Locked-In-Syndrom und Wachkoma
Sowohl das Locked-In-Syndrom als auch das Wachkoma sind selten und finden öffentlich Beachtung meist nur, wenn in den Medien über spektakuläre Einzelfälle berichtet wird. Dies gilt vor allem für das Krankheitsbild des Locked-In-Syndroms (LIS), das in der allgemeinen Bevölkerung kaum bekannt ist. Es ist jedoch schon lange als Erkrankung beschrieben und fand sogar literarisch Niederschlag im Roman „Der Graf von Monte Christo“, in dem Alexandre Dumas (1802-1870) mit der Figur des Monsieur Noirtier de Villefort einen Patienten mit LIS beschreibt.
Das Locked-In-Syndrom
Patienten mit Locked-In-Syndrom wurden früher häufig für „scheintot“ gehalten. So wurde vom „lebenden Leichnam“ gesprochen, vom „Pseudokoma“ oder in Anspielung auf Dumas’ Roman auch vom „Monte-Christo-Syndrom“. Übersetzen lässt sich der Begriff „Locked-In-Syndrom“ am ehesten mit „Syndrom des Eingeschlossenseins“. Er charakterisiert ein Krankheitsbild, bei dem das Bewusstsein des Menschen erhalten, dieser aber praktisch vollständig gelähmt ist.
Neben der Tetraplegie besteht auch eine Dysarthrie, eine Lähmung des Sprechapparates und eventuell auch der Atmung. Die Patienten sind, so heißt es häufig, „Gefangene in ihrem eigenen Körper“. Sie können sich nicht bewegen und nicht sprechen und sind oft nur in der Lage, sich durch minimale Bewegungen, zum Beispiel ein Blinzeln mit dem Auge, bemerkbar zu machen. Denn in aller Regel ist beim LIS nur mehr die vertikale Augenbewegung als Ausdrucksmöglichkeit erhalten.
Ist auch dies nicht der Fall, so kann lediglich über ein sogenanntes Brain-Computer-Interface (BCI) Kontakt zu dem Betroffenen aufgenommen und diesem die Möglichkeit zur Kommunikation mit der Außenwelt gegeben werden. Durch das BCI kann ohne Zuhilfenahme der Extremitäten eine Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer hergestellt werden. Dies geschieht beispielsweise, indem die elektrische oder auch die hämodynamische Aktivität des Gehirns aufgezeichnet wird. Denn schon allein die Vorstellung, Hand oder Fuß zu bewegen, löst im Gehirn elektrische Impulse aus. Diese können registriert und nach entsprechendem Training in Steuersignale umgesetzt werden, die ihrerseits über den Computer dann Kommunikation erlauben.
Das Locked-In-Syndrom ist zumeist Folge eines Stammhirninfarkts durch eine Thrombose der Arteria basilaris. Es kommt dadurch zu Schädigungen des Gehirns und zwar meist zu Läsionen in der Pons, im Mittelhirn oder auf beiden Seiten der Capsula interna. Außerdem können auch andere Erkrankungen, wie die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine Meningitis, Intoxikationen oder auch ein Unfall, Hirnläsionen mit der Folge eines LIS verursachen.
Behandlung und Prognose
Patienten mit Locked-In-Syndrom benötigen eine umfassende Betreuung und Pflege, wobei sie aufgrund einer Dysphagie häufig auch künstlich ernährt werden müssen. Eine spezifische, kausal orientierte Therapie des LIS ist bislang nicht möglich. Durch umfassende Behandlungsmaßnahmen können bei vielen Patienten eine Besserung des klinischen Zustandes und eine verbesserte Kommunikation mit der Umwelt erreicht werden. Andererseits ist die Mortalität des LIS hoch, auch wenn Zehn-Jahres-Überlebensraten von bis zu 80 Prozent berichtet werden.
