Neue Gestaltungsstrategien gefragt
Was vorher sinnvoll war, stellt sich heute unter Umständen in einem völlig neuen Licht dar. Steuerliche Aspekte müssen neu bewertet werden, zudem ergeben sich vor allem im Pflichtteilsrecht neue Möglichkeiten.
1. Pflichtteilsentziehung – ein Kunststück
Die Pflichtteilsentziehung ist leichter und schwieriger zugleich geworden. Leichter, weil sich das Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten nicht wie bisher nur gegen den Verstorbenen, seinen Ehepartner oder seine Abkömmlinge gerichtet haben muss, sondern jetzt kann Benachteiligter auch eine dem Erblasser ähnlich nahestehende Person sein, also zum Beispiel ein Lebensgefährte. Schwieriger deshalb, weil der Entziehungsgrund des ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels weggefallen ist. Der an dessen Stelle eingeführte Entziehungsgrund bildet vor allem mit Blick auf die Rechtsprechung eine hohe Hürde: Der Pflichtteilsberechtigte muss wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden sein.
Daher sollte der gesetzliche Entziehungskatalog sorgfältig geprüft, der Entziehungsgrund im Testament so deutlich wie möglich beschrieben werden. Nach der Errichtung des Testaments dem Pflichtteilsberechtigten nicht verzeihen, jedenfalls dann nicht, wenn die Entziehung wirksam bleiben soll!
2. Pflichtteilsabschmelzung – ein attraktives Modell
Ein Thema von hoher praktischer Bedeutung, eine Ersatzstrategie, wenn Pflichtteilsentziehung nicht möglich ist. Bisheriges Recht: Hatte der Verstorbene innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod an irgendjemanden nennenswerte Geschenke gemacht, wurde zur Berechnung von Pflichtteilsansprüchen so getan, als ob sich diese Gegenstände oder Geldbeträge doch noch voll im Vermögen des Verstorbenen befänden. Der mit der Schenkung häufig verbundene Wunsch nach Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen schlug daher fehl. Waren allerdings zehn Jahre erreicht, fiel der Wert der Geschenke von einem zum anderen Tag aus der Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil heraus. „Fallbeilregelung“ nannte man dies. Anders seit der Reform: Liegt zwischen Schenkung und Tod mehr als ein Jahr, wird das Geschenk nur noch mit 90 Prozent seines Wertes angesetzt, bei mehr als zwei Jahren sind es nur noch 80 Prozent, jedes Jahr zehn Prozent weniger.
3. Stundung des Pflichtteilsanspruchs – nahezu unbekannt
Der Erbe muss den Pflichtteil, der immer ein Geldanspruch ist, zahlen. Dadurch kann er in Not geraten, denn sehr oft fehlen die flüssigen Mittel für die Erfüllung dieses Anspruchs. Beispiele: Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Unternehmen oder einem Einfamilienhaus. Entspannung schafft hier eine Stundung, das heißt: Verschiebung des Fälligkeitstermins. Bisher konnte Stundung nur ein Erbe erreichen, der selbst zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählte. Durch die Reform kann dies nun jeder Erbe, wer auch immer er sei.
Dennoch ist kaum zu glauben, wie selten von diesem Mittel in der Praxis Gebrauch gemacht wird. Die Entscheidung hierüber trifft das Nachlassgericht, auch über die Dauer der Stundung. Antragsberechtigt ist der Erbe.
4. Keine nachträgliche Pflichtteilsanrechnung – eine Überraschung
Lange Zeit hatte der Gesetzgeber geplant, dass man in seinem Testament verfügen kann, eine bestimmte Person, etwa die Tochter, müsse sich eine lebzeitige Schenkung (zum Beispiel 20 000 Euro vor fünf Jahren) auf ihre Pflichtteilsansprüche anrechnen lassen. In der Erwartung, dass dieses Gesetz kommen würde, haben viele dergleichen in ihrem Testament bereits bestimmt. Aber es wurde – ganz überraschend – nichts aus dem Gesetz. Es blieb also bei der bisherigen Rechtslage: Wer eine Schenkung auf Pflichtteilsansprüche anrechnen möchte, muss dies mit dem Beschenkten spätestens bei der Schenkung vereinbaren. Eine entsprechende nachträgliche einseitige Verfügung im Testament ist unwirksam.
