Erfolg und Misserfolg in der Parodontologie
Prof. Kocher aus Greifswald widmete seinen Eröffnungsvortrag der Frage „Wann ist Extraktion die beste Therapie“. Die Beantwortung dieser Frage ist von jeher von besonderem Interesse für die zahnärztliche Praxis und nimmt im Zeitalter der möglichen Implantattherapie eine zentrale Position ein, wobei der Referent betonte, dass primär festgestellt werden muss, welche Zähne überhaupt erhaltungsfähig sind. Dabei müssen Entscheidungen auf Zahnebene, Gebissebene und Patientenebene getroffen werden und häufig wird die Prognose für fragliche Zähne mit fortgeschrittenem Attachmentverlust zu schlecht eingeschätzt und das Erhaltungspotenzial durch PA-Therapie unterschätzt. Im Besonderen bei der Erhaltung einer geschlossenen Zahnreihe sollten alle Möglichkeiten der Parodontitistherapie primär ausgeschöpft werden. Die nicht selten vertretene Meinung, dass zum Erhalt knöcherner Strukturen parodontal geschädigte Zähne frühzeitig extrahiert werden sollten, lehnte der Referent als zu kurzsichtig gedacht ab.
Prof. Ulrich Schlagenhauf, Würzburg, der derzeitige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie, ging im Anschluss der Frage nach, ob wir zu früh operieren beziehungsweise wie ist das „Schicksal parodontal schwer vorgeschädigter Zähne unter nicht chirurgischer Therapie“. Auch in diesem Vortrag standen Prognoseeinschätzung und der Erhalt einer geschlossenen Zahnreihe im Mittelpunkt. Parodontal schwergeschädigte Zähne, wobei ein Grenzwert von 8 mm klinischem Attachmentverlust genannt wurde, generell schon zu Beginn der Behandlung als hoffnungslos einzustufen, schätzte der Referent als nicht gerechtfertigt ein. Auch ohne chirurgische Intervention kann eine parodontale Regeneration nach konservativer Therapie stattfinden, die allerdings häufig erst nach bis zu zwölf Monaten zu beobachten ist. Deshalb sollte die Entscheidung für einen operativen Eingriff nicht zu früh getroffen werden, um „ein mögliches Autoregenerationspotential des alveolären Knochens nicht zu zerstören“. Die von Prof. Schlagenhauf vertretene Meinung, jeden Parodontitispatienten mit Sondierungswerten über 8 mm grundsätzlich adjunktiv antibiotisch zu behandeln, wurde allerdings in der anschließenden Diskussion kritisch hinterfragt.
Prof. Bernd-Michael Kleber aus Berlin stellte die Fragen nach Erfolg und Misserfolg in Abhängigkeit eines Furkationsbefalls. Er begann seine Ausführungen mit den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen, die prinzipiell von einer schlechten Prognose für Zähne mit Attachmentverlust von mindestens 75 Prozent beziehungsweise einem Furkationsbefall Grad III ausgehen und in der Regel die Extraktion dieser Zähne verlangen. Anhand der aus der Literatur zur Verfügung stehenden Datenlage belegte und mittels verschiedener Kasuistiken zeigte der Referent, dass in der Tat die Behandlungsmöglichkeit und Überlebensrate dieser Zähne eingeschränkt zu sein scheint, jedoch eine über 80-prozentige Zehnjahresüberlebensrate eine Behandlung furkationsbefallener Zähne prinzipiell rechtfertigt. Dabei bestimmen der übergeordnete Gesamttherapieplan und die Patientencompliance das Vorgehen.
Frühzeitige Diagnostik bestimmt die Erfolgsrate
Prof. Peter Eickholz, Frankfurt am Main, referierte im Anschluss zu Problemen der Therapie der aggressiven Parodontitis. Mit den diagnostischen Kriterien für eine aggressive Parodontitis als Einstieg in den Vortrag betonte er bereits zu Beginn, dass Erfolg oder Misserfolg der Therapie der aggressiven Parodontitis im Wesentlichen von einer frühzeitigen Diagnostik und einer konsequenten und kompetenten Therapiedurchführung abhängen. Im Besonderen ist auf eine familiäre Häufung dieser Erkrankung zu achten, auch wenn der genetische Hintergrund zum heutigen Zeitpunkt noch nicht aufgedeckt werden konnte. Außerdem ging Prof. Eickholz auf die Bedeutung spezieller pathogenetischer Mechanismen im Zusammenhang mit dem Vorkommen spezifischer Parodontopathogene wie A. actinomycetemcomitans und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer adjunktiven antibiotischen Therapie neben der mechanischen antiinfektiösen Therapie bei diesen Patienten ein.
