Rückblick auf die 81. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGKFO
Der Würzburger Zahnarzt Andreas Michel veröffentlichte im Jahr 1900 zwei Zahlen, die beispielhaft die orthodontischen Anfänge beschreiben. Er hält fest, dass in drei Semestern zwischen 1898 und 1900 in seinem Privatinstitut, dem späteren „Königlichen Universitätsinstitut“, 2 495 Schülerinnen und Schüler behandelt wurden, von denen lediglich 14 „Zahnregulierungs-Maschinen“ erhielten. Angesichts einer kaum vorhandenen gesellschaftlichen Nachfrage nach orthodontischen Leistungen und den daraus resultierenden geringen Fallzahlen im Praxisalltag verwundert es nicht, dass immer mehr Zahnmediziner mit dem Blick auf die in den USA bereits erreichten Standards eine stärkere Einbeziehung orthodontischer Fragestellungen und Lösungen in Wissenschaft und Praxis forderten. Nicht zuletzt mündete das in die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Orthodontie“, die im Mai 1908 im Rahmen einer Versammlung des damaligen „Centralvereins der Deutschen Zahnärzte“ in Köln erfolgte und aus der später die DGKFO hervorging. Dabei wählten die 20 Teilnehmer der Gründungsversammlung den Hofzahnarzt Hofrat Heinrich Wilhelm Pfaff zum 1. Vorsitzenden. Schriftführer wurde der Berliner Zahnarzt Alfred Körbitz, der seit 1902 eine Poliklinik leitete. Kassenwart wurde Emil Herbst, der in Bremen eine Privatpraxis führte. Von den Universitäten waren damals nur der Hallenser Professor Hans Körner und der Berliner Prothetiker Professor Hermann Schröder nach Köln gekommen. Schröder richtete im gleichen Jahr bereits eine Unterabteilung Orthodontie innerhalb der Prothetik ein, und Pfaff hatte im Wintersemester 1907/1908 den ersten Lehrauftrag für Orthodontie am zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig erhalten.
Wie es vor 100 Jahren im Tagungsbericht heißt, versammelten sich „zur ersten wissenschaftlichen Sitzung 52 Teilnehmer, worunter nicht nur Gäste aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch aus dem Auslande zu verzeichnen waren“. Sie erörterten Fragen zur Pathologie und Therapie der Mundatmung aber auch zur Rolle der Gaumenmandeln. Diesen Blick über die nationalen Grenzen, ebenso wie über die Grenzziehungen unseres Fachs, hat die DGKFO seit ihrer Gründung sorgsam gepflegt. Auch 100 Jahre später war die Zusammenführung aller relevanten wissenschaftlich, technisch und klinisch geprägten Fachrichtungen ein Hauptanliegen des Vorstands der DGKFO und des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Bert Braumann. Die Verhandlungsthemen wurden deshalb auch nicht zufällig gewählt. Sie sollten zum einen die kieferorthopädische Tradition mit der Moderne in Einklang bringen und zum anderen besonders die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Vordergrund stellen.
Nachdem am Eröffnungstag von den historischen Zeitzeugen der DGKFO Prof. Dr. Dr. Gottfried Schmuth und Prof. Dr. Emil Witt mit den jüngeren Ordinarien Prof. Dr. Sabine Ruf und Prof. Dr. Dieter Drescher eine Brücke vom geschichtlichen zum zeitgenössischen Wissensstand geschlagen worden war, folgte im Verlauf der Tagung die spannende Präsentation der aktuellen Forschungsergebnisse. Die unter den Tagungsschwerpunkten „Dysfunktion und Dysgnathie“ und „Interdisziplinäre Behandlung von ausgeprägten skelettalen Dysgnathien“ präsentierten Vorträge, Demonstrationen und Poster, zeugten von hohem wissenschaftlichen Niveau und führten im Anschluss zu angeregten Diskussionen.
Um durch das Herausgreifen einzelner Arbeiten die Vielzahl qualitativ hochwertiger, wissenschaftlicher Studien nicht ungewürdigt zu lassen, sollen an dieser Stelle nur die im Verlauf des Kongresses durch die DGKFO prämierten Beiträge hervorgehoben werden. Schon während der feierlichen Eröffnung im Kölner Gürzenich verlieh die Präsidentin der DGKFO Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke die DGKFO Forschungs- und Jahresbestpreise. Mit dem Jubiläums-Forschungspreis DGKFO 100 wurden Christian Hirsch et al., Leipzig, für die Arbeit „Kein erhöhtes Risiko für kraniomandibuläre Dysfunktionen und Bruxismus im Kindes- und Jugendalter während der kieferorthopädischen Therapie“ sowie Gero Kinzinger, Linda Frye und Peter Diedrich, Aachen, für ihre vergleichende Studie „Distalbissbehandlung bei Adulten: Camouflage Orthodontie versus dentofaziale Orthopädie versus Dysgnathiechirurgie“ ausgezeichnet.
