Ergo fürs Ego
Wenn Philipp von Kunhardt telefoniert, dann hüpft er gerne mal. Nicht aus Freude, eher zur Entspannung. Die Muskeln sollen locker werden, der Geist Kraft schöpfen, wenn der Unternehmer im Kölner Osten im Büro auf dem Trampolin springt. Kunhardts erklärtes Ziel: Betriebliche Prävention gehört in seine Firma, die gesundheitsfördernde Sportgeräte herstellt. Damit liegt er im Trend. Ebenso eine Hamburger Zahnärztin, die sich und ihr Team nach dem Motto „Ergo fürs Ego“ fit hält.
Begünstigt vom Fiskus
Die Modelle für betriebliche Prävention schießen wir Pilze aus der Erde. Firmen und Behörden führen „Gesundheitsmanagement“ ein. Nachdem unter anderem die aktuelle Studie der deutschen Sporthochschule Köln deren wirtschaftlichen Nutzen belegt hat, ist auch Vater Staat aufgewacht. Die Bundesregierung will die betriebliche Gesundheitsvorsorge stärker fördern. Ab 2009 sollen Unternehmen die Kosten dafür bis zu 500 Euro pro Beschäftigtem und Jahr von der Steuer absetzen können.
Bislang müssten die Betriebe bei Rückenschulen, Massagen oder Antistress-Kursen nachweisen, dass sie im überwiegenden Interesse des Unternehmens liegen, um sie als Lohnkosten von der Steuer absetzen zu können, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im BMG, Rolf Schwanitz, der Zeitung „Handelsblatt“. Diese Prüfung des Fiskus könnte künftig in der Regel entfallen. Wenn die Änderungen im Jahressteuergesetz 2009 in Kraft treten.
Auch für Zahnärzte sind interessante Optionen dabei: Interessierten Chefs winken derzeit die unterschiedlichsten Motivationsschübe – seitens Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), bayerischem Gesundheitsministerium, Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) oder Krankenkassen. Mal als Finanzspritze oder als Inhouse-Seminar, mal als EDV-Tool oder als Check-Liste zur Mängel-Erfassung oder eine Vermittlung von kompetenten Ansprechpartnern (Details siehe Leserservice).
Die Resonanz auf die verschiedenen Angebote ist groß, denn die Belegschaft in den Firmen altert und damit ihre Konstitution. Deshalb wollen Firmen und Behörden in Gesundheitsförderung investieren. Durchaus eigennützig, denn vermeidbare Fehlzeiten kommen sie teuer zu stehen; ermittelten Krankenkassen und Wirtschaftsinstitute doch volkswirtschaftliche Nachteile in Millionenhöhe. Laut BGW prägen Führungskräfte die Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter. Sie haben die Schlüsselrolle inne und erheblichen Einfluss auf die Belastungen am Arbeitsplatz – und damit auf das Wohlbefinden der Beschäftigten, berichtet die BGW. Von ihrem Führungsstil hängt ab, ob Anforderungen sich zu Überforderungen wandeln. Projekte zum Gesundheitsschutz seien besonders dann erfolgreich, wenn sich die Führungskräfte mit identifizieren und die Umsetzung unterstützen. Mit dem Projekt „Gesundheitsfördernd Führen“ hat die BGW bereits 2006 genau an diesem Punkt mit dem ersten Schritt „Selbsteinschätzung – Fremdeinschätzung“ angesetzt, um zunächst eine stimmige Ansicht zu erhalten.
Hüpfende Chefs wären also beispielhaft. „Gerade Trampolinspringen ist natürlich klasse, weil dies den Körper ganz anders beansprucht als Sitzen. Der Stoffwechsel kommt auf Touren, der Kreislauf in Schwung und die Konzentration zurück für die Arbeit vor dem Bildschirm oder am Stuhl“, lobt Anne-Christin Stoffer das Kölner Konzept. Stoffer ist eine, die es wissen muss. Die Physiotherapeutin aus Hamburg referiert als Ergonomie- und Arbeitsplatzberaterin ® unter anderem für die BAuA über „Physische Gefährdungsfaktoren und körperlichen Ausgleich bei der Arbeit“.
