Ewing-Sarkom der Mandibula
Fallbericht
Ein 24-jähriger Patient in leicht reduziertem Allgemein- und gutem Ernährungszustand wurde von seinem Hauszahnarzt aufgrund einer seit vier Wochen zunehmenden Schwellung im Bereich des Mundbodens und Unterkiefers rechts in die eigene Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie überwiesen. Der Hauszahnarzt hatte zunächst einen Mundbodenabszess, ausgehend von einer exazerbierten chronischen apikalen Parodontitis, vermutet und sowohl eine Inzision als auch eine antibiotische Therapie durchgeführt. Ferner war eine Wurzelkanalbehandlung, Wurzelspitzenresektion und Schienung der gelockerten Zähne 43-45 erfolgt.
Bei der Erstvorstellung imponierte rechtsseitig eine submandibuläre Schwellung (Abbildung 1). Intraoral ließ sich ein zirka 6x4cm2 messender, dunkelroter Tumor im Bereich des Alveolarfortsatzes regio 33 bis 46 mit Infiltration des Vestibulums und des Mundbodens erkennen (Abbildung 2). Die Zunge wirkte angehoben, die Sprache klosig. Der Tumor war kaum berührungsempfindlich und palpierte sich derb, unverschieblich und gut abgrenzbar. Zusätzlich ließ sich submandibulär rechts ein vergrößerter Lymphknoten von 1,5 cm tasten.
Im Innervationsgebiet des rechten Nervus alveolaris inferior bestand eine Hypästhesie. Im Kälte-Provokationstest reagierten die Zähne 32-42 und 46 negativ und wiesen einen Lockerungsgrad II auf.
Im mitgebrachten Orthopantomogramm zeigte sich im Bereich der Zähne 42-46 eine unscharfe Osteolyse, welche den Unterkiefer vertikal durchsetzte und bis in die Interdentalräume reichte (Abbildung 3). Körpertemperatur und Blutlaborwerte lagen im Normbereich.
Die histopathologische Begutachtung einer Biopsie diagnostizierte ein hoch malignes Ewing-Sarkom (FNCLCC Grading-System: Grad 3) (Abbildung 4). Aufgrund der seltenen Diagnose erfolgte die Übersendung von Gewebeproben ins Knochentumorreferenzzentrum zu Prof. Jundt nach Basel sowie ins Sarkomreferenzzentrum zu Prof. Leuschner nach Kiel, welche – gestützt durch molekularpathologische Zusatzuntersuchungen (Positivität für CD 99, FLI-1 und Nachweis der Chromosomentranslokation (t: 11 ; 22) (q; 24 : 12) – die Diagnose bestätigten.
Die daraufhin eingeleiteten Staging-Untersuchungen (Sonographie Positronen-Emissionstomographie inklusive Computertomographie und Magnetresonanztomographie) ergaben eine ausgedehnte Osteodestruktion des Unterkiefers rechts mit Mittellinien überschreitender Weichteilinfiltration und metastasensuspekten Lymphknoten submandibulär rechts, allerdings ohne Hinweis auf Fernmetastasen (Abbildungen 5, 6). Nach Unterkieferkontinuitätsresektion von regio 36 bis zum rechten Kieferwinkel (Abbildung 7), zervikaler Lymphknotenausräumung und primärer Rekonstruktion mit einem mikrovaskulär reanastomosierten osteomyokutanen Fibulatransplantat wurde durch die Kollegen der Klinik für Hämato-Onkologie eine Chemotherapie nach dem CWS-2002P-Studienprotokoll eingeleitet.
Diskussion
Akut auftretende Mundbodenschwellungen lassen – wie oben beschrieben – zunächst ein Infiltrat oder einen Abszess vermuten. Die gelockerten, im Kälte-Provokationstest negativen Zähne und die apikale Transluzenz im Orthopantomogramm lenkten den Verdacht auf eine apikale Parodontitis als odontogene Causa. Dennoch sollten bei ausgedehnten Osteolysen stets tumoröse Läsionen in die differentialdiagnostischen Überlegungen miteinbezogen werden. So zeigten vorherige, in den zm vorgestellte Fallberichte eines infizierten keratozystischen odontogenen Tumors [Paulo et al., 2006] oder eines intraossären Karzinoms mit Ausbreitung in den Mundboden [Müller-Richter et al., 2007] ein ähnliches klinisches und röntgenologisches Bild. Subfebrile Temperaturen und veränderte Blutlaborwerte, wie erhöhte BSG, Leukozytose und erhöhtes CRP, können die Diagnose weiterhin erschweren, da sie sowohl bei Infektionen als auch bei malignen Tumoren auftreten können [Ehrenfeld und Prein, 2002]. Wiederholt lassen sich in der Literatur Berichte über Sarkome finden, bei denen die Entzündungsparameter erhöht waren [Dorfmann et al., 2002; Bernstein et al., 2006; Salomon et al., 2008].