Die Behandlung umfasst Krankengymnastik, Ergotherapie und auch Logopädie. Sie sollte rasch einsetzen, da dann die besten Rehabilitationserfolge zu erzielen sind. Wird mit der Therapie frühzeitig begonnen, sind zum Teil erstaunliche Verbesserungen möglich, da das Gehirn offenbar bessere Reparaturmechanismen besitzt als lange bekannt war.
Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie
Zum Beispiel kann es bei der Physiotherapie durch ein sogenanntes „systematisches repetitives Basis-Training“ gelingen, wieder Beweglichkeit herzustellen. Dabei werden nach Angaben der Physiotherapeutin Christel Eickhof zunächst nur Einzelbewegungen im Gelenk geübt. Erst wenn diese wieder möglich sind, wird die Haltearbeit mitgeübt, schreibt die Physiotherapeutin auf der WebSeite der Berliner Selbsthilfegruppe LIS – Locked-In-Syndrom e.V.. Anschließend können dann die Einzelbewegungen und die Haltearbeit zu den unterschiedlichsten Tätigkeiten kombiniert werden.
Das Verfahren wurde laut Eickhof bei Patienten nach Schlaganfall untersucht und hat sich auch bei Erkrankten mit Halbseitenlähmung als wirksam erwiesen. Es wurde im Rahmen einer Einzelfallstudie auch beim LIS erfolgreich eingesetzt. Bei Lähmungen, bei denen keine Spontanerholung auftritt, dauert es mit dem geschilderten Verfahren nach den Erfahrungen der Physiotherapeutin zirka sechs Monate, bis erste leichte Bewegungsansätze möglich sind und zwölf bis 24 Monate, bis Alltagstätigkeiten wieder durchgeführt werden können. Voraussetzung ist ein intensives, praktisch tägliches Training. Durch ein solches Mobilisationstraining kann nach Eickhof bei vielen Patienten die Situation stabilisiert und auch eine klinische Besserung erzielt werden.
Parallel zur Physiotherapie wird bei der Ergotherapie versucht, die neurophysiologischen Defizite auszugleichen. Mit der logopädischen Therapie soll gezielt die Kommunikationsfähigkeit gebessert werden.
LIS-Patienten können in aller Regel zunächst nur über Augenbewegungen anhand vereinbarter Signale kommunizieren. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass ein Lidschluss „ja“ bedeutet, folgen zwei Lidschlüsse aufeinander, so meint der Patient „nein“. Auch kann über eine Buchstabentafel und das Zeigen auf bestimmte Buchstaben Kontakt zum Patienten hergestellt werden. Die logopädischen Übungen sind aufwändig, können aber langfristig dazu führen, dass der Betroffene wieder mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann.
Apallisches Syndrom – das Wachkoma
Im Gegensatz zum Locked-In-Syndrom ist beim Wachkoma das Bewusstsein des Patienten nicht erhalten. Dieser hat keine kognitiven Funktionen und kann weder aktiv noch passiv mit seiner Umwelt in Kontakt treten. Anders als beim Koma liegt der Patient beim Wachkoma – wie der Name schon andeutet – wach im Bett, wobei der Blick meist starr ist und unfixiert ins Leere geht. Einen Blickkontakt zum Patienten aufzubauen, ist nicht möglich. Es besteht beim Wachkoma eine Harn- und Stuhlinkontinenz, der Schlaf/Wachrhythmus ist erhalten, aber häufig gestört.
Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts wird das Wachkoma als apallisches Syndrom (APS) bezeichnet, abgeleitet vom lateinischen pallium = Hirnmantel. In der neueren Literatur wird das Syndrom auch als „persistent vegetative state“ oder einfach nur als „vegetative state“ bezeichnet.