Doch zur Theorie kennt die Physiotherapeutin sich auch in der Praxis aus. Zum Beispiel in der ihrer Zahnärztin Renate Dzingel in Hamburg. Denn die wollte den Beschwerden ein Ende bereiten, die sie und ihre Mitarbeiter nach anstrengenden Arbeitstagen plagten. Daher vereinbarten die beiden Frauen eine individuelle Ergonomieschulung vor Ort in der Zahnarztpraxis. Die Physiotherapeutin mit der Spezialausbildung zum Physioconsult® sollte die Arbeitsabläufe und -bedingungen auf Fehlerquellen checken.
Dass Ergo dem Ego nutzt, bestätigt auch das Gesundheitsministerium Bayerns: „Neben gesünderen Mitarbeitern ist vor allem ein besseres Betriebsklima das Ergebnis. Und guter Kundenservice klappt nur mit zufriedenen und motivierten Mitarbeitern.“ Zudem sei Engagement für gesunde Mitarbeiter ein entscheidender Vorzeigefaktor im Wettbewerb um qualifizierte neue Arbeitskräfte.
Auf der Homepage des Ministeriums können interessierte Unternehmer Handlungsleitfäden und EDV-Tools herunterladen, um „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ einzuführen, das laut Ministerium ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von mindestens 1:3 erbringt.
Alle Mann ins Boot
Da das Gelingen einer Schulung von der Motivation des gesamten Teams abhängt, holte Anne-Christin Stoffer erst einmal die Hamburger Zahnärztin und ihre vier Mitarbeiterinnen an einen Tisch. Auf dem lag der „nordische Mann“, eine einfache Zeichnung eines Körpers. Darauf markierte jede der fünf Frauen ihre(n) neuralgischen Punkt(e) mit einem roten Aufkleber. Oder sah diesen bereits markiert, weil eine Leidensgenossin ihr zuvor gekommen war. So viele Stellen! Und so viele deckungsgleich! Wie so oft, wenn Menschen entdecken, dass ihre Misere auch die der anderen ist, hob sich die Laune, stieg die Motivation.
Am Stuhl schaute Stoffer Chefin und Team auf die Finger, Arme, Schultern und den Rücken. Schnell fand sie die Schwachstellen bei der Haltung heraus. Und zeigte Lösungen auf. Zum Beispiel für eine Entlastung der Arme: „Wenn ein Behandlungsschritt lange dauert, können Sie Schultergürtel und Nacken, Handgelenk und Arm entlasten, indem Sie mit Einverständnis des Patienten ihre Hand mit dem kleinen Finger auf seiner Stirn abstützen“, erklärte die Fachfrau. Mit geschultem Blick deckte sie weitere falsche Bewegungsmuster auf. Gab Tipps, um wenigstens manche davon, etwa die einseitige Hinwendung zum Patienten, immerhin etwas zu reduzieren. Zusätzlich zu der richtigen Haltung lehrte die Physiotherapeutin die passenden Entspannungsübungen, damit die Muskeln locker bleiben. Und sie ging noch weiter – checkte das Inventar.
Da die Zahnärztin sich entschlossen hatte, in ihrer Praxis gesundem Arbeiten eine hohe Priorität einzuräumen, musste die Arbeitsplatte der Rezeptions in den Müll. Zwei verschieden hohe Arbeitsplatten hatten zu Vorgängers Zeiten zwar Sinn gemacht, inzwischen jedoch behinderten sie die Rezeptionistin Tanja Schormann bei jedem Handgriff am PC, der Unterbau ließ kaum Beinfreiheit.
Auch die richtige Haltung der Hände an der Tastatur nutzt, um Schäden vorzubeugen. Bei Fehlbelastung machen sich Gefühllosigkeit in den Fingern und der Hand bemerkbar, oft kombiniert mit Armschmerzen bis in die Schulter. Die überwiegend nächtlichen Zeichen können auf einem Problem der Halswirbelsäule beruhen. Oder aber Symptom eines Nerven-Engpass-Syndroms an der Handwurzel, dem Karpaltunnelsyndrom, sein; unbehandelt werden die Finger kraftlos, die Griffstärke sinkt, der Schmerzpegel steigt. Frühzeitige Abhilfe macht doppelt Sinn: Helfen Haltungskorrektur und zum Beispiel eine ergonomische Tastatur, so gesellt sich zur neuen Beschwerdefreiheit beim Mitarbeiter das Bewusstsein, dass der Chef ihn als Mensch wahrnimmt und seine Fehlzeiten mindern sich.
