Die Weichen stellen für das, was kommt
„Ein sauberer Zahn wird nicht krank“ – diese traditionelle Präventionsbotschaft gilt schon länger nicht mehr. Bei Erwachsenen und Senioren haben Parodontalerkrankungen die Karies als Zahnkiller Nummer eins abgelöst. Spätestens seit den großen repräsentativen IDZ-Mundgesundheitsstudien der DMS III und IV ist deutlich geworden: Die Erfolge der Kariesbekämpfung und Zahnerhaltung führen aufgrund einer immer älter werdenden Bevölkerung dazu, dass Parodontitis auf dem Vormarsch ist. Der Zahnarzt muss heute mehr Par-Behandlungen durchführen, um Zähne bis ins hohe Alter erhalten zu können. Von einem regelrechten „Paro- Alarm“ kann aber keine Rede sein. Dennoch rücken Strategien rund um Par-Prävention und -Therapie zunehmend in den Blickpunkt zahnärztlicher Standespolitik.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit der zahnärztlichen Organisationen ist gefordert, sich mit diesen Herausforderungen zu beschäftigen. Deshalb wurde das Thema auf der KZBV/BZÄK-Koordinierungskonferenz der Referenten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Länderkammern und KZVen in Cottbus intensiv erörtert. Gastgeber der Veranstaltung waren die Kammer und KZV Land Brandenburg.
Wissenschaftlich offene Fragen
In seinem Impulsreferat gab der Parodontal- Experte Prof. Dr. Elmar Reich, Biberach an der Riß, einen umfassenden wissenschaftlichen Problemaufriss, um sodann Wissenschaft und Standespolitik dazu aufzufordern, entsprechende Fragestellungen zu diskutieren. Er skizzierte klinische Aspekte rund um die Erhebung des Par-Status, hier existiere ein Sondierungsproblem (Ab welcher Taschentiefe beginnt Krankheit? Ist ein Patient gesund, wenn sein Zahn, der parodontologisch „at risk“ steht, gezogen wird?) Messungen, beispielsweise per PSI-Index, könnten immer nur eine Annäherung sein.
„Versorgungspolitik muss lokal vor Ort definiert werden“, betonte Reich im Hinblick auf den Zahnarzt in seiner Praxis. „Der Parodontalpatient braucht eine lebenslange Betreuung.“ Im Einzelfall müsse entschieden werden, wie der Patient parodontologisch behandelt werden soll. Hinzu komme auch der Faktor Eigenverantwortung.
Reich verwies auf die Zusammenhänge zwischen Par und Allgemeingesundheit, auf Risikofaktoren und auf die Notwendigkeit von Vernetzungen mit der Ärzteschaft. Die Veränderung des Therapiebedarfs im Par- Bereich führe dazu, dass die Zahnärzteschaft sich langfristig vermehrt mit dem Thema auseinandersetzen müsse. Aufgrund des medizinischen Bedarfs verändere sich der Markt, sinnvoll sei es, wenn der Zahnarzt sich mit seinen Praxiskonzepten und der Qualifikation seines Mitarbeiterstabs darauf einrichte. Auch sei denkbar, bei Bedarf an Kollegen zu überweisen. „Es dreht sich darum, die Weichen zu stellen für das, was kommt“, betonte Reich.
Der Frage, wie die Prävention und Verhütung von Parodontitis in der GKV zu handhaben sei, kam der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz in seinem Vortrag nach. Kann Parodontitis als Volkskrankheit angesehen werden? Ist die GKV überhaupt gefordert, hier etwas zu tun? Diese Aspekte müssten geklärt werden. Bei einem angenommenen Behandlungszyklus von fünf Jahren und jährlich 800 000 Fällen werden stets etwa vier Millionen Fälle abgedeckt, machte Fedderwitz deutlich. Der Status quo in der GKV sei die Unterversorgung, laut dort definiertem Leistungsumfang entspreche die Therapie keinesfalls dem heutigen „State of the Art“.
Bruch in Verbreitung und Versorgung
Es ergebe sich ein ganz klarer Bruch zwischen dem Verbreitungsgrad der Parodontitis einerseits und der Versorgungssituation in der GKV andererseits. Die Frage sei, wie man diesem Problem versorgungspolitisch nachkommen könne.
Fedderwitz stellte Vorschläge aus der Wissenschaft zu einer zeitgemäßen Parodontal- Versorgungsstrecke vor. Er skizzierte unterschiedliche Optionen und Szenarien für denkbare künftige GKV-Versorgungskonzepte. Eine Versorgungsstrecke in Form von Sachleistung überfordere die GKV und sei aus zahnärztlicher Sicht unattraktiv. Vorstellbar sei weiterhin eine Versorgung über Selektivverträge, die zwar kurzfristig realisierbar, aber insgesamt noch unzureichend sei. Denkbar sei aber auch eine langfristige Lösung, bei der Patienten über ein Festzuschuss- Modell die Möglichkeit bekommen könnten, eine zeitgemäße Parodontal-Versorgung zu erhalten.
