Ameloblastom der Kieferhöhle
Fallbeschreibung
Ein 65-jähriger zahnloser Patient wurde mit Verdacht auf eine Raumforderung im Bereich des linken Oberkiefers vom Hauszahnarzt überwiesen. Diesen hatte er wegen seit sechs Monaten zunehmender Passungenauigkeit und Druckstellen seiner Oberkieferprothese aufgesucht. Anamnestisch berichtete er über eine seit etwa fünf Jahren bestehende eingeschränkte Nasenatmung mit gelegentlicher Rhinorrhoe und Epistaxis, weshalb er bereits mehrmals in HNO-ärztlicher Behandlung gewesen sei. Sporadisch habe er ziehende, in die linke Gesichtshälfte ausstrahlende Schmerzen verspürt.
Bei der klinischen Untersuchung präsentierte der Patient eine dezente Schwellung im Bereich der linken Wange mit geringem Bulbushochstand bei gegebenem Visus und uneingeschränkter Motilität ohne Dopppelbilder (Abbildung 1a). Intraoral wurde eine etwa 4 x 4 cm große derbe, nicht ulzerierte und nicht druckdolente Auftreibung im Bereich des linken Tuber maxillae auffällig (Abbildung 1b). Das vorhandene Orthopantomogramm ließ eine circa 4 x 5 cm große Radioluszenz im Bereich des linken Oberkiefers und der linken Kieferhöhle erkennen (Abbildung 2). Darauf hin wurde eine Inzisionsbiopsie durchgeführt und eine weiterführende diagnostische Bildgebung veranlasst. Die Synopsis aus nativer Computertomographie und Magnetresonanztomographie mit Kontrastmittel beschrieb einen expansiv, destruierend wachsenden und alle knöchernen Begrenzungen der Kieferhöhle durchbrechenden Tumor mit flüssigkeitsgefülltem Anteil, vereinbar mit einem Malignom (Abbildung 3).
Die histopathologische Begutachtung der Probebiopsie hingegen diagnostizierte unter Berücksichtigung des immunhistochemischen Reaktionsprofils (Positivität für CD 56 und Panzytokeratin, Negativität für Synaptophysin) ein Ameloblastom vom solid-multizystischen Typ mit überwiegend plexiformem Wachstum (Abbildung 4).
Es folgte die Tumorresektion in Form einer linkseitigen Hemimaxillektomie mit Rekonstruktion des paranasalen Pfeilers und des Orbitabodens(Abbildung 5).
Die Deckung des Oberkiefer-/Kieferhöhlendefekts erfolgte primär über einen Obturator, bei bestehender Rezidivfreiheit ist mittelfristig eine Rekonstruktion des Defekts mittels mikrovaskulär-anastomosiertem Skapulatransplantat geplant.
Diskussion
Glatte, nicht ulzerierte Schwellungen des zahnlosen Oberkiefers können prinzipiell durch verschiedene Läsionen entzündlicher, zystischer oder neoplastischer Genese verursacht werden. Entzündliche Prozesse wie etwa ein Palatinalabszess imponieren eher erythematös, mit erhöhter Druckdolenz, rapider Schwellungszunahme und laborchemischen Entzündungszeichen [McIntosh et al. 2008], worauf im präsentierten Fall nichts hindeutete. Zystische Läsionen, zum Beispiel eine follikuläre Zyste, führen in der Regel zu schmerzlosen und palpatorisch eher elastisch-weichen Kieferauftreibungen mit einer Transluszenz im Röntgenbild. Zu beachten ist hier die Beziehung zu möglichen Zähnen sowie deren Sensibilitätsstatus. Differentialdiagnostisch müssen auch benigne und maligne Neoplasien der kleinen Speicheldrüsen in Erwägung gezogen werden, welche ihren Ursprung sowohl in der Gaumenschleimhaut als auch in der Kieferhöhle haben können. Anzuführen wären hier vor allem das pleomorphe Adenom, das Mukoepidermoidkarzinom sowie das adenoid-zystische Karzinom [Marx and Stern 2003, Ettl et al. 2007, Ettl et al. 2009]. Speziell letzteres kann durch sein perineurales Wachstum mit Parästhesien auffällig werden. Des Weiteren können verschiedene benigne und maligne Knochentumoren odontogener oder nicht-odontogener Abstammung sowie tumorähnliche Läsionen im Kieferbereich zu Kieferauftreibungen führen. Beispielhaft seien hier das Osteoblastom/-sarkom und das desmoplastische Fibrom als echte Neoplasien, die zentrale Riesenzellläsion und die aneurysmatische Knochenzyste als nicht-neoplastische Knochenläsionen genannt [Jundt 2006, McIntosh et al. 2008]. Allen genannten Läsionen ist neben einer Schwellung eine oftmals nur geringe klinische Symptomatik gemein und auch radiologisch lassen sich zumeist nur unspezifische Hinweise auf den Läsionscharakter gewinnen, sodass die Diagnose durch eine histopathologische Untersuchung zu stellen ist [Jundt und Prein 2000].