Die Rezeptionistin Tanja Schormann jedenfalls genießt an dem neuen, durchgängigen Tresen jetzt echte Handlungsfreiheit. Und spürt trotz eines Wirbelsäulenleidens selten Schmerzen.
Wie die Hamburger Zahnarztpraxis profitieren inzwischen bundesweit viele Firmen von betrieblicher Prävention. Nicht immer lässt sich der Erfolg so feiern, wie bei Renate Dzingel, die mit ihrer Mannschaft und einer Fachfrau der Quelle aller Übel vor Ort auf den Grund ging. Auch Philipp von Kunhardt hat vor die Umsetzung eine gründliche vierjährige Mängelanalyse gesetzt, auf deren Ergebnissen sein Bewegungsprojekt fußt. Einfach nach Schema F vorzubeugen bringt herzlich wenig, bestätigen Studien. Allein konkretes Wissen um die firmeneigenen Missstände, die es zu beheben gilt, bildet die Basis für erfolgreiche Prävention im Betrieb.
„Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fördert Gesundheitsseminare für Betriebe“, berichtet Stoffer. Eine sogenannte Gefährdungsbeurteilung ist laut Arbeitsschutzgesetz Pflicht für Betriebsinhaber, betont BAuA-Pressesprecher Jörg Feldmann. Nach Absprache mit Interessenten werden Schulungen als „Inhouse-Seminare“ durchgeführt. Der Kooperationspartner muss mindestens 15 Teilnehmer stellen und sich an den Gesamtkosten der Seminarveranstaltungen beteiligen, die BAuA erhebt von den Kooperationspartnern lediglich je Seminar eine Pauschale von 300 bis 400 Euro und übernimmt gegebenenfalls weitere Kosten. Die Schwerpunkte liegen in den drei Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, betriebliches Gesundheitsmanagement sowie ausgewählte betriebliche Fragestellungen.
Grundsätzlich kann erst, wenn der Bedarf einer Firma feststeht, das passende Konzept entwickelt werden, erinnern Fachleute an die richtige Schrittfolge bei Planung und Umsetzung. Denn vom Öko-Essen über Massagen zum Mittag bis Reiki in der Pause oder Sport am Abend wird vieles angeboten. Häufiger noch werden Gesundheitsvorträge, Firmen-Sportgruppen oder Bewegungsprogamme eingerichtet, um langfristig Cholesterin und Übergewicht beizukommen. So animiert zum Beispiel die „Aktion-Rad“ in Behörden die Mitarbeiter, für den Weg zur Arbeit mehrmals im Monat umzusatteln.
Bewegte Muster
Auf Bewegungsmuster setzt auch das Präventionsprogramm des Kölner Unternehmers von Kunhardt. Anlass für Änderungen waren zwei Aspekte: Der überaus hohe Krankenstand von etwa elf Prozent und die Firmenphilosophie „Arbeitszeit ist Lebenszeit“. „Dieser Aspekt wird oft unterschlagen, aber eigentlich arbeiten wir fast ein Drittel des Lebens. Ergo sollten wir in dieser Zeit pfleglich mit uns und mit unseren Arbeitnehmern umgehen. Man schickt Mitarbeiter ja auch auf fachliche Fortbildungen“, konstatiert von Kunhardt. Das aktuelle Modell der Kölner Firma zur bewegten Prävention basiert auf zwei Modellen.
Bei Modell A rechnet die Firma mindestens 90 Minuten, maximal drei Stunden Sport die Woche zu zwei Dritteln als Arbeitszeit an. Wer also eine Stunde Hinweg mit dem Fahrrad zurücklegt, kann sich 40 Minuten gutschreiben, eine halbe Stunde Joggen bringt 20 Minuten. „Wir fördern in der Regel Ausdauertraining also gesundheitsfördernde Sportarten, die erfrischen, wie Tennis, aber kein Leistungstraining. Das gilt auch für Fitness in den Ferien. Wer wiederkommt, kann seine sportliche Leistung gleich nachtragen,“ erklärt der Unternehmer. Andere erledigen nach Modell B das Pensum während der Arbeitszeit, etwa indem sie ein Meeting mit Joggen verbinden. Oder wie der Chef auf dem Trampolin hüpfen.
