Ein Fass ohne Boden
Den gesetzlich Krankenversicherten drohen im nächsten Jahr deutlich höhere Kosten. Steigende Ausgaben für Medikamente, ambulante und stationäre Versorgung sowie eine möglicherweise stark wachsende Arbeitslosigkeit belasten die Bilanz der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und verursachen voraussichtlich ein Milliardendefizit im Gesundheitsfonds. Zu diesem Ergebnis kommt der GKV-Schätzerkreis des Bundesversicherungsamtes. Dem Schätzerkreis gehören Fachleute aus dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Bundesversicherungsamt und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen an. Er hat die Hauptaufgabe, die Ein- und Ausgaben der GKV für das Folgejahr zu prognostizieren. Ziel ist es, Anhaltspunkte dafür zu finden, wie negativ sich der bevorstehende Einbruch auf dem Arbeitsmarkt auf die Einnahmen des Gesundheitsfonds auswirken wird. Die Prognose des Schätzerkreises dient als Empfehlung für die Bundesregierung, die bis November eines jeden Jahres über den einheitlichen Beitragssatz aller Kassen für das Folgejahr zu entscheiden hat.
Für das Jahr 2009 rechnet der Schätzerkreis mit Ausgaben der GKV in Höhe von 167,1 Milliarden Euro. Dabei sind schon voraussichtliche Ausgaben für die Impfung gegen die Schweinegrippe in Höhe von 600 Millionen Euro berücksichtigt. Die voraussichtlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds betragen 165,3 Milliarden Euro.
Defizit prognostiziert
Im Jahr 2010 werden Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 174,2 Milliarden Euro erwartet. Die Einnahmen des Gesundheitsfonds betragen voraussichtlich 167,2 Milliarden Euro.
Hiervon werden den Krankenkassen 166,7 Milliarden Euro zugewiesen. Die verbleibenden 500 Millionen Euro dienen dem Aufbau der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Die Ausgaben der GKV liegen somit im nächsten Jahr voraussichtlich um 7,5 Milliarden Euro höher als die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds.
Unklar ist bisher, welche Maßnahmen die neue Bundesregierung angesichts des Milliardendefizits ergreifen wird. In den Koalitionsverhandlungen haben sowohl die Union als auch die Liberalen deutlich gemacht, dass eine Anhebung des Beitragssatzes kaum in Frage kommt – sie befürchten, dass das Steigen der Lohnnebenkosten die Wirtschaftskrise weiter verschärfen könnte. Außerdem hatte die Regierung ja erst im Juli dieses Jahres den Beitragssatz mittels Steuerzuschüssen von 15,5 auf 14,9 Prozent gesenkt. Dass eine schwarz-gelbe Koalition diese Zuschüsse angesichts der hohen Neuverschuldung und einbrechender Steuereinnahmen erhöhen wird, hält zumindest der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem für unwahrscheinlich. Er rechnet stattdessen mit einem Anstieg der Zusatzbeiträge für gesetzlich Versicherte auf breiter Front. Wasem sieht darin durchaus auch Vorteile, denn so komme der Wettbewerb unter den Kassen aufgrund unterschiedlich hoher Zusatzbeiträge stärker in Gang. Und wenn bei den Kassen erst einmal die Angst verschwunden sei, die eigenen Kunden mit Prämien zu verprellen, könnten sie wieder in sinnvolle Angebote investieren. Ein kräftiges Kostendämpfungsgesetz zur Stabilisierung der Finanzsituation sei hingegen nicht zu erwarten, so der Gesundheitsökonom im ZDF-Morgenmagazin.
Fonds wird modifiziert
Die FDP sieht den Gesundheitsfonds in der Verantwortung für die Finanzmisere und hat angekündigt, über das Fortbestehen des Fonds mit der Union vorbehaltlos diskutieren zu wollen. Die CDU-Gesundheitspolitikerin Anette Widmann-Mauz verwarf diese Option – eine Abschaffung des Fonds komme nicht in Frage. Allerdings kündigte Widmann-Mauz an, mit der FDP über den Wegfall der einprozentigen Belastungsgrenze (siehe Kasten) verhandeln zu wollen. So könnten die Zusatzbeiträge, an denen sich die Arbeitgeber nicht beteiligen müssen, deutlich steigen. Die schwarz-gelbe Koalition könnte also die Gunst der Stunde nutzen, die ursprünglich von der Union favorisierte „Kopfpauschale“ auf diesem Wege einzuführen.
Verschiedene Krankenkassen haben angesichts des zu erwartenden Milliardendefizits im Gesundheitsfonds Hilfe vom Staat gefordert. „Jetzt sind alle Beteiligten gefordert, ihren Beitrag zur Schließung dieser Finanzlücke zu leisten“, so Jürgen Graalmann, Vizevorstandschef des AOK-Bundesverbandes. Dabei sei dafür Sorge zu tragen, dass die Beitragszahler nicht überfordert werden und es bei einer solidarischen Mittelaufbringung bleibt. Wichtigste gesundheitspolitische Herausforderung der neuen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages sei nach den jetzt notwendigen kurzfristigen Entscheidungen die nachhaltige Stabilisierung der Finanzbasis der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Vorstandschef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), Ingo Kailuweit, hatte im „Handelsblatt“ verlangt, das für Finanzlöcher im Fonds vorgesehene Darlehen in einen Steuerzuschuss umzuwandeln – der Bund hat sich verpflichtet, bei Beitragsausfällen im Gesundheitsfonds mit einem zinslosen Darlehen einzuspringen, das ab 2011 zurückgezahlt werden muss.
Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalistmail@otmar-mueller.de