Unklarer Tollwut-Status

Management einer Bissverletzung im Gesicht

Frank Kretschmer, Martin KunkelTrotz tierärztlicher Überwachung und umfangreicher Prophylaxe – sowohl von Haus- und Nutztieren als auch der Wildtierbestände – besteht die Gefahr einer Tollwutinfektion letztlich bei jeder Bissverletzung durch ein unbekanntes Tier oder bei unklarem Infektionsstatus. Durch die Seltenheit des Krankheitsbildes hat die überwiegende Mehrzahl der heute im Medizin- und Zahnmedizinbereich beschäftigten Ärztinnen und Ärzte keine persönlichen Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild mehr.

Üblicherweise wird die Tollwut heute nicht mehr in die differentialdiagnostischen und therapeutischen Überlegungen einbezogen.

Spektakuläre Ereignisse, wie beispielsweise die mehrfachen Todesfälle der Organempfänger in Folge einer Multiorganentnahme bei einer tollwutinfizierten Patientin im Jahr 2006, zeigen aber, dass eine unerkannte Tollwutinfektion dramatische Folgen haben kann.

Die zeit- und kostenintensive Kommunikation mit verschiedenen Institutionen und Instanzen, bis letztlich eine konkrete Therapieentscheidung für oder gegen eine Impfprophylaxe gestellt werden konnte, hat uns veranlasst, die Abläufe in einer kurzen Kasuistik zusammenzufassen, so dass die notwendigen Informationen und Ansprechpartner auch für den praktisch tätigen Zahnarzt zügig gefunden werden können.

Kasuistik

In unserer Klinik stellte sich ein Patient vor, der angab, von dem Hund einer ihm bekannten Person in das rechte Ohr gebissen worden zu sein. Außerdem habe er mehrere Tritte von dieser Person ins Gesicht bekommen, die aber nicht zu Bewusstlosigkeit, neurologischen Ausfällen oder sonstigen zentralen Verletzungsfolgen geführt hätten. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine Schwellung mit Hämatom des Os nasale. Der übrige Gesichtsschädel war klinisch unauffällig. Zusätzlich bestand eine das kraniale Drittel der Ohrmuschel durchziehende Bissverletzung. Zur Therapie der Verletzungsfolgen erfolgte die Wundversorgung am Ohr und die geschlossene Reposition einer dislozierten Nasenbeinfraktur.

Der Patient konnte lediglich Angaben zum Namen des Hundehalters machen; die genaue Anschrift und Telefonnummer des Hundehalters sowie der Impfstatus des Hundes waren dem Opfer nicht bekannt. Es wurde zunächst von einer sofortigen Impfung des Patienten am Abend der Erstbehandlung abgesehen. Allerdings war damit die Klärung des Impfstatus des Hundes erforderlich.

Es wurde daher zunächst über das städtische Ordnungsamt die Adresse des Hundehalters festgestellt und eine sofortige Überprüfung des Impfstatus des Hundes über den Außendienst des Amtes veranlasst. Der Außendienst nahm daraufhin Kontakt mit dem behandelnden Tierarzt auf und konnte so ermitteln, dass der Hund seit dem Jahr 2000 keinerlei Impfungen mehr erhalten hatte. Allerdings handelte es sich nicht um ein illegal eingeführtes Tier, sondern um einen in Deutschland geborenen Hund.

Der im nächsten Schritt hinzugezogene Amtsveterinärmediziner konnte dann bestätigen, dass eine postexpositionelle Impfung in der hiesigen Region nur nach Bissen durch Wildtiere beziehungsweise bei sogenannten „schwarz“ eingeführten Hunden (wie aus Tierheimen in Entwicklungsländern) nötig sei. Bei aus Deutschland stammenden Hunden ist diese Prophylaxe generell nur bei klinischer Auffälligkeit des Tieres indiziert. Insofern war die Empfehlung begründet, im vorliegenden Fall nicht zu impfen.

Die klinische Problematik liegt nun darin, dass der Nachweis beziehungsweise Ausschluss einer Tollwutinfektion rund zwei Wochen benötigt. Eine erfolgreiche Impfung muss allerdings beim Menschen innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden erfolgen. Nach eingehender Aufklärung über diese Befund- und Informationslage konnte der Patient der Empfehlung folgen, auf eine Impfung zu verzichten.

Diskussion und Empfehlung für die Praxis

Bissverletzungen betreffen zu einem großen Anteil die Gesichtsregion (Abbildungen 1 und 2), insofern kann auch die zahnärztliche Praxis primär in die Versorgung und Therapieentscheidung eingebunden sein. Die Tollwut (Synonyma Rabies/Lyssa) ist eine virale Infektionskrankheit, die durch Tierbisse von Fleischfressern – wie Hunden oder Füchsen – auf den Menschen übertragen werden kann. In Deutschland konnte durch systematische Bekämpfungsmaßnahmen (vor allem durch Immunisierung der Füchse als hauptsächliche Virusträger über ausgelegte Köder) die Tollwut bei Wild- und Haustieren nahezu vollständig eliminiert werden. Die Tollwut ist trotzdem leider unlängst wieder in Deutschland aufgetreten, nachdem über Jahre keine Übertragung zum Menschen mehr gemeldet wurde. Die Besonderheit und Tragik der aktuellen Fälle lag darin, dass die Tollwut nicht im Zusammenhang mit dem Biss durch ein infiziertes Tier übertragen wurde, sondern durch die Transplantation von Spenderorganen einer infizierten Patientin. In der Folge verstarben drei der in Deutschland transplantierten Patienten, weitere vier Todesfälle traten bei einer nahezu zeitgleichen TransplantationsÜbertragung in den USA auf.