Thema von Prof. Michael Christgau aus Düsseldorf war die regenerative Parodontitistherapie: „Fehlerquellen kennen/Fehler vorbeugen“. Die regenerative Parodontitistherapie umfasst alle Techniken und Materialien, die eine echte Regeneration aller Bestandteile des Parodonts gewährleisten soll. Dazu zählen erstens der Einsatz von Knochen und Knochenersatzmaterialien, zweitens die gesteuerte Geweberegeneration mit Hilfe der Membrantechnik sowie drittens die Anwendung von biologisch wirksamen Proteinen wie Wachstumsfaktoren oder Schmelzmatrixproteinen. Prof. Christgau erläuterte anschaulich die verschiedenen Techniken und Materialien und deren evidenzbasierte Erfolgsaussichten. Fehlerquelle Nummer eins ist die falsche Indikation und Patientenauswahl, wobei eine entscheidende Rolle die Defektmorphologie beziehungsweise Mundhygiene- und Rauchverhalten der Patienten spielen. Inadäquate Infektionskontrolle prä- und postoperativ ist eine zweite nicht zu vernachlässigende Ursache für den Misserfolg und drittens muss dass Therapiekonzept geeignet sein, eine Volumenstabilität des Defektes zu garantieren, wie durch die Kombination von autologem Knochen oder Knochenersatzmaterialien mit Emdogain. Letztendlich trägt eine adäquate OP-Technik, wie mikrochirurgisches Vorgehen, die Benutzung von Sehhilfen oder ein entsprechendes Lappendesign, welches über dem Defekt einen primären Wundverschluss gewährleistet (Papillenerhaltungstechnik) zum Erfolg bei.
Dr. Otto Zuhr aus München referierte anschließend zum „Weichgewebemanagement – Erfolgsplanung/Misserfolgsvermeidung“ im Besonderen im Bereich der „ästhetischen Zone“. Der etwas lapidare Slogan: „Keep it simple, stupid.“ kann auf diesen Bereich leider nicht übertragen werden, da in der ästhetischen Zone nichts einfach ist. Vorhersagbarkeit und Langzeiterfolg von Quantität – möglichst vollständige Geweberekonstruktion - und Qualität – ästhetisches, harmonisches und unauffälliges Therapieergebnis – sind maßgebend und werden von Heilungsmechanismen beeinflusst, das heißt eine optimale Heilung muss angestrebt werden, wobei die Einschätzung von Erfolg oder Misserfolg zwischen Behandler und Patient recht unterschiedlich ausfallen kann. Zuhr betonte in diesem Zusammenhang wiederum die Bedeutung der Patientenselektion, da das Heilungspotenzial durch Allgemeinerkrankungen, das Alter, bisher nicht bekannte genetische Faktoren oder das Rauchen per se eingeschränkt sein kann beziehungsweise der Patient aufgrund der Fallsituation nicht realisierbare Erfolgserwartungen hat. Eine Stimulation der Heilung ist eventuell durch die aus der regenerativen Parodontitistherapie bekannten Wachstumsfaktoren oder Schmelzmatrixproteine möglich. Bei den lokalen Faktoren, die die Heilung und damit das Therapieergebnis beeinflussen, haben wieder Entzündungsfreiheit aber auch eine optimale OPTechnik eine ausschlaggebende Bedeutung. Klinische Fälle und kurze Videosequenzen veranschaulichten diese Problematik eindrucksvoll. Abschließend wies Zuhr auf die steigende Bedeutung der „Tunneltechnik“ mit Verzicht auf vertikale Entlastungsinzisionen in der Zukunft hin.
Mögliche Komplikationen
Prof. Petra Ratka-Krüger, Freiburg, beendete schließlich das Tagungsprogramm mit einer Synopsis zum Misserfolgsmanagement. Misserfolge oder Komplikationen treten in der plastischen Chirurgie in der Regel in Form von nicht behobenen Rezessionen auf, die auch nach PA-chirurgischen Eingriffen zum Problem werden können. Fortschreitender Attachmentverlust oder das Auftreten von Abszessen sind weitere Komplikationen dieser Therapieform. Die Referentin betonte, dass der Arzt dem Patienten zwar keinen Heilungserfolg schuldet, aber „die ornungsgemäße Untersuchung und Behandlung nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft und Technik“.
Im Folgenden diskutierte sie, auch anhand anschaulicher klinischer Bilder, die wichtigsten Risikofaktoren für Misserfolg und Komplikationen, wie ungenügende Patientenkommunikation und Aufklärung, Missachtung der allgemeinen Anamnese, unzureichende Inspektion und Befundaufnahme mit daraus resultierender falscher oder fehlender Diagnose oder Behandlung ohne adäquates Therapiekonzept. Abgerundet wurde der Vortrag beziehungsweise das gesamte Tagungsprogramm mit Hinweisen für die Praxis, wie man diese Risikofaktoren vermeiden oder zumindest minimieren kann. Aber ein 100-prozentiger Therapieerfolg bleibt wie in der gesamten Medizin auch in der Parodontologie illusorisch und Prof. Ratka-Krüger beendete ihre Ausführungen mit Eugen Roth: „Auch wenn Du noch so gut chirurgst, es kommt der Fall, den Du vermurkst.“
Dr. med. Barbara NoackFetscherstraße 7401307 Dresden