Nasoalveoläre Zyste am linken Naseneingang
Eine 47-jährige weibliche Patientin ohne weitere Allgemeinerkrankungen wurde uns zur weiteren Abklärung einer seit Jahren bestehenden schmerzlosen Schwellung im Bereich des linken Naseneingangs (Ab- bildung 1) vorgestellt. Die Patientin erinnerte sich, bereits vor mehreren Monaten in diesem Bereich eine „Abzessinzision“ erfahren zu haben, ohne jedoch genaue Angaben über das Ausmaß des Eingriffs oder die definitive Diagnose treffen zu können. Ana- mnestische Hinweise für das Vorliegen einer B-Symptomatik, wie Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust, lagen nicht vor. Bei der klinischen Untersuchung reagierten alle Zähne im 2. Quadraten sensibel auf Kältereiz und wiesen keinen erhöhten Lockerungsgrad auf. Im Tastbefund präsentierte sich die Schwellung als eine etwa ein Zentimeter große, prall elastische und zum Oberkiefer verschiebliche Raumforderung, die am Boden der linken Apertura piriformis lokalisiert war. In einer alio loco initiierten und durchgeführten Magnetresonanztomographie (MRT) stellte sich eine flüssigkeitsgefühlte, glattbegrenzte zystische Raumforderung dar (Abbildung 2). Abgesehen von einer rundlichen, unscharfen Aufhellung apikal der Wurzeln der Zähne 22 und 23 im Orthopantomogramm (Abbildung 3) ergaben sich radiologisch sowohl im Orthopantomogramm als auch in der digitalen Volumentomographie bei einem konservierend versorgten Gebiss keine Hinweise für das Vorliegen eines dentogenen Fokus, einer dentogenen Zyste oder Knochenarrosion (Abbildung 4).
Intraoperativ wurde der glattbegrenzte, dunkelblaue, imponierende Befund von enoral durch eine marginale Inzision von regio 12 bis 23 nach subperiostaler Präparation von der Maxilla abgehoben (Abbildung 5) und enukleiert.
Die histopathologische Aufbereitung des eingesandten Gewebes ergab einen Zystenbalg mit leichter Fibrose, ausgekleidet von einem zweireihigen Epithel vom respiratorischen Typ einer in Zusammenhang mit der Klinik entsprechenden nasoalveoläre Zyste (Abbildung 6).
Diskussion
Die nasoavleoläre Zyste – auch bekannt als nasolabiale Zyste oder Klestadt Zyste – ist eine sehr seltene Weichteilzystenentität aus der Gruppe der dysontogenetischen Zysten (Synonym: dysgenetische oder fissurale Zysten), deren Erstbeschreibung auf Zuckerkandl im Jahre 1882 zurückgeht.
Pathognomonisch für diese Zyste ist die extraossäre Lokalisation in den Weichteilen am Nasenflügelansatz. Sie findet sich gehäuft bei Frauen in der vierten bis fünften Lebensdekade und stellt sich klinisch durch seine asymptomatische Schwellung unter dem Nasenflügel dar, die in sehr seltenen Fällen mit einer Obstruktion oder Schmerzen im Bereich des betroffenen Naseneingangs einhergehen kann [Roed-Petersen B, 1969]. In der Literatur werden zu etwa zehn Prozent auch bilaterale Lokalisationen berichtet. Hinsichtlich der Ätiologie dieser Zyste werden verschiedene Theorien diskutiert, wobei einige Autoren die nasolabiale Zyste als extraossäres Gegenstück der globulomaxillären Zyste ansehen, die sich aus Epithelresten (Hochstetter-Epithelmauer) nach der Verschmelzung der Nasenwülste entwickelt. Dieser Annahme gegenüber steht die Theorie, dass die Entstehung dieser Zyste auf Epithelreste des Ductus nasolacrimails zurückzuführen ist [Tiago RS et al., 2008].
Differenzialdiagnostisch müssen neben den seltenen Tumoren der in der Oberlippe lokalisierten kleinen Speicheldrüsen andere nicht odontogene Prozesse, wie zystische oder entzündliche Weichteilbefunde (Gingivalzysten oder Furunkel), unterschieden werden. Weiter in Betracht zu ziehen sind odontogen bedingte Veränderungen (Granulome, Abszesse oder Zysten) und tumoröse Geschehen, zum Beispiel der keratozystische odontogene Tumor (Keratozyste), der nach Perforation der vestibulären Knochenlamelle eine Weichteilschwellung und damit klinisch ein ähnliches Bild präsentieren kann [Nixdo DR et al., 2003]. Als letzte differenzialdiagnositsche Gruppe sind entwicklungsbedingte Zysten – hier im Besonderen die globulomaxilläre Zyste – zu nennen.
Der Kasus zeigt in typischer Weise alle klinischen Charakteristika dieser seltenen Weichteilzystenentität. Die moderne Schnittbilddiagnostik erlaubt eine genaue topographische Zuordnung des Befundes und ist neben der typischen Klinik wegweisend für die Diagnose. Therapie der Wahl, wie in unserem Fall beschrieben, ist die schonende Enukleation der nasolabialen Zyste durch einen enoralen Zugang, Neben dem offenen enoralen Zugang wird in der Literatur auch die sehr gewebsschonende transnasale Marsupialisation erfolgreich beschrieben [Ramos TS et al., 2007]. Die Rezidivtendenz der nasoalveolären Zyste wird insgesamt als sehr gering angesehen [Tiago RS et al., 2008].
Keyvan SaghebDr. Dr. Christian WalterProf. Dr. Dr. Wilfried WagnerKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Johannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainz