zm-100 JAHRE

Zahnarzt-Infoservice in 2050

100 Jahre zm sind Anlass für Resümees – aber auch für einen ordentlichen Ausblick. Doch bei aller Prognostik: Weitere100 Jahre voraus sind vielleicht zu viel der Spekulation. Die Redaktion hat sich – trotz Fiktion und natürlich ohne Gewähr – einen Blick auf die fachjournalistische Arbeit im Jahr 2050 erlaubt. Hier die Auszüge aus dem Blogbuch des zm-Chefs vom Dienst in vierzig Jahren.

Brüssel, Freitag, 1. Juli 2050

Der morgige Tag wird denkwürdig: Die zm werden 140 Jahre alt. Habe in der Archiv-Datenbank die Jubiläumsausgabe aus dem Jahr 2010 ausgegraben. Zumindest in einer Hinsicht waren die damaligen Kollegen zu beneiden: Ihre Werkzeuge waren in der Regel zwar nur Schrift und zweidimensionales statisches Bild. Und von unserer Welt der Crossmedia-Nutzung zwischen EDV-Info-Taschenfolie bis zur interaktiven 3-D-Liveschaltung war man schon gedanklich noch weit entfernt. Dafür waren die Kollegen weit mehr als heute Herren des eigenen Timings. Ihnen blieb noch etwas mehr Raum für journalistische Qualität. Von dem, was elektronisch möglich wurde, hatten sie wenig Kenntnis – auch wenn ich den Kollegen eine Ahnung von dem, was damals auf unseren Berufsstand zukam, nicht absprechen will. Die Technik hat eben doch vieles gewandelt, auch den Ablauf unserer Arbeit. Aus dem schreibenden Journalisten von damals ist inzwischen der multifunktionale Infoservice-Entertainer geworden: Der Fachmann, der jederzeit und von überall her quasi in Echtzeit erzählen und zeigen kann, was für die Zahnarztpraxis wichtig ist.

2010 war das zm-Infoservice-Center, man nannte es damals Redaktion, gerade mal ein Jahr in Berlin. Und es war noch so gut wie keine Rede davon, dass alle gesund heitspolitisch-fachmediale Musik eines Tages in Brüssel komponiert würde. Die Höhen und Tiefen, die die Angleichungsmechanismen der Nationen schafften, waren ja auch nicht von Pappe. Es braucht eben seine Zeit, bis Einsicht in den letzten Ecken der politischen Entscheidungsgremien ankommt.

Heute können wir von Glück sagen, dass Europa global immer noch eine respektable Größe darstellt. Trotz verschiedener Kulturen, Sprachen und nationaler Eigenheiten, trotz der Pleiten und Pannen, die in den historischen Lehrmedien mit dem Stichwort „Bankrott in Griechenland“ starten, haben die gelben Sterne auf blauem Grund sich halten können.

Inzwischen haben wir wieder ein gesundes Selbstbewusstsein, das wir den heutigen Machtzentren Ost- und Südasiens wie auch dem damals noch ölgetränkten, heute in Forschung und Lehre arrivierten arabischen Raum entgegensetzen können. Selbst wenn dieser Weg zwischenzeitlich entbehrungsreich und bitter war: Es ist beruhigend, in einer Welt von kräftebalancierter Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Weltregionen leben zu können.

Aachen, Samstag, 2. Juli 2050

Zahnschmerzen? Man sollte nicht glauben, dass Menschen so etwas heute noch ohne Vorwarnung hinkriegen können. Aber mein 87-jähriger Vater kann! Dabei ist es schon ein Kunststück, sich am gesamten Netz umfassender Prophylaxemaßnahmen und der täglichen, per Datenfernübertragung erfolgenden biosensorischen Prüfung, die alle gesundheitlich relevanten Werte abfragt, erfolgreich vorbeizumogeln.

Leider gehört Vater noch nicht zu der Generation, die ihr genetisches Material für Stammzell- oder Zahnkeimtechnologien in entsprechenden Gen-Banken hinterlegt hat. So ein Schlamassel. Also mussten wir zum zahnärztlichen Notdienst.

Meine Befürchtung, der Zahnarzt könne ob dieser fortgeschrittenen Karies am linken oberen Fünfer ungehalten reagieren, waren allerdings grundfalsch. So etwas habe sie schon länger nicht mehr gesehen, freute sich die vorrangig nur noch nach unfallbedingten Oralverletzungen geforderte Ärztin nach Sichtung der Dinge.

Gezogen wurde nicht, aber schon parallel zu Diagnose und Therapieschluss hatten das technische „Team“ aus Diagnose-Kamera, CAD/CAM und Co. parallel für die Fertigung der prothetischen Arbeit auf biokompatibler Basis vorgesorgt, materiell automatisch abgestimmt auf die individuellen Bio-Parameter meines Vaters. Gleichzeitig nutzte man die Zeit für eine orale Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung systemischer Erkrankungen.

Dass mein Vater genau das vernachlässigt hatte, war der eigentliche Grund, warum alle Beteiligten – außer natürlich Vater – so ungehalten waren. Ihm hätte wegen der ausgesparten Regelvorsorge wer weiß was passieren können. Trotzdem ging der nachlässige Mann mit einem exzellent gearbeiteten neuen Fünfer nach Hause, musste sich dafür aber einiges anhören, was die Folgen seiner oralen Schludrigkeit anging.