Wer also will, dass sein Geschenk dem Beschenkten auf dessen Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist, sollte dies bei der Schenkung (oder vorher) schriftlich vereinbaren.
5. Pflegevergütung – eine Zugabe zum Erbe
Bei der Verteilung des Nachlasses kann man vorab eine Art Sondervergütung verlangen, wenn man den Verstorbenen nachhaltig gepflegt hat. Allerdings musste man dadurch bisher Einkommenseinbußen erlitten haben. Diese Voraussetzung hat der Gesetzgeber mit der Reform gestrichen. Jedoch: Die Sondervergütung erhalten nur Abkömmlinge des betreuten Erblassers. Außerdem: Hat dieser eine letztwillige Verfügung getroffen, entfällt der Anspruch ebenfalls. Da die Miterben den Umfang der Betreuungsleistungen im Erbfall nicht selten bestreiten werden, empfiehlt es sich, rechtzeitig Nachweise zu sammeln, gegebenenfalls auch in Form von Bestätigungen seitens der betreuten Person, soweit diese dazu in der Lage ist.
6. Erbausschlagung zwecks Pflichtteilserlangung – leichter gemacht
Häufig ist ein Erbe belastet, zum Beispiel mit einer Testamentsvollstreckung oder der Pflicht, Vermächtnisse zu erfüllen. Wenn dies lästig ist, ist daran zu denken, das Erbe auszuschlagen, um sich den Pflichtteil zu holen. Eine gute Idee. Jedoch war dies bisher nur möglich, wenn der Erbteil des Erben größer war als die gesetzliche Pflichtteilsquote dieses Erben. Das ist nach neuem Recht nicht mehr nötig. Das Erbe kann zwecks Erlangung eines Pflichtteilsanspruchs auch dann ausgeschlagen werden, wenn es die Pflichtteilsquote nicht übersteigt.
Der dargestellte Weg führt allerdings nur dann zum Ziel, wenn das Erbe auch wirklich belastet ist. Welche Belastungen das sein können, steht im Gesetz. Beratung ist unerläßlich. Wer sein Erbe ausschlägt, ohne dass es sich um eine der gesetzlich geforderten Belastungen handelt, verliert das Erbe – und den Pflichtteil.
7. Steuerfreie Vererbung auch größerer Unternehmen
Mit der Reform ist es möglich, gewerbliches, freiberufliches, land- und forstwirtschaftliches Betriebsvermögen, Mitunternehmeranteile sowie Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (von regelmäßig mehr als 25 Prozent) vollkommen steuerfrei auf einen oder mehrere Nachfolger schenkungsweise zu übertragen oder von Todes wegen zu vererben. Immer noch geistert in vielen Köpfen die Vorstellung, eine Betriebsnachfolge vor allem größerer Unternehmen löse unweigerlich enorme Erbschaftsteuern aus. Führt der Nachfolger den Betrieb sieben Jahre fort, dann ist vollkommene Schenkung- oder Erbschaftsteuerfreiheit möglich.
Wichtig: Man sollte sich unbedingt darüber beraten lassen, welche Bedingungen neben der siebenjährigen Betriebsfortführung erfüllt werden müssen, um die Steuerfreiheit für den Unternehmensnachfolger zu erlangen. Um drei Stichwörter geht es dabei primär: Einhaltung einer Mindestlohnsumme, Vermeidung von Überentnahmen, Begrenzung des Verwaltungsvermögens.
8. Berliner Testament – Steuergefahr gesunken
Das weitverbreitete Berliner Testament ist ein Gemeinschaftliches Ehegattentestament, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben einsetzen und zugleich bestimmen, wer Erbe des Letztversterbenden wird. Zu Recht wurde oft vor den Erbschaftsteuergefahren gewarnt, denn ein- und dasselbe Vermögen wurde in vielen Fällen doppelt besteuert, nämlich im ersten und dann noch einmal im zweiten Erbfall. Hinzu kommt für den Überlebenden das Problem der Pflichtteilsansprüche der Kinder. Steuerlich lieferte die Reform jetzt eine spürbare Entschärfung, denn bleibt der überlebende Ehepartner als Erbe in dem selbst genutzten Familienheim zehn Jahre wohnen, muss für diese Immobilie, die häufig den Hauptwert des Nachlasses ausmacht, überhaupt keine Erbschaftsteuer gezahlt werden. Der Erbschaftsteuerfreibetrag bleibt gänzlich unberührt. Die gleiche Privilegierung erfahren Kinder, allerdings mit einer Begrenzung auf eine Wohnfläche von 200 qm. Was darüber liegt, ist anteilig zu versteuern.
