Depression am Arbeitsplatz

Krankmacher Job

Dauerstress, schlechte Stimmung im Team, Angst um die wirtschaftliche Existenz. Wenn solche Gefühle den Arbeitsalltag bestimmen, können sie in eine Depression münden. Gefährdet sind nicht nur die Angestellten großer Unternehmen, auch in kleinen Betrieben wie Zahnarztpraxen kann der Job zum Krankmacher werden.

Auf dem Schreibtisch stapeln sich die Patientenakten, die Laborergebnisse lassen mal wieder auf sich warten und mit den Kollegen läuft es einfach nicht rund – so kann der Arbeitsalltag für Praxismitarbeiterinnen aussehen. Aber auch Zahnärzte und Zahnärztinnen haben eine große Arbeitslast zu bewältigen. Den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden, das Praxisteam zu koordinieren und den bürokratischen Verwaltungsaufwand zu stemmen, kostet Kraft. Und nebenbei muss man auch noch ein Auge darauf haben, dass die Praxis gut läuft.

Vielen Menschen macht beruflicher Stress nichts aus. Im Gegenteil, sie genießen jede Herausforderung und freuen sich, wenn es richtig „zur Sache“ geht. Doch Vorsicht: Bei Dauerstress stößt irgendwann jeder an seine Grenzen. Auch die Supermotivierten. Ob positiv oder negativ: Die Arbeit beeinflusst unser Wohlbefinden. Ängste im oder um den Job gehen auf Dauer an die Substanz.

Psychischer Druck nimmt zu

Arbeitsbedingte psychische Störungen treten in Deutschland immer häufiger auf. Laut DAK-Gesundheitsreport 2009 lag ihr Anteil am Krankenstand im vergangenen Jahr bei 10,6 Prozent. Die dadurch verursachten Fehltage nahmen gegenüber 2007 um 7,9 Prozent zu. Angstzustände und Depressionen sind die vierthäufigste Krankheit am Arbeitsplatz und werden nach EU-Schätzungen in 15 Jahren auf Platz zwei vorgerückt sein.

Für diese Entwicklung gibt es keine pauschale Erklärung. Dass Stress im Beruf eine wichtige Rolle spielt, liegt jedoch nahe: Der Übergang von der Industriezur Wissensund Dienstleistungsgesellschaft hat das Belastungsprofil von Arbeitnehmern grundlegend verändert. Während die körperliche Beanspruchung durch Lärm oder Hitze zurückgegangen ist, nahm der psychische Druck zu. „Die fortschreitende Arbeits- und Anforderungsverdichtung führt zu mehr Stress, da sie meist mit Zeit- und Termindruck einhergeht. Personal wird abgebaut, die Arbeitsmenge bleibt jedoch gleich oder erhöht sich sogar. Ständig präsent ist außerdem die Angst, den Job zu verlieren. Das geht ganz schön an die Nerven und raubt Energien”, erklärt die Arbeits- und Organisationspsychologin Dr. Fritzi Wiessmann. Die stille Übereinkunft, Arbeitsplatzsicherheit im Tausch gegen Engagement und Loyalität zu erhalten, gerät in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ins Wanken. Die Folge: Man fühlt sich im Job ständig mehr gefordert – aber trotzdem ersetzbar. Das führt zu Angst und Dauer stress.

Stress, der über Monate und Jahre anhält, ohne ausgeglichen zu werden, ist einer der wichtigsten psychosozialen Auslöser von Depressionen. Stress hat viele Ursachen, unter anderem die kontinuierliche Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Dank Internet und E-Mail, Fax und Telefon reißt der Informationsstrom praktisch nie ab und will schnell verarbeitet werden. Das grenzt die zeitlichen Freiräume ein, aber auch wie die Informationen verarbeitet werden, steht Arbeitnehmern häufig nicht frei.

Die Folgen: Demotivation und schlechte Leistungen. Aus einer Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) geht außerdem hervor, dass schlecht gestaltete Arbeit das Risiko depressiver Störungen erhöht.

Ebenfalls entscheidend für die seelische Gesundheit ist das Betriebsklima. Wo eine Ellbogenmentalität an der Tagesordnung ist, wo Leistungs- und Konkurrenzdruck herrschen, wo gemobbt und intrigiert wird, bleiben viele Menschen auf der Strecke. Fehlende Loyalität unter Kollegen oder Konflikte im Team können zu Verunsicherung, Vereinsamung und schließlich Depressionen führen.

Probleme erkennen

Stress im Job lässt sich nicht vermeiden. Psychische Belastungen sind ein normaler und notwendiger Bestandteil des Alltags – auch des Arbeitslebens. Um damit klar zu kommen, hilft eine gute Work-Life-Balance. Das schafft man, indem man in das Wohlbefinden seines Teams investiert. Praxisinhaber, die das nicht tun, zahlen unter Umständen drauf. „Unzufriedene Mitarbeiter äußern ihren Protest durch hohe Krankheitsquoten oder häufige Kurzerkrankungen“, erklärt Fritzi Wiessmann. Nach Informationen des Statistischen Bundesamts verursachten psychische und Verhaltensstörungen im Jahr 2006 Krankheitskosten in Höhe von 26,7 Milliarden Euro – im Jahr 2002 waren es noch 23,3 Milliarden. Depressionsbedingte Frühberentungen schlagen laut der Deutschen Depressionshilfe mit jährlich 1,5 Milliarden Euro zu Buche.