Das im eigenen Fall vorgefundene Ameloblastom zählt neben dem differentialdiagnostisch vor allem abzugrenzenden keratozystischen odontogenen Tumor (KZOT) zu den häufigsten Tumoren epithelialodontogenen Ursprungs [Reichart und Jundt 2008]. Es repräsentiert etwa ein Prozent aller Tumoren und Zysten des Kiefers mit gehäuftem Auftreten im Unterkiefer [Zwahlen and Grätz 2002]. Die Ätiologie ist weitestgehend unbekannt. Vermutet wird eine Entwicklung aus Resten der Zahnleiste, aus dem Schmelzorgan oder der epithelialen Auskleidung odontogener Zysten [Neville et al. 2009]. Bei der Mehrzahl der Tumoren (circa 80 Prozent) handelt es sich wie im eigenen Fall um einen soliden beziehungsweise multizystischen Subtyp, das Haupterkrankungsalter liegt zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr [Jundt 2006]. Das Ameloblastom ist durch ein langsames, lokal aggressives und infiltratives Wachstum mit hoher Rezidivneigung ohne Fernmetastasierung charakterisiert [Zwahlen and Grätz 2002]. Klinisch wird der Tumor zumeist nur durch eine derbe, schmerzlose Schwellung auffällig. Im bezahnten Gebiss kann es zu Zahnverdrängungen und Zahnlockerungen kommen. Beim eigenen zahnlosen Patienten führte die zunehmende Kieferexpansion zu wiederholten Prothesendruckstellen. Bei der im Fall beschriebenen Lokalisation im posterioren Oberkieferbereich (circa 15–20 Prozent der Fälle) treten Erstsymptome in der Regel erst spät auf, da sich die Tumoren aufgrund des fehlenden Widerstandes jahrelang unbemerkt in die Kieferhöhle ausbreiten können [Zwahlen and Grätz 2002]. So präsentierte sich unser Patient mit einer eingeschränkten Nasenatmung, gelegentlicher Rhinorrhoe und Epistaxis sowie Bulbushochstand des linken Auges als Zeichen des weit fortgeschrittenen Tumorwachstums mit Infiltration der medialen Kieferhöhlenwand und des Orbitabodens. Bei ausbleibender Intervention kann das Tumorwachstum bis zu einer Infiltration der Schädelbasis fortschreiten [Press et al. 2008].
Radiologisch zeigt das Ameloblastom eine uni- oder multilokuläre Osteolyse, häufig mit seifenblasiger Struktur und Zahnwurzelresorptionen, gelegentlich in Assoziation mit retinierten Zähnen. Dennoch ist der konventionelle Röntgenbefund keineswegs beweisend und von anderen Läsionen wie einer follikulären Zyste oder einem keratozystischen odontogenem Tumor nicht zu unterscheiden [Gardner et al. 2005 WHO]. Speziell bei Befall der Kieferhöhle wird zur besseren Darstellung der Tumorausdehnung und seiner Binnenstruktur eine weiterführende Bildebung (CT, MRT) empfohlen.
Histologisch gibt es zwei Haupttypen, den follikulären und den plexiformen Typ. Beide weisen epitheliale Verbände von unterschiedlicher Breite und Größe auf, die peripher durch eine palisadenförmige Aufreihung hoch zylindrischer Zellen mit spitzständigen Kernen gegen das angrenzende Bindegewebe abgegrenzt werden [Gardner et al. 2005, Jundt 2006]. Während der follikuläre Typ eher in Inseln organisiert ist, liegt der plexiforme Typ überwiegend in netzförmigen Verbänden vor. Mitosen und Pleomorphien sind selten.
Die Therapie des Ameloblastoms besteht optimalerweise aus einer Tumorresektion im Gesunden mit ausreichendem Sicherheitsabstand. Bei Ameloblastomen ausgehend vom Oberkiefer mit Befall der Kieferhöhle stellt die im eigenen Fall durchgeführte Hemimaxillektomie die Therapie der Wahl dar. Während bei alleiniger Enukleation oder Kürettage des Tumors Rezidivraten von bis zu 90 Prozent beschrieben sind, muss bei einer Tumorresektion mit Sicherheitsabstand in 5–15 Prozent der Fälle mit einem Rezidiv gerechnet werden [Press et al. 2008].
Dr. Tobias EttlDr Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 RegensburgMartin.gosau@klinik.uni-regensburg.de
Dr. Elisabeth HuberInstitut für PathologieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburg