Medizintourismus

Ein lukratives Nischengeschäft

Heftarchiv Gesellschaft
pr
2007 kamen rund 71000 Patienten aus aller Welt nach Deutschland, um sich behandeln zu lassen. Die meisten Patienten stammen aus Nachbarländern. Medizin „made in Germany“ wird aber auch bei Arabern und Russen zunehmend beliebter. Das lukrative Geschäft mit den Medizintouristen bildet dennoch nur einen Nischenmarkt. Die Betreuung von Patienten aus fremden Kulturen erfordert zudem einen hohen personellen und finanziellen Aufwand.

Der gute Ruf des deutschen Gesundheitssystems hat sich bis weit über die europäischen Grenzen hinweg herumgesprochen. Von den 70 898 ausländischen Patienten, die sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2007 in deutschen Kliniken behandeln ließen, kamen mehrere Tausend aus Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Kuwait.

Innerhalb Europas sind es vor allem Niederländer, Franzosen, Österreicher, Polen und Belgier, die die Leistungen der deutschen Medizin schätzen. Zu einem Markt mit beträchtlichen Steigerungsraten entwickelt sich zudem Russland. So stieg der Anteil russischer Patienten allein zwischen 2004 und 2007 um 138 Prozent. Grund für den Trend ist unter anderem das im internationalen Vergleich günstige Preis-Leistungs-Verhältnis deutscher Kliniken.

Geringer Prozentsatz

Die Patientenzahlen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim Medizintourismus um einen Nischenmarkt handelt. Der Anteil am Gesamtpatientenaufkommen beträgt nach einer aktuellen Marktstudie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg lediglich 0,4 Prozent.

„Die Anzahl ausländischer Patienten variiert allerdings stark nach Kliniken und Abteilungen“, sagt Jens Juszczak. Der Diplom-Kaufmann hat sich im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule auf Fragen zum Medizintourismus spezialisiert.

Von den ausländischen Patienten profitieren vor allem Akut- und Rehabilitationseinrichtungen an Standorten wie München, Berlin, Bonn, Hamburg, Augsburg, Aachen oder Heidelberg. Bei den Fachabteilungen sind es die Orthopädie, Allgemein- und Viszeralchirurgie, die Innere Medizin, Kardiologie und Pädiatrie, die für Medizintouristen besonders attraktiv sind. „Auslandspatienten erreichen hier Anteile von bis zu 40 Prozent“, so Juszczak.

Die Behandlung ausländischer Patienten kann somit ein lohnendes Geschäft sein, zumal die Kliniken die Einnahmen außerhalb der Budgets abrechnen können. Der Betreuungsaufwand für die Klientel vor allem aus dem arabischen Raum ist allerdings oft beträchtlich. Im Schnitt beträgt er ein Zweibis Dreifaches dessen, was für einen deutschen Patienten erforderlich ist.

Wert auf Rundum-Service

Arabische Patienten legten neben der fachlichen Kompetenz großen Wert auf Diskretion sowie einen Rundum-Service einschließlich touristischer Angebote, Transfer, Dolmetscherdienste und Unterstützung bei der Beantragung von Einreisevisa, sagte Professor Nicolas Abou Tara auf einer Konferenz zum Thema Medizintourismus in Sankt Augustin. Der Syrer arbeitet als Implantologe und politischer Berater für internationale Zusammenarbeit in Hamburg. Auch gelte es, mitunter spezielle Ernährungsweisen und religiöse Gewohnheiten zu berücksichtigen. Zwar erheben der Studie zufolge mehr als die Hälfte der im Auslandsgeschäft engagierten Kliniken Zuschläge für erhöhten Betreuungsaufwand und Komplikationen. Juszczak weist aber darauf hin, dass sich die Einrichtungen mit der Abrechnung solcher Zusatzkosten in einer Grauzone bewegen, da auch für Patienten aus dem Ausland das Fallpauschalsystem und die Gebührenordnungen gelten.

Zahlungsausfälle

Überhöhte Abrechnungen hätten zudem oft Zahlungsausfälle oder -verzögerungen zur Folge, berichtet der Experte. 45 Prozent der befragten Kliniken haben schon mal die Erfahrung gemacht, dass die zusätzlichen Aufwendungen von den Botschaften, Konsulaten oder Krankenkassen im Ausland nicht vergütet werden. Die durchschnittliche Wartezeit auf die Erstattung der Kosten beträgt der Marktstudie zufolge fünfeinhalb Monate. „Probleme gibt es vor allem mit Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait“, sagt Juszczak. Der Großteil der offenen Rechnungen betrifft Summen von bis zu 100 000 Euro. In einigen Fällen übersteigt der Betrag aber auch schon mal die Eine-Million-Euro-Grenze. Um sich gegen Zahlungsausfälle abzusichern, gingen daher immer mehr Kliniken dazu über, Vorauszahlung zu verlangen, so Juszczak.

Petra SpielbergChristian-Gau-Straße 2450933 Köln

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