Mach mal Pause
Bewegung bleibt auch in der Hamburger Zahnarztpraxis angesagt. Wenn sich heute an anstrengenden Tagen bei Rezeptionistin Tanja Schormann die ersten Anzeichen für Verspannungen bemerkbar machen, legt sie beizeiten eine kurze Pause für die Übungen ein und holt sich Verstärkung von der Fachfront, mit Krankengymnastik und Massagen vor osteopathischer Behandlung.
Rückenbeschwerden müssen nicht sein, meinen auch ihre Kolleginnen. Sobald Verspannungen auftreten, setzen sie sich wieder bewusster hin oder holen sich einen anderen Stuhl. Prophylaxehelferin Nevim Nalbantgil-Hahn nutzt zum Beispiel den neuen Sattelstuhl gerne, der zierlicheren Kolleginnen wiederum mehr Probleme bereitet als der alte Arbeitsstuhl.
Eine gewisse Rotation bei der Belegung der Arbeitsplätze in der Praxis trägt zur physischen Entlastung bei, der gelebte Teamgeist zur psychischen, zieht die Chefin ihr Fazit: „Für die Mitarbeiterinnen ist es ungemein wichtig, das ich mich für sie und ihr Wohlbefinden interessiere. Und der ganz positiv Nebeneffekt dabei ist, dass sich dadurch alles immer wieder entkrampft, im wahrsten Sinne des Wortes.“ Und sie lacht, ganz entspannt.
Das zahlt sich aus
Entspannt arbeiten, entspannt leben, dass reizt auch die Mitarbeiter beim Kölner Unternehmer Kunhardt. Er gibt ihnen zudem einen pekuniären Anreiz: Jede Woche, die ein Mitarbeiter dass Bewegungs-Programm durchhält, wird am Jahresende honoriert: bis zu einem halben Monatsgehalt kann man sich erlaufen, errudern oder erhüpfen. Für den Unternehmer liegen die Vorteile einer bewegten Mannschaft auf der Hand:
a) Die krankheitsbedingten Fehlzeiten reduzierten sich. Die Einstellung zur Arbeit hat sich positiv verändert, der Gesundheitsgedanke steht im Vordergrund.
b) Die Mitarbeiter zeigen jetzt eine ganz andere Einsatzfreude, wollen insgesamt gesund leben, wirken ausgeglichener, belastbarer und freundlicher – das spüren auch die Kunden. Die Mitarbeiter sind nun das Potenzial des Unternehmers. Er will sie optimal einsetzen, ohne sie auszubeuten.
c) „Mit der eigenen Vitalkapazität wächst die Anerkennung des Unternehmens bei den Mitarbeitern enorm!“, freut Kunhardt sich über die gelebte Win-Win-Situation: Die Mitarbeiter fühlen sich persönlich ernst genommen und verspüren Stolz, ein Teil der Firma zu sein. Auch dem Chef spürt man die Lebensfreude an, die seine bewegte Arbeitszeit ihm bringt.
Macht der Chef etwas vor …
... motiviert das die Mitarbeiter am meisten. Im Schnitt zieht bei betrieblicher Prävention übrigens ein Drittel der Teilnehmer das Training durch. Die Quote hängt jedoch stark ab von dem Vorbild Chef, betonen Experten, denn das Verhalten ändere sich nur über Emotionen.
Stimmt, meint Renate Dzingel. Sie übt fleißig, auch noch 18 Monate nach der Ergo-Schulung. Nicht immer, aber immer wieder. Eines spornt sie besonders an: „Ich bin beschwerdefrei, und das bei meinem 20-jährigen Dienstjubiläum“. Ein gutes Beispiel zu geben, das ist Renate Dzingel ebenso wichtig. In dieser Überzeugung hat ihre Azubi Nicole Haase sie bestärkt: „Immer wenn ich sehe, dass Sie die Übungen machen, mache ich die auch!“, hat die Jüngste im Team der Chefin erklärt.
„Als Unternehmer muss ich vorbildlich sein, sonst bringt es nichts“, lautet auch das Credo von Philipp von Kunhardt, denn schließlich müsse jeder für sich aktiv werden. Damit sein bewegtes Konzept weiter Erfolg zeigt statt bald zu versanden, will er am Ball bleiben. Nicht nur im Büro, auch abends im Fußballspiel mit seinen Söhnen. Denn in puncto „Gesund Leben und Arbeiten“ wollen beide, die Zahnärztin Renate Dzingel in Hamburg ebenso wie der Unternehmer Philipp von Kunhardt in Köln, mit gutem Beispiel voran gehen.