grundlage des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung) durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung möglich. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist der zuständige Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung für nicht staatliche Einrichtungen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege.
Die Berufsgenossenschaft hat die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren und für eine wirksame Erste Hilfe in den Unternehmen zu überwachen sowie die Unternehmer und die Versicherten zu beraten (§ 17 Abs. 1 SGB VII).
Die Aufsichtspersonen sind nach § 19 SGB VII befugt,
• zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke und Betriebsstätten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen,
• von dem Unternehmer die zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben erforderlichen Auskünfte zu verlangen,
• geschäftliche und betriebliche Unterlagen des Unternehmers einzusehen, soweit es die Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe erfordert,
• Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen sowie ihre bestimmungsgemäße Verwendung zu prüfen,
• Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen,
• gegen Empfangsbescheinigung Proben nach ihrer Wahl zu fordern oder zu entnehmen,
• zu untersuchen, ob und auf welche betriebliche Ursache ein Unfall, eine Erkrankung oder ein Schadensfall zurückzuführen ist,
• die Begleitung durch den Unternehmer oder eine von ihm beauftragten Person zu verlangen.
Zur Verhütung dringender Gefahren können die Maßnahmen auch in Wohnräumen und zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden.
Die Berufsgenossenschaftlichen Regeln für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (BG-Regeln) konkretisieren die Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Arbeitsschutz.
Zu nennen sind insbesondere die BGR 250/TRBA 250 „Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege“, BRG 208 „Reinigungsarbeiten mit Infektionsgefahr in medizinischen Bereichen“ und BRG 206 „Desinfektionsarbeiten im Gesundheitsdienst“.
Für Ärzte sind Praxisbegehungen schließlich in verschiedenen Qualitätssicherungsvereinbarungen der Gemeinsamen Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen. Die Qualitätssicherungs- Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß § 75 Abs. 7 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) sieht vor, dass Qualitätsprüfungen im Einzelfall auch am Ort der Leistungserbringung durchgeführt werden können.
Qualität bringt Sicherheit
Da eine gesetzliche Ermächtigung zum Betreten und zur Besichtigung der Praxisräume für die Kassenärztlichen Vereinigungen jedoch fehlt, dürfen Praxisräume nur betreten werden, wenn der Praxisinhaber dies gestattet oder er im Rahmen entsprechender Verträge solchen Überprüfungsmöglichkeiten grundsätzlich zugestimmt hat. Gleiches gilt für die übrigen Vereinbarungen im Rahmen der Gemeinsamen Selbstverwaltung, zum Beispiel zum ambulanten Operieren nach § 115 b SGB V und den ergänzend dazu geltenden dreiseitigen Verträgen.
Ist für eine besondere Abrechnungsgenehmigung jedoch die Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien erforderlich, so wird es dem Praxisinhaber in der Regel nur durch Gestattung einer Begehung möglich sein, die Erfüllung der Kriterien nachzuweisen.
Haftung wegen Mängeln
Die Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften ist insbesondere im Hinblick auf die Folgen eines Verstoßes im Zahnarzthaftungsprozess von Bedeutung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei aktuellen Entscheidungen seine Rechtsprechung bestätigt, nach der Infektionsrisiken aufgrund mangelhafter Hygiene in Arztpraxen dem Bereich der vollbeherrschbaren Risiken zuzuordnen sind. (Urteil vom 20.03.2007 – VI ZR 158/06; Urteil vom 08.01.2008 – VI ZR 118/06).
Bei solchen vollbeherrschbaren Risiken wird eine Kausalität zwischen dem eingetretenen Schaden und der ärztlichen Behandlung vermutet. Die Darlegungs- und Beweislast dreht sich zu Lasten des Zahnarztes um. Das heißt: Nimmt ein Patient den behandelnden Zahnarzt wegen einer Infektion, die er sich im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung zugezogen haben will, auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch und werden in der Praxis Hygienemängel festgestellt, dann muss der Zahnarzt seinerseits nachweisen, dass die vom Patienten behauptete Infektion keinesfalls auf mangelhafte Hygiene in seiner Praxis zurückzuführen ist. Das kann ihm nur gelingen, wenn er nachweislich die angezeigte Sorgfalt bei allen notwendigen Hygienegeboten einhält.
Zukunftsperspektiven
Die unübersichtliche Rechtslage, die uneinheitliche Durchführung von Praxisbegehungen durch Behörden und die Angst vor drohenden Sanktionen machen Praxisbegehungen und Hygieneanforderungen zu einem unerfreulichen Thema für Zahnärzte, welches zunehmend an Bedeutung gewinnt. Solange es keine allgemeinverbindlichen konkreten Anforderungskataloge für eine ordnungsgemäße Hygiene in Zahnarztpraxen gibt und auch unklar ist, nach welchen Maßstäben die Behörden die Praxisbegehungen durchführen, wird die missliche Lage für Zahnärzte weiter fortbestehen.
Aus Sicht der Kammern, so die Einschätzung der BZÄK, wäre die Politik gut beraten, diejenigen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit Repräsenten mittelbarer Staatsverwaltung tätig sind, aufs Engste mit einzubinden und mit der Umsetzung zu betrauen.
Dem einzelnen Zahnarzt wird zunächst nichts anderes übrig bleiben, als sein Hygienemanagement nach den derzeitigen Vorschriften auszurichten, da diese jedenfalls den aktuellen Standard der Praxishygiene wiedergeben. Solange keine anderen fachspezifischen und entsprechend validierten Standards existieren, werden die allgemeinen Hygienestandards nicht nur bei Praxisbegehungen, sondern auch im Haftungsprozess als Sorgfaltsmaßstab des Zahnarztes zugrunde gelegt werden.
Sollten im Anschluss an eine Praxisbegehung die Einschränkung der Praxistätigkeit oder sonstige Maßnahmen angeordnet werden, kann der betroffene Praxisinhaber sich rechtlich – gegebenenfalls auch mit Hilfe gerichtlich erwirkter einstweiliger Verfügungen – gegen solche Anordnungen wehren.
Weitaus positiver wäre es, wenn sich – ebenso wie bei der beispielhaften Zusammenarbeit der zuständigen Stellen für Arztpraxen in Baden-Württemberg – auch in anderen Bundesländern im Interesse der Rechtssicherheit für alle Beteiligten eine entsprechende Kooperation entwickelt. Es liegt aber an den einzelnen staatlichen Stellen, diese Chance wahrzunehmen und zur Vereinheitlichung der Praxis von Begehungen beizutragen.
Rechtsanwalt Dr. Albrecht WienkeRechtsanwältin Dr. Kathrin JankeWienke & Becker – KölnBonner Straße 323, 50968 KölnAWienke@Kanzlei-WBK.deKJanke@Kanzlei-WBK.de