Definiert ist das Wachkoma als Zustand mit vollständigem Verlust des Bewusstseins über sich selbst und die Umwelt, der Fähigkeit zu kommunizieren, der Fähigkeit zu willkürlichen und sinnvollen Verhaltensänderungen infolge einer externen Stimulation und mit Verlust von Sprechfähigkeit und Sprachverständnis. Einige Patientengeben Laute, wie Schmatzen oder Grunzen, von sich oder können mit den Zähnen knirschen. Auch ist es Wachkoma-Patienten zum Teil möglich, Grimassen zu schneiden, zu lächeln oder zu weinen. Es handelt sich weder bei den Lauten noch bei den mimischen Äußerungen um willkürliche Reaktionen. Nicht selten kommt es bei dem Patienten zu Kopf- oder Augenbewegungen in Richtung einer Reizquelle. Auch dies ist nicht als gerichtete Bewegung zu verstehen, sondern als eine Art Orientierungsreflex.
Die Krankheitsursachen
Die zerebrale Funktionsstörung kann auftreten nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, als Folge eines Schlaganfalls oder einer entzündlichen Hirnerkrankung wie der Meningitis oder der Enzephalitis, als Folge eines Hirntumors oder nach schwerer Hirnischämie, zum Beispiel im Rahmen einer Reanimation. Auch eine massive anhaltende Hypoglykämie als Folge eines Suizidversuchs mit Insulin kann ein Wachkoma verursachen.
Grundlage des APS ist eine schwere Hirnschädigung, bei der die Funktion des Großhirns erloschen ist, die Funktion des Hirnstamms, des Zwischenhirns und des Rückenmarks aber erhalten bleibt. Es wird diskutiert, dass durch die Hirnschädigung eine Entkopplung der Großhirnrinde vom übrigen Gehirn erfolgt, wobei vor allem die vom Hirnstamm gesteuerten vegetativen Funktionen, wie die Atmung und die Temperatursowie Herzkreislaufregulation, weitgehend unbeeinträchtigt bleiben. Angenommen wird ferner, dass auch die Schmerzreflexe bestehen bleiben, wenngleich zielgerichtete Muskelbewegungen offenbar nicht mehr möglich sind. Zudem ist die Sensorik, also die differenzierte Empfindungsfähigkeit, ebenso gestört wie die Verarbeitung von Sinnesreizen über die kognitive Funktion.
Das apallische Syndrom ist insgesamt eine seltene Erkrankung. In den USA wird die Zahl der betroffenen Erwachsenen auf 10 000 bis 25 000 geschätzt, die der betroffenen Kinder auf 4 000 bis 10 000. Erhebungen für Deutschland gibt es nicht, hochgerechnet auf Basis der US-Zahlen wird von mindestens 3 000 apallischen Patienten in Deutschland ausgegangen.
Therapie bei Wachkoma-Patienten
Die Patienten werden üblicherweise zunächst intensivmedizinisch behandelt, da sie in der ersten Zeit oft komatös sind und beatmet werden müssen. In den folgenden Wochen müssen die Vitalfunktionen stabilisiert werden und die Betroffenen können schließlich die Intensivstation verlassen und in einer entsprechenden Pflegeeinrichtung oder auch zu Hause durch ihre Angehörigen betreut werden.
Wie beim LIS, so gibt es auch beim Wachkoma keinen kausal orientierten Behandlungsansatz. Die Patienten müssen in aller Regel künstlich ernährt werden, was über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) geschieht. Durch diese Maßnahme wird der Patient praktisch am Leben erhalten. Es gibt immer wieder spektakuläre und öffentlich viel diskutierte Fälle, in denen es darum geht, ob es ethisch vertretbar ist, die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr einzustellen und damit den Patienten regelrecht verhungern und verdursten zu lassen, um ihm das Sterben zu ermöglichen.
Bei der Behandlung des Wachkomas stehen neben dem Erhalt der Vitalfunktionen wie beim LIS die Physiotherapie und die Logopädie im Vordergrund. Häufig werden zusätzlich Musiktherapeuten hinzugezogen, da das Gehör der Sinn ist, der üblicherweise am längsten erhalten bleibt. Praktiziert wird zudem eine sogenannte basale Stimulation, bei der die Pflegenden den Patienten und seine Reaktionen beobachten und auf eine sich ändernde Atmung sowie auf ein Lösen oder Verstärken der Spastik als Reaktion auf Sinnesreize eingehen und so versuchen, dem Erkrankten Orientierung zu bieten, ihm zu helfen, seine Identität wieder wahrzunehmen und Umwelt zu erleben.