Viele Eltern wünschen primär eine wechselseitige Absicherung und errichten daher ein Berliner Testament. In der Vergangenheit haben aber nicht wenige wegen der genannten steuerlichen Nachteile davor zurückgescheut. Diese Bedenken sind nun vielfach nicht mehr begründet. Das Berliner Testament ist für viele wieder eine attraktive Lösung geworden.
9. Vorweggenommene Erbfolge – oft nicht mehr nötig
Nicht selten haben Eltern ihren Kindern oder Enkeln lebzeitig Vermögen übertragen, damit später einmal Erbschaftsteuer gespart wird. Hintergrund: Alle zehn Jahre kann der Empfänger seine Schenkung- oder seinen Erbschaftsteuerfreibetrag wieder voll in Anspruch nehmen. Es gilt also die Regel: Je früher die Eltern mit der Übertragung von Vermögen auf die Nachkommen beginnen, desto größer die Chance der Steuerersparnis. Aber das ist jetzt oft nicht mehr nötig. Grund: Sowohl für Kinder als auch für Enkel wurden die Freibeträge deutlich angehoben: für Kinder von 205 000 Euro auf 400 000 Euro, für Enkel von 51 200 Euro auf 200 000 Euro.
Der steuerlich motivierten, oft auch schmerzlich empfundenen lebzeitigen Trennung der Eltern von Vermögen bedarf es oft nicht mehr, zumal das Familienwohnheim auch den Kindern in der Regel steuerfrei vererbt werden kann. Man muss aber im Einzelfall prüfen: In nicht wenigen Fällen nützt die Anhebung der Freibeträge nichts, weil beim Immobilienerwerb durch Schenkung oder von Todes wegen nun immer der volle Verkehrswert der Immobilie zugrunde zu legen ist. Im Einzelfall kann daher eine vorweggenommene Erbfolge steuerlich nach wie vor sinnvoll sein.
10. Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt – ein verbessertes Steuersparmodell
Um der nächsten Generation Steuern zu ersparen, ist es geradezu Mode geworden, schenkungsweise Vermögen zu übertragen, jedoch unter Nießbrauchsvorbehalt. Das bedeutet, der Schenker behält sich (in der Regel bis zu seinem Tod) die Nutzungen vor, kann also zum Beispiel in der übertragenen Immobilie wohnen bleiben oder sie vermieten, oder er überträgt sein Unternehmen, das Gewinnbezugsrecht steht aber weiterhin ihm zu. Nach der Erbschaftsteuerreform kann der Wert des Nießbrauchs voll vom Wert des geschenkten Gegenstands abgezogen werden, bei Beendigung des Nießbrauchs findet keine Nachbesteuerung mehr statt.
Um den Schenkungssteuerfreibetrag mehrfach zu ermöglichen, kann der Schenker lebzeitig Vermögen auf die nächste Generation übertragen und dennoch, auch wenn er das Eigentum verliert, weiterhin Nutznießer des geschenkten Gegenstands bleiben. Hier hilft das beschriebene Modell der Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt oder zum Beispiel auch bloß unter Wohnrechtsvorbehalt. Im Schenkungsvertrag sollte aber unbedingt geregelt werden, wer nach Übertragung die Kosten (etwa eines Hauses) zu tragen hat. Zugleich empfehlen sich Veräußerungs- und Belastungsverbotsklauseln, ja auch Rückfallklauseln für den Fall, dass der Beschenkte vor dem Schenker stirbt oder in Insolvenz fällt.
Dietmar KernWirtschaftsjournalistGebhard-Müller-Allee 571638 Ludwigsburg