Die Rabies-Viren gelangen über die infizierte Wunde in das Zentrale Nervensystem (ZNS), wobei die Krankheit nach klinischer Manifestation fast immer einen letalen Verlauf nimmt. Eine wirksame Prophylaxe ist auch mittels sofortiger postexpositioneller Impfung möglich.

Die Infektionsrate ist insgesamt recht gering, nur etwa 20 Prozent der Infizierten erkranken. Die Erkrankungshäufigkeit hängt dabei ganz wesentlich von der Lokalisation, der Art und dem Ausmaß der Exposition mit dem Virus ab. So erkranken bei Verletzungen mit mehreren tiefen Bissstellen im Gesicht bis zu 60 Prozent der betroffenen Personen, während bei oberflächlichen Bissverletzungen im Gesicht nur etwa zehn Prozent und bei oberflächlichen Bissverletzungen an der Hand nur um fünf Prozent der Patienten erkranken. Spezifische Prodromi gibt es nicht. Im initialen Stadium der Erkrankung bestehen uncharakteristische Beschwerden, wie Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit. Weiterhin kann es lokal zu Brennen, Jucken und vermehrter Schmerzempfindlichkeit im Bereich der Bisswunde oder zu Fieber kommen. Treten die spezifischen Symptome (generalisierte Krämpfe, pharyngeale Muskelspasmen, Hypersalivation) einer Tollwuterkrankung auf, ist die Krankheit bereits ausgebrochen und der Tod damit praktisch unabwendbar. Unter dem Bild einer schweren Enzephalitis führt die Erkrankung schließlich zum Koma und zum Tod.

Tiere gelten dann als nicht ansteckungsverdächtig, wenn sie sich ausschließlich in einem tollwutfreien Gebiet aufgehalten haben, regelmäßig gegen Tollwut geimpft worden sind oder nach der Untersuchung durch einen Tierarzt kein klinischer Verdacht auf eine Tollwuterkrankung besteht. Welche Gebiete als amtlich frei von Tollwut eingestuft sind, muss jeweils beim zuständigen Veterinäramt in Erfahrung gebracht werden.

Sollte jedoch eine Exposition durch ein klinisch auffälliges oder grundsätzlich ansteckungsverdächtiges Tier erfolgt sein, so sollte dieses Tier für etwa zehn Tage isoliert (gilt nur für Hunde und Katzen; bei anderen Spezies kann der Zeitraum bis zum Ausbruch der ersten Symptome länger sein) und beobachtet werden und die sofortige parallele Postexpositionsprophylaxe des Patienten initiiert werden. Auch bei einer verspäteten Diagnosestellung besteht bei einer nahezu sicheren Letalität des manifesten Krankheitsbildes die Indikation zur Postexpositionsprophylaxe, unabhängig von der Zeit, die seit der Verletzung verstrichen ist.

Tipps für die Praxis

Der Tollwut-Impfstatus ist bei jeder Bissverletzung zwingend sofort zu ermitteln. Für die Feststellung des Tollwutimpfstatus eines Hundes ist das Ordnungsamt zuständig. Sollten der Vorfall und die Klärung des Impfstatus außerhalb der Dienstzeiten des Ordnungsamtes erfolgen, ist hierzu die Polizei zu verständigen, die dann diese Aufgabe übernimmt.

Generell gilt Deutschland hinsichtlich der Haustierhaltung als tollwutfrei. Lediglich bei Bissen durch Wildtiere oder durch Haustiere, die nicht in Deutschland geboren wurden (Straßenhunde aus dem Ausland) ist eine Impfung des Patienten zu erwägen. Nach Auslandsaufenthalten sollte gefragt werden. Wenn eine Impfung nötig ist, muss diese innerhalb der ersten 48 Stunden nach einer Bissverletzung erfolgen, um einen weitgehend sicheren Impfschutz zu erreichen.

Die Feststellung des Titers – und damit der Infektiösität – des Tieres dauert etwa zwei Wochen, so dass eine sich eventuell ergebende therapeutische Konsequenz (Postexpositionsprophylaxe) praktisch keinen Erfolg mehr haben kann.

Jede Bissverletzung, auch Bagatellverletzungen, sollte daher umgehend einer chirurgischen Umfall-Ambulanz zugeleitet werden.

Dr. Frank KretschmerProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgieder Ruhr-Universität BochumKnappschaftskrankenhaus Bochum-LangendreerIn der Schornau 23-25, 44892 Bochumfrank.kretschmer@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de

Literatur:Jackson, A.C.: Rabies. New insights intopathogenesis and treatment. Curr OpinNeurol 19: 267-270.

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