Jenseits der Sprache
Angesprochen auf die wichtigsten Voraussetzungen für einen optimalen Behandlungserfolg, heben die meisten Mediziner die große Bedeutung einer vertrauensvollen und ungestörten Arzt-Patienten-Beziehung hervor. Der wachsende Termindruck im Praxisalltag steht diesem Anspruch jedoch häufig entgegen. So haben Untersuchungen über das Kommunikationsverhalten von Allgemeinmedizinern in Deutschland und Österreich ergeben, dass der einleitende Bericht des Patienten bereits nach durchschnittlich 15 Sekunden durch Fragen des Arztes unterbrochen wird. Bewusst oder unbewusst erhält der Patient so das Gefühl, dass der Arzt nur wenig Zeit für ihn hat.
In der Hälfte aller untersuchten Fälle wurde das Gespräch zwischen Arzt und Patient zusätzlich durch kleine „Nebentätigkeiten“ des Arztes begleitet. Typisch ist etwa, dass der Arzt gleichzeitig Karteikarten schreibt oder Daten in den Computer eingibt. Auch wenn der Arzt dennoch aufmerksam zuhört, wird der Patient mit großer Wahrscheinlichkeit den Eindruck haben, der Arzt sei nicht richtig bei der Sache und stattdessen mit anderen Dingen beschäftigt. Und das, obwohl sich der Arzt wahrscheinlich gar keiner Schuld bewusst ist, da er seine Nebentätigkeiten nicht weiter hinterfragt oder sie fachlich-methodisch als begründet einstuft.
Bei Zahnärzten stellt sich das Problem insofern etwas anders dar als bei Allgemeinmedizinern, als dass die Anamnese hier zumeist auf der Behandlungsliege erfolgt und der Computer damit in aller Regel außer Reichweite steht. Stattdessen geschieht es hier leicht, dass sich der Zahnarzt bereits während des einleitenden Gesprächs der Untersuchung der Zähne zuwendet und den Patienten auf diese Weise faktisch unterbricht. Dabei ist es auch für den Zahnarzt wichtig, dem Patienten vor Beginn der Behandlung zunächst zuzuhören. Nicht nur, um ihm die Möglichkeit zur Beschreibung seiner Beschwerden zu geben, sondern auch, um ihm zu vermitteln, dass er sich in der Praxis in guten Händen fühlen kann.
Der erste Eindruck entscheidet
Der Grundstein für eine vertrauensvolle und stabile Arzt-Patienten-Beziehung wird in der Regel schon bei der Begrüßung gelegt. Denn glaubt man der Wissenschaft, dann zählt bei der Einschätzung von anderen Menschen insbesondere der erste Eindruck. Und der wird – anders als gemeinhin vermutet – zu über 90 Prozent durch nonverbale Faktoren wie Aussehen, Kleidung, Haltung, Gestik, Mimik, Stimmlage oder Sprechgeschwindigkeit bestimmt. Und selbst wenn die Person besser bekannt ist, bestimmen die nonverbalen Signale noch 60 Prozent des Eindrucks, den wir von einer anderen Person haben. Der Befund lässt sich nahtlos auch auf die Arzt-Patienten-Kommunikation übertragen. Es zählt also nicht nur, WAS der Zahnarzt seinem Patienten sagt, sondern insbesondere, WIE er es sagt. Daraus folgt natürlich nicht, dass es egal ist, was der Zahnarzt seinen Patienten mitteilt. Doch sollte er sich grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass beim Gespräch mit ihm immer auch der Ton die Musik macht.
Wie stark unsere Wahrnehmung durch solche nonverbalen Äußerungen bestimmt wird, wird leicht deutlich, wenn man sich unterschiedliche Reaktionsmuster und -möglichkeiten des Arztes vor Augen hält: Denn wer sein Gegenüber etwa mit ruhigem Blick ansieht und gleichzeitig eine entspannte Haltung von Armen, Beinen und Händen einnimmt, dem wird zum Beispiel ganz unwillkürlich deutlich mehr Vertrauen entgegengebracht als jemandem, der seinen Kopf tief gesenkt hält und gleichzeitig nervös auf seinen Fingernägeln herumkaut. Und ebenso signalisiert eine feste, tiefe Stimme des Gegenübers deutlich mehr Kompetenz und Erfahrung als eine hohe und zittrige Stimme.
