20 Jahre Medizinische Psychologie

Interdisziplinäre Perspektiven an der Universität Leipzig

20 Jahre gemeinsame Ausbildung von Zahnmedizinern im Fach „Psychologie und Psychosomatik“, aber auch 20 Jahre gemeinsame Ausbildung von Psychologiestudenten im Rahmen der Lehrveranstaltungen zur „Gesundheitspsychologie“ und „Pädagogische Psychologie“ waren ein wichtiger Anlass für eine Jubiläumsveranstaltung im Januar dieses Jahres an der Universität Leipzig.

Das Fach Medizinische Psychologie hat an der Universität Leipzig seit 1976 einen festen Platz in der Lehre. Die psychologischen Inhalte wurden bis 1995 obligatorisch gelehrt, was im Einigungsvertrag dann geregelt wurde. 1988 erhielten Prof. Dr. Almut Makuch und Prof. Dr. Konrad Reschke den Lehrauftrag und führen diese Vorlesung mit zwei Semesterwochenstunden bis zum heutigen Tage vor einer großen und interessierten Hörerschaft durch.

Prof. Dr. Harry Schröder, Leipzig, ging in seinem einleitenden Vortrag anhand von Beispielen auf das Spektrum der gemeinsamen Forschung von Psychologen und Zahnärzten in diesen letzten gemeinsam „durchlehrten“ 20 Jahren ein. Exemplarisch sei hier auf zwei wichtige Studien verwiesen, die in dieser Zeit in Leipzig durchgeführt wurden und eindrucksvolle Ergebnisse lieferten.

Stressreaktionsmessung bei der Zahnarzt-Behandlung

Eine davon untersuchte die Stressreaktionen bei einer konservativen zahnärztlichen Behandlung, die einem Patienten widerfahren. Um objektive Daten zu erhalten, wurden der Hautwiderstand und die Pulsfrequenz gemessen. Im Ergebnis der Studie konnte festgestellt werden, dass zwei wichtige Persönlichkeitsmerkmale den Grad der Angst und Stressbelastung beeinflussen. Das sind einmal die persönliche Fähigkeit zur Selbstkontrolle und zum anderen die Erfahrungen, die vom Patienten in der Vergangenheit gemacht wurden. Schlussfolgernd lässt sich aus diesen Ergebnissen ableiten, dass die Studenten der Zahnmedizin hinsichtlich ihres Wissens und in ihrer Beobachtungsfähigkeit von psycho-physiologischen Erregungsvorgängen auszubilden sind. Ebenfalls im Rahmen einer interdisziplinär betreuten Forschungsarbeit zeigten die Untersuchungsergebnisse, dass grundsätzlich eine positive Beziehung von seelischer Gesundheit, dem entsprechenden seelischen Wohlbefinden und selbst- und fremdbezogener Wertschätzung zu stomatologischen Effektkriterien besteht. Das heißt, seelischen beziehungsweise kognitiven Faktoren im Krankheitsgeschehen sollte genügend Bedeutung sowohl in der Therapie als auch in Forschung und Lehre beigemessen werden.

Die Schwierigkeit der Motivation

Prof. Dr. Almut Makuch, Leipzig, referierte im Anschluss zur immer aktuellen Problematik „Warum Motivieren so schwierig ist“ ein Themenfeld, dem in der gesundheitspsychologischen Forschung und Praxis im Kindes- und Jugendalter lange Zeit wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Aber gerade das Kindes- und Jugendalter wird heute als wichtiger Abschnitt für präventive und korrektive Maßnahmen angesehen, um gesundheitsförderliches Verhalten bereits frühzeitig zu entwickeln und zu internalisieren. Problem dabei ist, dass gesundheitsförderliches Verhalten immer im Kontext mit anderen modifizierenden Einflüssen zu sehen ist (Alter, Entwicklung, Persönlichkeitsmerkmale, Attraktivität einer Zielsetzung und vieles mehr). Speziell imKindesalter sind es entwicklungspsychologische Besonderheiten, zum Beispiel mangelnder Selbstbezug, unrealistischer Optimismus und fremdbestimmte Gesundheitsvorsorge, die eine Motivation zu präventivem Verhalten schwierig oder unmöglich machen.

Lebensqualität für Kinder und Jugendliche

Prof. Dr. Christian Hirsch, Leipzig, sprach über die Notwendigkeit der Lebensqualitätsforschung bei Kindern und Jugendlichen. Denn auch das psychische Wohlbefinden dieser Patientenklientel in der Zahnmedizin muss berücksichtigt werden. „Es kommt darauf an, dass wir wissen, was den Patienten am meisten bedrückt, damit wir therapeutisch das tun, was den Patienten am meisten hilft.“ In einer umfangreichen Fragebogenerhebung werden zurzeit relevante Daten gewonnen und auf ihre Reliabilität überprüft.

Posttraumatische Belastungen

Gesichtsentstellungen unterschiedlicher Genese und ihre Auswirkungen als posttraumatische Belastungsstörung wurden von Prof. Dr. Konrad Reschke, Leipzig, eindrucksvoll an Patientenfällen demonstriert. Denn oft stellt sich nicht nur die Frage einer körperlichen Wiederherstellung und Anpassung, sondern es geht auch um eine adäquate Behandlung von psychischer Wiederanpassung an die Wirklichkeit. Dazu ist die Früherkennung und traumaspezifische Frühintervention sinnvoll und möglich.

In einem interessanten Beitrag zur Motivation oralpräventiven Verhaltens bei Jugendlichen konnte Diplompsychologin Katharina Gebert, Leipzig, signifikante Zusammenhänge zur oralen Ästhetik in Freundschaften, der Wirkung von Zähnen und der Selbstwirksamkeitserwartung darstellen. Stärkere Beachtung oralästhetischer Anreize und die Berücksichtigung von Partnerschaft und Aussehen sind bedeutsame motivationale Zwänge im Jugendalter.

Sensibilitätsverluste durch Reizüberflutung

Eine kinderpsychologische Problematik, die immer häufiger auch ein Problem bei der zahnmedizinischen Betreuung darstellt, erklärte die niedergelassene Kinderpsychologin Dr. Gisela Friedrich, Leipzig. Es handelt sich dabei um Sensibilitätsstörungen, die in früher Kindheit durch Reizüberflutungen unterschiedlicher Art entstehen und alle Sinne – taktile, visuelle, auditive – betreffen können. Die Diagnostik dieser Störung ist ausgesprochen schwierig, weshalb diese Kinder oft als verhaltensgestört erklärt werden und ihnen die dringend erforderliche Therapie nicht zukommt.

Mit eindrucksvollen Fallvorstellungen zur zahnärztlichen Behandlung in Hypnose rundete Diplompsychologe Peter Brock, Leipzig, die kleine inhaltsträchtige Tagung ab. Er konnte zeigen, dass das Lenken der Aufmerksamkeit, Konfusionstechniken und Musterunterbrechung speziell bei Kindern geeignete und oft auch unbewusst eingesetzte Elemente zur Herstellung der Behandlungsbereitschaft sind.

Professor Dr. Almut MakuchZentrum für Zahn-, Mund- undKieferheilkunde der Universität LeipzigSelbständige Abteilung fürKinderzahnheilkunde und PrimärprophylaxeNürnberger Straße 5704103 Leipzig

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