Psychische Krankheiten sind schon lange bevor es zu Fehltagen kommt teuer für Arbeitgeber, weil sie die Leistungsfähigkeit der Betroffenen mindern. Die BAuA schätzt die daraus resultierenden Verluste auf jährlich 1,3 Milliarden Euro.

Mitarbeiterfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen, macht also Sinn. Auch wichtig: die Symptome einer Depression erkennen zu können. Die Mitarbeiter eines Praxisteams sollten aufmerksam werden, wenn einer ihrer Kollegen – sei es Chef oder Helferin – dauerhaft gleichgültig wirkt, sich plötzlich abweisend oder aggressiv verhält oder sich isoliert. Häufig trauen Betroffene sich nichts mehr zu, wirken ängstlich und verunsichert oder sind oft krankgeschrieben.

Psychische Störungen äußern sich geschlechtsspezifisch. So bleiben Frauen der Arbeit häufiger wegen psychischer Erkrankungen fern als Männer. Laut Angaben der DAK entfielen bei den Frauen im vergangenen Jahr 13,1 Prozent der Fehltage auf diese Ursache – bei den Männern waren es 8,7 Prozent.

Von Depressionen sind Männer mit 5,4 Prozent nur halb so oft betroffen wie das weibliche Geschlecht (11,2 Prozent). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Männer durch ihre hormonelle Situation seltener erkranken, Frauen sind vor allem im Klimakterium betroffen. Möglich ist aber auch, dass Männer ein anderes Verhalten nach Hilfe haben. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, weshalb depressive Episoden bei ihnen seltener erkannt werden.

Männer hingegen sind anfälliger für Alkoholismus und Schizophrenie. So fielen Männer bei den psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol im Jahr 2007 doppelt so oft aus wie ihre Kolleginnen.

Verwandter Burn-out

Etwa ein Viertel aller niedergelassenen Ärzte und jeder fünfte Krankenhausarzt leidet am Burn-out-Syndrom (BOS). Laut dem Institut für Psychosomatische Zahnmedizin, Psychologie in der Zahnheilkunde und Zahnärztliche Psychotherapie in Achern besonders betroffene Kollegen: übergewissenhafte, sensitive und ehrgeizige Praxisinhaber zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr, die dazu neigen, sich selbst zu überfordern und dadurch in ein Leistungsdefizit geraten.

Zu den Anzeichen eines BOS gehören Konzentrationsschwierigkeiten, Lustlosigkeit und Erschöpfung (siehe auch Repetitorium zm 15/2006, S. 46-49). Erschöpfung stellt sich ein – ähnlich wie bei einer Depression –, wenn die dauerhafte Einwirkung eines oder mehrer Stressoren nicht ausreichend kompensiert wird. Zahnärzte können sich aufgrund einer Vielzahl von Faktoren dauerhaft ausgepowert fühlen: zu lange Arbeitszeiten und der Verzicht auf Feierabend, Zeitdruck im Praxisablauf, Personalprobleme, finanzieller Druck, Stress mit KZVen, PKVen oder Behörden und die Unfähigkeit, sich gegen schwierige Patienten abzugrenzen.

Ein Unterschied zwischen Depressionen und BOS ist aber, dass bei schwerer Erschöpfung seltener Selbstanklagen oder die für Depressionen charakteristischen Denkverzerrungen, Selbstmordgedanken und Appetitminderungen auftreten. Menschen mit BOS leiden stattdessen unter einer ausgeprägten Frustration und führen ihre Probleme auf eine äußere Ursache zurück, beispielsweise einen zurückliegenden Streit oder medizinische und paramedizinische Erklärungen. Vorsicht: Unbehandelt kann ein Burn-out in eine schwere Depression münden.

Es ist wichtig, eine genaue Diagnose zu stellen, weil sich die Therapien bei Depression und BOS unterscheiden. Antidepressiva sollten beim Burn-out meist nur kurz und unterstützend eingesetzt werden, während sie bei einer Depression oft über längere Zeit unverzichtbar sind.

Prävention lohnt sich

Im Jahr 2004 ergab eine Umfrage des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung unter 2 200 Betrieben, dass fast 80 Prozent der Firmen nicht wissen, was ihren Angestellten ungesunden Stress verursacht – obwohl Arbeitgeber seit 1996 laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen. Fritzi Wiessmann weiß, warum Arbeitgeber oft davor zurückschrecken, psychische Belastungen zu erfassen: „Zum einen fehlt in einer in der Vergangenheit eher technisch orientierten Arbeitswelt ein Problembewusstsein für ein mitarbeiterfokussiertes Arbeitshandeln. Nicht selten fürchten Führungskräfte oder die Geschäftsleitung, Führungsdefizite oder Organisationsmängel schwarz auf weiß aufgezeigt zu bekommen, weswegen man Erhebungen kritisch gegenübersteht.” Viele Unternehmen fürchten zudem hohe Kosten. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke sollte Arbeitgebern hingegen Mut machen. Die Wissenschaftler haben errechnet, dass sich ein Euro Investition in eine moderne Gesundheitsförderung nach drei Jahren mit mindestens 1,8 Euro auszahlt.

Gute – und einfache – Formen der Prävention für Chefs: Gestaltungsspielräume einräumen, Aufgaben klar zuteilen sowie transparentes und verlässliches Handeln als Geschäftsführer. All dies wirkt sich positiv auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus. Aber natürlich trägt letztendlich jeder selbst Verantwortung für seine körperliche und geistige Gesundheit. Deshalb ist es ratsam, sich regelmäßig zu fragen, wie es mit der eigenen Fähigkeit zu entspannen aussieht. Wenn es hiermit hapert, ist Gegensteuern angesagt.

Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net

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