Differentialdiagnose der Wangenschwellung

Radikuläre Zysten des Oberkiefers

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Ein 56-jähriger Patient wurde mit einer seit Monaten langsam größenprogredienten, nicht schmerzhaften Wangenschwellung links vom Hausarzt überwiesen (Abbildung 1). Bei der klinischen Untersuchung imponierte extraoral eine 4 x 4 cm² große, prall elastische Schwellung der Wange links ohne Rötung, Überwärmung oder wesentliche Druckdolenz bei Normästhesie des N. infraorbitalis beidseits. Eine Nasenatmungsbehinderung bestand nicht. Intraoral zeigte sich ein kariös zerstörtes adultes Lückengebiss mit multiplen Wurzelresten und mehreren nicht erhaltungswürdigen Zähnen. Die Wurzelreste sowie die Zähne 23, 25, 47 und 48 reagierten im Kälteprovokationstest negativ und waren perkussionsnegativ. Ferner fiel eine vestibuläre und palatinale Auftreibung des Vestibulums und des harten Gaumens in regio 22 bis 25 auf.

Das durchgeführte Orthopantomogramm (Abbildung 2) ließ mehrere rundliche, scharf begrenzte Radioluzenzen im Bereich des Oberkiefers apikal der Zähne 13 bis 15 und der Zähne 12 bis 26 erkennen.

Die veranlasste Computertomographie zeigte ausgedehnte zystische Prozesse im Oberkiefer beidseits mit expansivem, verdrängendem Wachstum und Ausdehnung in die Sinus maxillares beidseits sowie linksseitig bis in die Weichteile der Wange bei deutlicher Ausdünnung und teilweiser Destruktion der Corticalis (Abbildung 3).

Bei der sich anschließenden Operation in Intubationsnarkose erfolgte auf der rechten Seite eine Kieferhöhlenoperation mit Zystektomie wobei die Knochenhöhle zur Nebenbucht der Kieferhöhle gemacht wurde. In regio 12 bis 26 wurden Zystektomien durchgeführt. Zusätzlich wurden sämtliche Wurzelreste und nicht erhaltungswürdigen Zähne entfernt (Abbildung 4).

Die histopathologische Begutachtung der Präparate ergab ausgedehnte radikuläre Zysten (Abbildung 5). Bei der radiologischen Kontrolle nach einem halben Jahr zeigten sich die Radioluzenzen deutlich rückläufig, klinisch fanden sich unauffällige Verhältnisse.

Diskussion

Die radikuläre Zyste ist eine in der Regel einkammerige sich auf einer entzündlichen Basis bildende odontogene Zyste, die sich durch Proliferation aus einem apikalen Granulom, seltener einer Parodontitis, durch Einwachsen des Epithels aus Mallassez-Epithelnestern, den Resten der Hertwig-Epithelscheide oder des Saumepithels entwickelt [Regezi 2008]. Die radikuläre Zyste ist mit 50 bis 80 Prozent die häufigste odontogene Zyste. Sie ist im Oberkiefer etwa doppelt so häufig vertreten wie im Unterkiefer [Meningaud et al., 2006; Tortorici et al., 2008]. Pathohistologisch ist ein dreischichtiger Wandaufbau charakteristisch. Die innere epitheliale Schicht besteht aus einem mehrschichtigen Plattenepithel, daran angrenzend findet sich oftmals eine Zone entzündlichen Infiltrats und abschließend kollagenfaserreiches, zellarmes Bindegewebe.

Zur Differentialdiagnose der Wangenschwellung müssen Ursachen entzündlicher, zystischer und neoplastischer Genese berücksichtigt werden. Akute entzündliche Prozesse wie Abszesse weisen in der Regel die klassischen Entzündungszeichen sowie erhöhte laborchemische Entzündungsparameter auf, worauf im hier vorliegenden Fall nichts hindeutete. Des Weiteren sind odontogene und nicht odontogene Tumoren sowie benigne und maligne Neoplasien abzugrenzen. Zu den häufigsten Neubildungen epithelial-odontogenen Ursprungs zählen der keratozystisch odontogene Tumor (KZOT) und das Ameloblastom [Blanas et al., 2000; Neville et al., 2002; Reichart und Jundt, 2008]. Bei den benignen Neubildungen kommen insbesondere monomorphe und pleomorphe Speicheldrüsenadenome in Frage. Den häufigsten malignen Tumor der Nasennebenhöhlen stellt das Plattenepithelkarzinom dar, gefolgt von den malignen Speicheldrüsentumoren, wie dem adenoidzystischen Karzinom, dem Mukoepidermoidkarzinom und den Adenokarzinomen.

