Überall zwitschert’s
Mikroblogs, die kleinen Geschwister der Blogs, sind ein Ableger des Web 2.0. Twitter gehört wie Facebook und MySpace zu den „Social Networks“. Registrierte User können den Dienst per Handy, Smartphone oder vom Computer aus nutzen. Die gesendeten Nachrichten – Tweets genannt – laufen auf ihren persönlichen Twitterseiten ein, werden chronologisch gelistet, archiviert und können auch über RSS-Feeds abgerufen werden. Je nach Voreinstellung werden die Botschaften, die maximal 140 Zeichen beinhalten können, mit der gesamten Community geteilt oder nur mit engsten Freunden. Weltweit twittern 44,5 Millionen Menschen. Die Zahl der deutschen Twitter-Nutzer liegt bei geschätzten 1,8 Millionen.
Mit seinen mehr als zwei Millionen Followers – so heißen die User, die die Kurznachrichten eines anderen abonnieren – steckt Barack Obama die bundesdeutsche Gemeinde locker in die Tasche. In seinen Tweets spricht der US-Präsident vor allen Dingen über ein Thema: die von ihm angestrebte Gesundheitsreform. „Habe heute mit der „American Nurses Association“ über die dringende Notwendigkeit einer Gesundheitsreform gesprochen“, war kürzlich auf seiner Seite zu lesen. Mit solchen tagebuchähnlichen Notizen will Obama eine Atmosphäre der Transparenz schaffen – und Bürgernähe demonstrieren. Darüber hinaus nutzt er den Mikroblogkanal, um seine Followers zu informieren: „Jeder Amerikaner muss wissen, was die Reform der Krankenversicherung für ihn bedeutet. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um es herauszufinden auf bit.ly/4BnpJthttp://but.ly/RZN59#hc09.“ Oder: „Ihre Stimme auf Twitter kann helfen, die Gesundheitsreform durchzusetzen. Twittern Sie Ihrem Abgeordneten heute!“
Wachsende Beliebtheit
In Sachen Gesundheit ist Obama nicht als einziger auf den Twitter-Trichter gekommen. In Großbritannien etwa hat der National Health Service (NHS) einen Account auf Twitter eingerichtet. Darauf beantwortet die staatliche Gesundheitsbehörde Fragen von Bürgern und veröffentlicht Tipps zu Themen wie Impfungen oder Grippe: „Ist es eine Erkältung oder Grippe? Finden Sie es hier heraus: http://bit.ly/3qeuC“.
Auch in Deutschland unternehmen Organisationen im Gesundheitsbereich erste Gehversuche mit Twitter. „Wir haben uns mit der Welt-Aids-Tag-Aktion auf Twitter angemeldet, die Seite aber noch nicht aktiv beworben. So können wir mit einem kleinen Projekt prüfen, ob Twitter als Kommunikationsmedium für uns funktioniert“, sagt Maria Völker-Albert, Pressesprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Elektronische Medien hätten in den vergangenen zehn bis 15 Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, fügt sie hinzu: „Wir verschließen nicht die Augen vor neuen Entwicklungen, machen aber auch nicht sofort jeden Trend mit. Als Bundesbehörde überlegen wir immer erst, ob neue Communities wie Twitter etwas sind, wo wir uns als seriöser Anbieter etablieren können – und wollen.“ Up to date zu sein bei technischen Kommunikationsmöglichkeiten, ist für die BZgA vor allen Dingen wichtig, um den Anschluss an eine ihrer Hauptzielgruppen nicht zu verlieren: Jugendliche und junge Erwachsene.
Schneller als die Polizei erlaubt
Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit machen den Reiz von Twitter aus. In Deutschland haben just diese Eigenschaften die Plattform in der Vergangenheit schlecht aussehen lassen. Stichwort Twitter-Affäre. Hintergrund: Bei der Bundespräsidentenwahl im Mai 2009 veröffentlichten zwei Abgeordnete die Ergebnisse der Stimmauszählung vor der offiziellen Verkündung durch den Bundestagspräsidenten. Der Verstoß gegen das Protokoll führte zu heftigen Diskussionen in der Parteienlandschaft. Die Ereignisse bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und im Saarland gossen weiteres Öl ins Feuer. Dort wurden die sogenannten Exit-Polls, Umfragen am Tag der Stimmabgabe, 90 Minuten vor Schließung der Wahllokale getwittert. Die Wahlgesetze von Bund und Ländern verbieten die Veröffentlichung dieser Zahlen, weil sie die Stimmabgabe unzulässig beeinflussen könnten.
Auch im medizinischen Bereich können Social Networks problematisch sein. So veröffentlichte das „Journal of the American Medical Association“ kürzlich eine Studie, aus der hervorgeht, dass Medizinstudenten häufig private und medizinische Details über ihre Patienten posten. Mehr als die Hälfte der 78 untersuchten Hochschulen meldete solche Fälle. Eines von zehn der Postings enthielt deutliche Verletzungen der ärztlichen Schweigepflicht. Wie das Team um Katherine Chretien vom „VA Medical Center“ in Washington feststellte, verfügten nur wenige Einrichtungen über Richtlinien für den Umgang mit den Internetcommunities.
Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net