Prognose des Wachkomas
Klare Parameter, anhand deren sich die Prognose von Patienten im Wachkoma abschätzen lässt, gibt es nicht. Je länger die Störung besteht, umso geringer sind die Chancen, dass sich das klinische Bild bessert, wobei auch dann eine vollständige Restitution eher selten erfolgt.
Die Prognose ist abhängig von den neurologischen und psychopathologischen Defiziten und von den Ursachen des APS. Sie ist etwas besser bei Kindern und jungen Erwachsenen gegenüber älteren Menschen und bei traumatischen Ursachen gegenüber einer nicht traumatischen ZNS-Läsion. Eine relevante klinische Besserung gilt dabei als höchst unwahrscheinlich, wenn sie sich bei nicht traumatisch bedingtem Wachkoma nicht innerhalb von drei bis sechs Monaten und bei einem posttraumatischen APS nicht innerhalb von sechs bis zwölf Monaten einstellt.
Andererseits gibt es immer wieder vereinzelte Fallberichte, bei denen sich nach Jahren eine überraschende Besserung ergeben hat und der Patient wieder zu Bewusstsein gekommen ist. So wird der Fall einer jungen Patientin berichtet, die nach zweieinhalb Jahren aus dem Wachkoma erwachte und sich über einen Verlauf von sechs Jahren soweit erholte, dass wieder die Möglichkeit einer Kommunikation bestand und die Betroffene Interesse an ihrer Umgebung zeigte. Allerdings handelt es sich bei solchen Berichten um sehr seltene Einzelfälle.
Koma und künstliches Koma
Im Gegensatz zum Wachkoma ist der Patient beim Koma oder künstlichen Koma nicht wach. Das Koma stellt generell eine schwere Bewusstseinsstörung dar. Es ist Ausdruck einer Störung der Großhirnfunktion und die Prognose ist abhängig von der Ursache der Störung, wobei das Koma prinzipiell als lebensbedrohlicher Zustand anzusehen ist.
Anhand klinischer Gesichtpunkte und vor allem anhand der Reaktionen auf Reize lässt sich die Komatiefe bestimmen, wobei vier Schweregrade unterschieden werden. Beim Grad I ist die Pupillenbewegung intakt und der Patient zeigt gezielte Abwehrreaktionen auf Schmerzreize sowie Augenbewegungen bei einer Reizung des Gleichgewichtsorgans. Beim Grad II erfolgt die Schmerzabwehrreaktion ungerichtet und es kommt zum Außenschielen. Bei Grad III gibt es keine Schmerzabwehrreaktion, sondern nur Fluchtreflexe, der vestibokuläre Reflex fehlt und die Pupillenreaktion ist abgeschwächt. Bei einem Koma Grad IV schließlich zeigt sich auch keine Schmerzreaktion mehr, keine Pupillenreaktion und es kommt auch zum Ausfall anderer Schutzreflexe.
Zur Klassifizierung des Komas kann die sogenannte Glasgow-Coma-Scale (GCS) herangezogen werden, bei der die Fähigkeiten des Patienten anhand einer Skala beurteilt werden. Ein GCS-Wert von 15 entspricht dabei einem wachen gesunden Menschen, bei einem GCS von drei besteht ein tiefes Koma.
Mit dem Begriff des „künstlichen Komas“ wird eine medizinisch herbeigeführte Bewusstseinsminderung beschrieben. Der Patient wird dabei sediert oder narkotisiert, so dass kein Koma im strengen Sinne besteht. Dies erklärt, wieso sich einige Patienten nach dem Erwachen aus dem künstlichen Koma durchaus an Wahrnehmungen während der Zeit mit eingeschränktem Bewusstsein erinnern können.