Die aufgetretene Hypästhesie im Innervationsgebiet des rechten Nervus alveolaris inferior ist im Zusammenhang mit der unscharf begrenzten, rasch an Größe zunehmenden, röntgenologischen Aufhellung mit einem Malignom vereinbar, wird aber auch im Zusammenhang mit einer Osteomyelitis (Vincent-Syndrom) beschrieben [Howaldt und Schmelzeisen, 2002a]. Daher erforderte im vorgestellten Fall die Stellung der definitiven Diagnose „Ewing-Sarkom” eine histopathologische Begutachtung einer Gewebeprobe. Diese wird bei allen apikalen Aufhellungen größeren Ausmaßes gefordert und ist auch im Rahmen einer Wurzelspitzenresektion möglich [Kunkel et al., 2007].
Das Ewing-Sarkom (ICD-0 code 9260/3) ist ein primitiver neuroektodermaler maligner Tumor des Knochens, der mit einer Prävalenz von etwa sechs bis acht Prozent in der Häufigkeit nach dem Osteosarkom und Chondrosarkom auftritt. Prädilektionsstellen sind die Diaphysen der langen Röhrenknochen [Dorfmann et al., 2002; Salomon et al., 2008]. Im Gesichtsskelett, insbesondere in der Mandibula, treten etwas ein bis zwei Prozent aller Fälle auf [Ehrenfeld und Prein, 2002; Talesh et al., 2003; Bernstein et al., 2006,]. Wie im vorgestellten Fall tritt das Ewing-Sarkom vermehrt bei Männern (m : w = 60 Prozent : 40 Prozent) und selten nach dem dritten Lebensjahrzehnt auf [Ushigome et al., 2002; Talesh et al., 2003].
Charakteristisch ist eine relativ rasche hämatogene Metastasierung, welche primär die Lunge, aber auch das Skelettsystem betrifft. Dies macht im Rahmen der Staging-Untersuchungen Ganzkörper-Bildgebungen (Positronenemissionstomographie in Kombination mit Computertomographie PET-CT oder Skelettszintigraphie) unbedingt notwendig.
In der Bildgebung zeigt sich meist eine unscharf begrenzte Osteolysezone häufig mit Kortikalisdurchbruch, geringer periostaler Reaktion und gelegentlichen Spikulae [Ehrenfeld und Prein, 2002]. Allerdings bleibt die genaue intraossäre Ausdehnung auch im CT und MRT nur begrenzt beurteilbar [Lopes et al., 2007]. Die für das Ewing-Sarkom der langen Röhrenknochen charakteristische periostale knöcherne Reaktion, auch „Zwiebelschalenphänomen“ genannt, ist im Gesichtsskelett weniger ausgeprägt [Howaldt und Schmelzeisen, 2002b]. Histologisch findet sich ein wenig differenziertes zellreiches Tumorgewebe von mesenchymaler Herkunft aus kleinen, blauen, runden Tumorzellen [Ehrenfeld und Prein, 2002; Bernstein et al., 2006]. Bei mehr als 90 Prozent der Patienten mit einem Ewing-Sarkom kann eine Chromosomentranslokation (t: 11; 22) (q24; 12) nachgewiesen werden. Zudem exprimieren Ewing-Sarkome vermehrt Zelloberflächen-Glycoproteine, die als „cluster of differentiation 99 (CD 99)” bekannt sind [Salomon et al., 2008]. Auch im hier vorgestellten Fall konnte die Chromosomentranslokation nachgewiesen werden. Es bestand eine immunhistochemische Positivität für CD 99 und FLI-1.
Entscheidend für die Prognose ist die chirurgische Resektion weit im Gesunden, welche mit der Chemotherapie die Eckpunkte der Behandlung bildet [Bernstein et al., 2006]. Hierbei sollte die Chemotherapie – wie im aktuellen klinischen Fall – nach standardisierten Behandlungsprotokollen im Rahmen von Studien, zum Beispiel der Euro-Ewing-Studie oder der CWS-2002P, erfolgen [Schultze-Mosgau et al., 2005; Salomon et al., 2008].
Dr. Dr. Martin Gosau
PD. Dr. Dr. Oliver Driemel
Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg