Gesundheitsreform in den USA

Obamas Chancen steigen

Der Widerstand gegen die Gesundheitsreformpläne des US-Präsidenten Barack Obama bleibt bestehen. Doch nach einer wichtigen Abstimmung im US-Senat steigen die Chancen auf die Verabschiedung der Reform. Wahrscheinlich jedoch ohne die von Obama befürwortete Einführung einer staatlichen Krankenversicherung.

Die Reform des US-Gesundheitssystems gilt als Obamas wichtigstes innenpolitisches Ziel. „Die Höhe der Gesundheitsabgaben behindert unsere Unternehmen, lässt unser Defizit explodieren und kostet unser Land monatlich von Neuem Arbeitsplätze“, betonte der US-Präsident in einer Fernsehansprache Ende September. Die Reform des Gesundheitswesens sei folglich eine „entscheidende Etappe“ auf dem Weg zur Gesundung der Wirtschaft der USA. „Wir zahlen anderthalb mal mehr pro Person für die Gesundheitsversorgung als jedes andere Land, aber wir sind dafür nicht irgendwie gesünder.“ Die Ausgaben verschlingen nach seinen Worten ein Sechstel der gesamten Wirtschaftsleistung der USA. Obama möchte, dass der US-Kongress bis zum Jahresende seine Reformpläne absegnet. „Ich bin nicht der erste Präsident, der sich des Themas Gesundheitsreform annimmt, aber ich bin entschlossen, der letzte zu sein“, sagte er vor beiden Häusern des Parlaments in Washington zu seinen Plänen. Mit einem leidenschaftlichen Appell forderte er den Kongress auf, 47 Millionen bislang nicht versicherten Amerikanern endlich eine Krankenversicherung zu geben.

Kritiker befürchten Kostenwelle

900 Milliarden Dollar soll das Mammut-Projekt in zehn Jahren kosten: „Weniger als die Kriege im Irak und in Afghanistan“, sagte Obama. Doch trotz seiner Ankündigungen, die Reform ohne zusätzlichen Kosten für den Steuerzahler durch Einsparungen gegenzufinanzieren, befürchten Kritiker eine Kostenwelle auf die US-Bürger zurollen. Sie haben Bedenken, die Rolle des Staates im Gesundheitswesen über die bereits vorhandenen Versicherungen für Senioren (Medicare) und Bedürftige (Medicaid) hinaus auszuweiten. Republikaner warnen, eine staatliche Versicherung wäre der Anfang vom Ende der privaten Krankenversicherungen, weil die Regierung deren Finanzlöcher aus Steuermitteln stopfen könnte, so dass sie bessere Konditionen als die Privaten bieten könnte.

Obama muss allerdings nicht nur gegen Widerstände des politischen Gegners ankämpfen, sondern auch ein äußerst breit gestreutes politisches Spektrum innerhalb der eigenen Partei zusammenführen. So fordern etwa links-liberale Demokraten ein verstaatlichtes Modell nach kanadischem Vorbild, bei dem die Regierung eine Krankenversicherung für alle ihre Bürger bereitstellt. Der gemäßigte Demokraten-Flügel favorisiert eine Mischung aus gesetzlichen und privaten Krankenkassen, ähnlich wie es sie auch in Deutschland gibt. Dagegen drängen die sogenannten „blue dogs“, der konservative Flügel in der Partei, auf ein reines Privatkassensystem, aus dem sich der Staat völlig heraushalten soll.

Stark verwässert

Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass wohl nur eine stark verwässerte Gesundheitsreform letztlich vom Kongress verabschiedet werden kann. Erst Ende September konnte sich der Finanzausschuss im Senat trotz einer demokratischen Mehrheit nicht auf einen Gesetzesentwurf einigen, der die sogenannte „public option“, also die Schaffung einer gesetzlichen Krankenkasse als Konkurrenz zu den Privatversicherern, beinhaltet.

Anfang Oktober hat nun ein Kompromissentwurf den Finanzausschuss passiert – mit vierzehn zu neun Stimmen. Für Obama ein Quantensprung, da die vierzehnte Stimme von der republikanischen Senatorin Olympia Snowe stammt. Obama bräuchte nämlich bei einer endgültigen Abstimmung des gesamten Senats nicht nur die Stimmen aller 59 Demokraten, sondern eben auch die eines Republikaners, um eine weitere Blockade der Gesundheitsreform durch die Republikaner zu verhindern. Mit dem jetzt im Finanzausschuss vorgelegten Kompromissvorschlag sind nun auch die demokratischen Zweifler im Boot, die bislang die Gesundheitsreform torpediert haben, weil sie bei zu weitreichenden Änderungen – etwa der Einführung einer staatlichen Kasse – um ihre 2010 anstehende Widerwahl in den Senat fürchteten. Denn der Widerstand in der Bevölkerung ist massiv gewachsen nach einer Sommerpause, in der die Republikaner quer durchs Land Proteste gegen die Gesundheitsreform organisiert haben. Die Debatte hatte sich teilweise so stark erhitzt, dass es bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen gegen die Reform sogar zu Gewalt gekommen war: Bei Handgreiflichkeiten gab es mehrere Verletzte. Inzwischen beurteilen laut Umfragen 53 Prozent der Amerikaner Obamas Gesundheitspolitik negativ, zwölf Prozent mehr als im März dieses Jahres.

Kompromissbereitschaft signalisiert

Das Schicksal der Gesundheitsreform liegt jetzt in den Händen der demokratischen Führer im Kongress, der aus Senat und Repräsentantenhaus besteht. Zunächst muss Fraktionschef Harry Reid im Senat die Entwürfe des Gesundheits- und des Finanzausschusses zu einer mehrheitsfähigen Vorlage verschmelzen. Das Problem: Der jetzt vom Finanzausschuss des Senats verabschiedete Entwurf verzichtet auf die Einführung einer staatlichen Kasse. Er sieht stattdessen die Gründung einer genossenschaftlichen Krankenkasse als Alternative vor. Der Gesetzesentwurf des Gesundheitsausschusses enthält hingegen die „public option“, also die Einführung einer staatlichen Kasse.

Zumindest im Repräsentantenhaus sind die Mehrheitsverhältnisse klarer. Hier würde die staatliche Kasse wahrscheinlich problemlos passieren können, allerdings haben linke Demokraten gedroht, einer Reform ohne „public option“ nicht zuzustimmen. Der Präsident zumindest hat bereits Kompromissbereitschaft signalisiert: Zwar halte man im Weißen Haus eine staatliche Alternative zu privaten Krankenversicherungen für den besten Weg, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen durch mehr Wettbewerb einzudämmen. Als mögliche Alternativen werden jedoch auch Krankenkassen auf Ebene der Bundesstaaten oder gemeinnützige Genossenschaften diskutiert. Welche Variante sich am Ende durchsetzt oder ob die gesamte Gesundheitsreform noch scheitert, wird sich bis Ende des Jahres zeigen. Im Oktober dürfte sich der Kampf um die Gesundheitsreform aus den Ausschüssen und Hinterzimmern ins Plenum verlegen. Senat und Repräsentantenhaus werden dabei zunächst über getrennte Entwürfe abstimmen. Anschließend müsste ein Vermittlungsausschuss einberufen werden, der eine endgültige Fassung erstellt.

Otmar MüllerNürburgstraße 650937 Köln

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