Des Weiteren können verschiedene benigne und maligne Knochentumoren odontogener oder nicht odontogener Abstammung sowie tumorähnliche Entitäten im Kieferbereich zu Wangenschwellungen führen [McIntosh et al., 2008; Jundt und Reichart, 2008]. Aufgrund der relativ eindeutigen Beziehung zu den kariös zerstörten Zähnen, der wegweisenden klinischen Untersuchung mit negativem Kälteprovokationstest der Zähne und des nicht destruierenden zystischen Wachstums der Raumforderung erscheint im vorliegenden Fall die Diagnose einer radikulären Zyste nahe zu liegen. Eine follikuläre Zyste als zweithäufigster Zystentyp ließe radiologisch eine perikoronare Aufhellung um einen retinierten Zahn oder Zahnkeim erwarten und ist häufiger im Unterkiefer als im Oberkiefer lokalisiert.

Da der klinische und radiologische Befund aber keineswegs beweisend ist, sollte nach einer erfolgten dreidimensionalen Größenbestimmung mittels Computertomographie die pathohistologische Begutachtung des entfernten Gewebes erfolgen.

Therapeutisch ist bei radikulären Zysten bis zu einem Durchmesser von 10 mm und Erhaltungswürdigkeit des schuldigen Zahnes ein endodontischer Behandlungsversuch möglich. Bei ausbleibendem Behandlungserfolg und größeren radikulären Zysten ist eine Operation, die im wesentlichen auf die von Partsch beschriebenen Verfahren der Zystostomie (Partsch I) und Zystektomie (Partsch II) zurückgeht, die Therapie der Wahl [Partsch, 1892, Partsch, 1910]. Letzterer ist in der Regel der Vorzug zu geben, insbesondere bei allseitig knöchern begrenzten Zysten und wenn das Risiko der Schädigung von Nachbarstrukturen gering ist. Der Zystektomie liegt das Prinzip der vollständigen Entfernung des Zystenbalgs mit dichtem Verschluss der Wunde zugrunde. Die entstehende geschlossene Knochenhöhle kann durch Eigenblut, Kollagen, allogene oder xenogene Knochenersatzmaterialien oder bei ausgedehnten Zysten mit autologem Knochen gefüllt werden. Eine Zystostomie dagegen basiert auf einer offenen Behandlung der Zyste mit lediglich partieller Entfernung des Zystenbalgs, die dadurch zu einer Nebenbucht der Mundhöhle wird. Sie ist indiziert, wenn eine vollständige Entfernung nicht möglich oder das Risiko der Verletzung von Nachbarstrukturen gegeben ist, geht jedoch mit einer langen Nachbehandlungsdauer und dem Risiko, Anteile eines KZOT, Ameloblastoms oder Karzinoms auf dem Boden einer odontogenen Zyste zu übersehen, einher. Die Nachbehandlung erfolgt durch ein ausreichend langes Offenhalten der Knochenhöhle mit Hilfe von Tamponaden oder eines Obturators, bis durch knöcherne Regeneration eine muldenförmige Abflachung erreicht ist. Bei Zysten des Oberkiefers entsprechender Ausdehnung und Lokalisation empfiehlt sich eine Zystantrostomie, Antrozystektomie oder Rhinozystostomie, das heißt die Vereinigung des Zystenlumens mit der Kieferhöhle oder der Nasenhaupthöhle, wenn keine Zystektomie erfolgen kann [Waßmund, 1927, Lindorf, 1974; Loebell, 1948].

Unabhängig von der Wahl des Operationsverfahrens sollte der Patient in Abhängigkeit des pathologisch-anatomischen Gutachtens wegen des Risikos der Rezidivierung und malignen Transformation in regelmäßigen Abständen klinisch und radiologisch nachuntersucht werden.

Tobias VollkommerDr. Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburgmartin.gosau@klinik.uni-regensburg.de

Dr. Corinna Lang-SchwarzInstitut für PathologieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburg

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