Die Jahresbestpreise für die jeweils beste Publikation im bilingualen Journal of Orofacial Orthopedics im Jahr 2007 erhielten in der Kategorie „Aus der Hochschule“ Ute Jensen und Sabine Ruf, Giessen, für ihre Arbeit „Longitudinale Veränderungen von temporomandibulären Dysfunktionen bei jungen Erwachsenen: Indikation für ein systematisches Kiefergelenkscreening“ und in der Kategorie „Aus der Praxis“ Nasrin Seifi-Shirvandeh und Bernd Zimmer, Kassel, für ihre Untersuchung „Veränderungen von Rezessionen durch die kieferorthopädische Behandlung von traumatischen Tiefbissen bei Erwachsenen“.
Die Verleihung der DGKFO Posterpreise 2008 erfolgte am vorletzten Kongresstag. Den ersten Preis erhielten Franka Stahl et al., Rostock, für ihr Poster mit dem Titel „Gebissanomalien und orofaziale Dysfunktionen bei Kindern mit Sprachbehinderung“ , der zweite Preis für den Beitrag „Abrasive Wirkung von Pulver-Wasser-Strahlmitteln auf Glattflächenversiegler“ ging an Sandra Engel et al., Berlin, und der dritte Preis an Christoph Bourauel et al., Bonn, für die Untersuchung „Kräfte und Drehmomente in selbstligierenden und konventionellen Bracketsystemen“.
Der Zusammenhang zwischen Form und Funktion ebenso wie die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit lassen sich in der Kieferorthopädie an keiner Patientengruppe so eindringlich begreifen, wie an der, die aufgrund ihrer angeborenen Fehlbildung einen ganz besonders schweren Start ins Leben hat. Mehr als 1 200 Kinder mit Spaltbildungen im Kiefer-Gesichtsbereich werden jährlich in Deutschland geboren. Die Spaltbildung steht dabei meist nur im Vordergrund eines Fehlbildungskomplexes, der sekundäre Behinderungen hervorruft und mit verschiedenen Folgeerkrankungen kombiniert sein kann. Diese Komplexität erfordert deshalb eine umfassende und aufwändige Rehabilitation durch Spezialisten verschiedener Fachrichtungen. Sie beginnt bereits unmittelbar nach der Geburt und erstreckt sich bis zum Abschluss des Wachstums.
Erstmalig und sehr erfolgreich initiierte die DGKFO eine Charity-Veranstaltung, für die der namhafte international wirkende Kölner Künstler Christof Breidenich gewonnen werden konnte. Im Rahmen der „Pixelpainting“ Aktion malte der Künstler im Verlauf des Eröffnungsabends ein aus 600 Einzelbildern (Pixeln) zusammengesetztes zwölf Meter langes und 3,60 Meter hohes Bild, das stilisiert den Schriftzug DGKFO in Form eines Reigens in sich verwundener Menschen vor dem Hintergrund des Rheins, des Kölner Doms und der Deutzer Brücke darstellte. Durch den Erlös der von den Kongressteilnehmern erworbenen kleinen Kunstwerke, der durch die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) noch einmal verdoppelt wurde, durch großzügige freie Spenden und durch Einnahmen aus dem Kartenverkauf des Rahmenprogramms wurde mit über 30 000 Euro die finanzielle Grundlage für die Installation einer nationalen Datenbank der German Cleft Palate Craniofacial Assossiation (GCPA) geschaffen . Hierbei sollen klinische Merkmale von Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Nasenfehlbildungen überregional erfasst werden und für wissenschaftliche Studien zur Verfügung stehen. Die Installation der Datenbank wird noch in diesem Frühjahr erfolgen. Mit ihrer Hilfe könnte die Ursachenforschung deutlich beschleunigt, die Behandlung der Betroffenen optimiert und die Entwicklung moderner therapeutischer Konzepte wesentlich vorangetrieben werden.
Neben dem wissenschaftlichen Programm gab es auf der Jubiläumstagung auch für die Begegnung mit der Dentalindustrie reichlich Raum und Gelegenheit. Auf einer Fläche von über 1 700 m² mit über 100 internationalen Ausstellern kam es während der Fachmesse zu einem regen Austausch über neue Materialien, innovative Technik aber auch altbewährte Verfahren rund um die Praxis der kieferorthopädischen Diagnostik, Planung und Therapie.
Termin 2009
Die 82. Jahrestagung der DGKFO, die vom 16. bis 19. September 2009 unter der Leitung des Tagespräsidenten Professor Dr. Dr. Heinrich Wehrbein in Mainz stattfindet, darf mit Spannung erwartet werden. Neben freien Themen werden die „Biologie und Technologie in der kieferorthopädischen Therapie“ und die „Kieferorthopädische Behandlung Erwachsener“ die Themenschwerpunkte sein.
Prof. Dr. Bert BraumannKerpenerstraße 3250931 Köln