Umsetzung in der Praxis
Ideal für einen positiven ersten Eindruck ist, wenn die Patienten beim Betreten der Praxis freundlich durch die Zahnarzthelferin begrüßt und dann ins Wartezimmer gewiesen werden. Einen noch direkteren Kontakt ermöglicht ein frei stehender Empfangs-Counter, an dem sich Patient und Zahnarzthelferin auf Augenhöhe und ohne trennende Zwischenwand begegnen.
Ist der Patient dann nach möglichst kurzer Wartezeit an der Reihe, dann sollte der Zahnarzt ihn möglichst bereits im Wartezimmer abholen, ihn dort freundlich mit einem Handschlag begrüßen und ihn dann mit der offenen Hand in den Behandlungsraum weisen. Noch besser ist es natürlich, wenn in der Praxis ein eigener Besprechungsraum mit angenehmen Sesseln und ohne zahnmedizinische Geräte zur Verfügung steht. So kann der Patient in entspannter Atmosphäre und vor allem auf Augenhöhe mit dem Zahnarzt sprechen. Denn insbesondere ängstliche Patienten erleben die liegende Haltung im Behandlungsstuhl während des Gesprächs als äußerst unangenehm. Darüber hinaus wird sich der Zahnarzt in einem eigenen Besprechungsraum in der Regel deutlich mehr Zeit für das Eingangsgespräch nehmen. Und das trägt in vielen Fällen dazu bei, dass der Patient der bevorstehenden Behandlung deutlich gelassener entgegenblicken kann.
Richtig zuhören
Während des Gesprächs zählen neben dem Faktor Zeit und den fachlichen Äußerungen des Zahnarztes vor allem seine Gestik und Mimik. Hilfreiche Tipps bietet hier der Wiener Professor Samy Molcho, der früher als berühmter Pantomime auf der Bühne stand. In seinem Buch „Alles über Körpersprache“ sowie in Seminaren und Vorträgen gibt Molcho zahlreiche wertvolle Hinweise, worauf Ärzte im Umgang mit Patienten achten sollten. Anteilnahme und Interesse signalisiert der Zahnarzt danach am besten, wenn er beim Zuhören den Kopf leicht zur Seite neigt, die Augen weit öffnet und die Augenbrauen etwas hochzieht. Als großen Kommunikationskiller schätzt Molcho dagegen die Lesebrille ein: „Wer über die Gläser hinweg sein Gegenüber anschaut, hält den Kopf automatisch gesenkt“, so Molcho – „er bietet dem Patienten sozusagen die Stirn und geht scheinbar auf Konfrontationskurs. Außerdem vermittelt er damit, dass das, was in der Karteikarte steht, viel wichtiger ist als der Patient, der gegenüber sitzt“. Molcho rät daher, die Lesebrille beim Gespräch abzunehmen.
Um glaubwürdig zu sein, ist es nach Molcho außerdem wichtig, dass die Körpersprache des Arztes zum Inhalt seiner Aussage passt. Wenn der Zahnarzt aber zum Beispiel beim Durchsehen und Besprechen von Röntgenbildern den Kopf schüttele, weil er die Schrift der Laborantin nur schlecht lesen kann, dem Patienten aber gleichzeitig mitteilt, es sei alles in Ordnung, dann sorge dies für totale Irritation beim Gegenüber. Negativ interpretiert werden auch herabgezogene Mundwinkel oder das Zusammenpressen von Mund und Lippen. Denn damit drücke der Zahnarzt Ablehnung oder Ungeduld aus und signalisiere, dass er eigentlich gar nicht sprechen wolle. Grundsätzlich positiv sei es stattdessen, wenn der Zahnarzt seine Patienten zur Begrüßung anlächelt. Dabei gilt aber, dass das Lächeln echt sein muss. Ansonsten wird es vom Patienten als Geste der Verlegenheit gedeutet und löst dementsprechend eher Irritation und Verunsicherung aus.