Schlussfolgerungen für die Öffentlichkeitsarbeit rund um das parodontitisrelevante Wissen in der Bevölkerung zog der Vizepräsident der BZÄK, Dr. Dietmar Oesterreich.
Er verwies auf die epidemiologische Datenlage sowie auf die Wechselwirkungen von Mundgesundheit und Allgemeinerkrankungen, die als wichtige Argumente im Gespräch mit der Öffentlichkeit dienen sollten. Erschwerend für die Kommunikation seien das derzeitige Wissen um die Ätiologie und den klinischen Handlungsbedarf, die versorgungspolitischen Rahmenbedingungen und das Fehlen präventions- und versorgungspolitischer Lösungsansätze. Oesterreich verwies auf die Ergebnisse der jüngsten Repräsentativerhebung des IDZ über parodontitisrelevantes Wissen der deutschen Bevölkerung (IDZ-Information 1/08). Dort wurde auf den umfassenden Informations- und Aufklärungsbedarf hingewiesen.
Zielgruppen der Öffentlichkeitsarbeit seien Patienten (besonders Senioren), der Zahnarzt und sein Team, Ärzte und Pflegepersonal und die Gesundheitspolitik. Zu den Instrumenten zählten zum Beispiel die gemeinsamen Patienteninformationen von BZÄK und DGZMK, Veröffentlichungen in Fach- und Publikumsmedien, die mediale Kooperation mit Partnern wie proDente oder dem Grünen Kreuz, aber auch Messepräsenz und die allgemeine Pressearbeit. Wissenschaft und Standespolitik seien gefordert, klare Vorgaben zu erarbeiten.
In drei Arbeitsgruppen entwickelten die Konferenzteilnehmer Lösungsvorschläge für einen Beitrag der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Bekämpfung der Parodontitis. Der erste Workshop beschäftigte sich mit Strategien, um den Zahnarzt zu motivieren und den Patienten aufzuklären. Hier ging es um Information in den Berufsstand hinein (via Standespolitik), um Aspekte von Fortbildung und Praxiskonzepten sowie um den Ausgleich von Kommunikationsdefiziten. Wichtig sei es, eine Win-Win-Situation für den Zahnarzt wie für den Patienten zu schaffen und zu kommunizieren. Der Zahnarzt solle beim Patienten ein positiv besetztes neues Bewusstsein für Mundgesundheit auslösen.
Workshop II erarbeitete Lösungsansätze, um Politik und Medien zu erreichen. Die Teilnehmer sprachen sich dafür aus, Aufklärung sofort zu intensivieren und langfristige Strategien einzuleiten. Es gebe noch viele offene Fragen, die der Berufsstand den Öffentlichkeitsarbeitern beantworten müsse. Ideal wäre, wenn die Politik selbst – als Resultat guter Öffentlichkeitsarbeit – konzeptionelle Fragen stelle, die der Berufsstand beantworten könne.
Welches Kankheitsimage hat/braucht die Parodontitis? Um diese Frage ging es im dritten Workshop. Die Teilnehmer empfahlen, die Position des Zahnarztes als Generalisten zu stärken und Par nicht als Krankheit, sondern als chronische Erkrankung darzustellen. Par entstehe nicht aufgrund von Selbstverschulden, sondern aufgrund von Risikofaktoren, dies gelte es, kommunikativ zu vermitteln. Der Präventionsgedanke und die Rolle des Zahnarztes dabei müssten in der Öffentlichkeit gestärkt werden. Neben dem zentralen Komplex Parodontitis standen aber noch weitere Themen auf der Agenda der Öffentlichkeitsarbeiter in Cottbus. So gab der brandenburgische Kammerpräsident Jürgen Herbert einen Sachstandsbericht zur elektronischen Gesundheitskarte. BZÄK-Vizepräsident Oesterreich fasste für die Referenten die neuesten Entwicklungen zur GOZ-Novellierung zusammen.
In der traditionellen Länderstunde wurden neue Initiativen vorgestellt. Dazu gehörte das neue ZFA-Berufskundevideo (eine Gemeinschaftsproduktion der Kammern Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg Vorpommern), die Initiative „Gewalt und Gesundheit“ aus Mecklenburg- Vorpommern sowie die Aktivitäten der saarländischen Zahnärzte zur Intensivierung der lokalen Pressearbeit. Der Vorschlag aus Hamburg, eine dentale „Wikipedia“ ins Leben zu rufen, fand unter den Öffentlichkeitsarbeitern lebhaftes Interesse.