Die Stirn runzeln und die Augen verdrehen
Auch der Zahnarzt Gerd Quaty, der sich in seiner Praxis in Östringen bei Karlsruhe auf die Behandlung von Angstpatienten spezialisiert hat, misst dem Gesichtsausdruck des Arztes eine entscheidende Bedeutung für die Arzt-Patienten-Kommunikation zu: „Die Mimik ist entwicklungsgeschichtlich die erste Mitteilungsform zwischen dem Kind und seinen Eltern“, so Quaty. „Sie gibt uns daher unmittelbar Aufschluss über die individuellen Eigenheiten eines Menschen. In Angstmomenten wie beim Zahnarzt kann dieses Kommunikationsmittel zusätzlich an Bedeutung gewinnen.“
Als eindeutig negativ besetzt beschreibt der Zahnarzt dabei zum Beispiel das Runzeln der Stirn: „Denn das bedeutet eindeutig Tadel und führt daher zu negativen Emotionen des Patienten.“ Ähnlich negativ bewertet werde, wenn das Gegenüber seine Unterlippe vorschiebt und womöglich noch die Augen verdreht, denn damit signalisiere es Ungläubigkeit beziehungs weise Skepsis. „Wer andererseits die Nase rümpft und die Nasenlöcher weitet, der zeigt damit Abscheu oder Ekel.“ Und wer seinen Gesprächspartner angähnt, der werte dessen Persönlichkeit ab und erkläre ihn beleidigend zum Langweiler.
Weitere negative Signale des Zahnarztes können das Verschränken der Arme vor der Brust (Distanz), eine reduzierte gestische Aktivität (Müdigkeit) oder zu wenig Blickkontakt (Desinteresse) sein. Andersherum kann es aber auch als bedrohlich erlebt werden, wenn der Zahnarzt seinen Patienten zu intensiv anblickt. Als positiv wird hingegen bewertet, wenn er durch häufiges Kopfnicken seine Zustimmung zu den verbalen Äußerungen des Patienten betont und eine „offene“ Körperposition einnimmt, bei der er seine Hände in einer offenen Haltung symmetrisch auf dem Tisch, auf den Armlehnen oder im Schoß platziert. „Denn das signalisiere auf den ersten Blick, dass sich der Zahnarzt Zeit für den Patienten nimmt und ihm freundlich und aufgeschlossen gegenübersteht“, so Quaty.
Körperliche Zeichen der Angst
Auf der anderen Seite kann der Zahnarzt anhand von Mimik und Gestik des Patienten natürlich auch viel über dessen aktuellen Gemütszustand erfahren. „Denn gerade bei männlichen Patienten entsprechen die Schilderungen des eigenen Gemütszustands oftmals nicht der tatsächlich erlebten Angst“, schildert Gerd Quaty. „Ganz typische Anzeichen und Muster für Angst sind zum Beispiel das Verdecken des Gesichtsfelds mit der Hand, ein Versinken des Kopfes in der Hand, Fingersaugen oder -knabbern oder ein Verkrampfen der Hände. Andere Patienten reagieren dagegen mit fahrigen Bewegungen der Hände, mit Zittern, mit Unterwürfigkeit, mit Schweißausbrüchen, mit Herzklopfen, mit Fluchtdrang oder mit hektischen Bewegungen.“ Nimmt der Zahnarzt solche Anzeichen wahr, dann sollte er ganz bewusst eine freundliche, annehmende und beruhigende Gestik und Mimik wählen, um positiv auf den Patienten einzuwirken. Denn so erreicht er sein Gegenüber meist deutlich besser als allein mit beruhigenden Worten. Und das ist dann eine optimale Basis für die bevorstehende Behandlung.
Robert UhdeGrenadierweg 3926129 Oldenburg