Abgesehen von den schwerwiegenden Gefahren kommt hinzu, dass ihm der natürliche Ersatz durch Züchtung passenden „Nachwuchses“ im Biodent-Inkubator, wie er heute üblich ist, verbaut war. Hier trifft wohl das Gegenteil von dem zu, was ein ehemals berühmter Russe – wie hieß er doch gleich – zum Ausgang des letzten Jahrhunderts zum Ende des sogenannten Kalten Krieges gesagt haben soll: Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben.

Aachen, Sonntag, 3. Juli 2050

Ein weiterer Tag vom Wochenende bei meinem Vater. Habe ihn schon wieder ohne die Biosensoren erwischt. „Ich lassen mich nicht fernüberwachen“, beschwert er sich und redet von Datenschutz und gläsernen Patienten. Was er damit wohl meint?

Habe aber nicht weiter darüber gegrübelt, sondern bin lieber auf der Multimedia-Liege im Garten wieder zurück nach 2010 gerutscht. Jetzt hat es mir die Arbeit der damaligen Kollegen doch angetan: Sie monieren, dass auch 100 Jahren nach Gründung der zm in 1910 viele berufspolitischen Probleme nach wie vor dieselben und noch dazu ungelöst waren. Die Dinge hatten zwar andere Namen, aber ob Preugo, GOZ/Bema oder – wie heute – EUGO: Diese politischen Auseinandersetzungen kamen immer wieder hoch. Ein wichtiger Grund für eine funktionierende und politisch gesunde Selbstverwaltung des zahnärztlichen Berufsstandes. Immer geht es um das Pro und Contra zur Finanzierung medizinischen Fortschritts. Und der lässt sich nicht aufhalten, damit auch nicht die Kosten. Und die Kollegen von damals lagen nicht falsch, wenn sie von einem Krankenversicherungsbeitrag zwischen 25 und 50 Prozent des Lohns sprachen. Heute sind es 30 Prozent aller Einkünfte, allerdings aus dem bekannten Finanzierungs- und Versicherungsmix, der schon damals in einigen europäischen Nachbarländern trainiert wurde. Der Durchbruch gelang in den frühen 30er-Jahren, als endlich erkannt wurde, dass die medizinische Versorgung der vielen Alten von den wenigen Jungen nicht mehr bezahlt werden konnte. Mit der Europa-Akte zur systemischen Trennung von medizinischer Versorgung, deren Handlungsrahmen ja von der interdisziplinär besetzten Ethik-Kommission fortlaufend neu bestimmt wird, und der Fianzierung über die EU-Haushaltskommission, die entsprechend der Bedarfe die Gelder aus einem komplexen, damit variablen System aus Steuern, Eigenleistungen, Pauschalen, privaten Zusatzversicherungen und anderem je nach Sachlage komplettiert, gelang der Durchbruch. Logisch, dass das nur dann möglich wird, wenn die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung von extremer Wichtigkeit ist. Mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung war das vor über 150 Jahren zu Zeiten Bismarcks auch nicht anders.

Brüssel, Montag,

4. Juli 2050:

Die je zwei Stunden Fahrt per Bahn nach Berlin und zurück waren – trotz aller Möglichkeiten digitaler Fernkontakte – mal wieder angebracht. Da bin ich doch recht konservativ: Keine 3-D-Verbindung in Echtzeit kann das reale Vier-Augen-Vor-Ort-Gespräch mit dem Korrespondenten ersetzen. Mag sein, dass eines Tages die biodigitale Sensorik so weit ist, dass ich die Reaktionen meines virtuell gespiegelten Gegenübers riechen und fühlen kann. Aber noch immer hat sie die Unmittelbarkeit des wirklichen Gesprächs nicht erreicht. Am Rande: Ich muss übrigens aufpassen, dass ich in meiner Denkweise nicht so sperrig und stur werde wie mein Vater!

Hochinteressant war das Treffen am Nachmittag mit den Wissenschaftlern der Berliner Uniklinik. Zwar sei das Rätsel um die richtig „gesunde“ Zusammensetzung der Bakterienpopulationen im Mundraum immer noch nicht gelöst. Aber man zeigt sich in Berlin zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren der Durchbruch erreicht wird, um beispielsweise durch gezielte Steuerung der einzelnen Stämme die Immunabwehr des Körpers gegen systemische Erkrankungen deutlich verbessern zu können.

Zumindest würde das den ständigen Kampf um die Entwicklung immer wieder neuer resistenzstabiler Antibiotika-Generationen endlich beenden. Dennoch bleibt meine Skepsis gegenüber diesen optimistischen Wissenschaftlern. Immer wieder gab es Meldungen, dass das Rätsel um die richtige Zusammensetzung der Bakterienpopulationen gelöst sei. Meine Einschätzung: Medizinischer Fortschritt wird immer mit der adaptionsfähigen Natur um die Wette laufen.

Brüssel, Dienstag,

5. Juli 2050

Habe wieder mit Erstaunen im Datenarchiv meiner Kollegen aus dem Anfang des Jahrhunderts gewühlt. Glaube, dass ich mir doch Zugang zum EU-Zentralarchiv verschaffen sollte. Wäre doch gut, mal wieder eine auf Papier gedruckte Zeitschrift der zm in den Händen zu halten. Anfang des Jahrhunderts erlebte nicht nur die Weltwirtschaft, auch das Verlagswesen eine seiner größten Krisen. Kein Wunder: Mit unerschütterlichem Glauben hielt man am gedruckten Wort fest. Nur allmählich wich damals die Überzeugung, dass nur von Wert sei, was „schwarz auf weiß“ auf Papier steht, der Gewissheit, das unstrukturierte Internet könne eines Tages die Macht übernehmen. Keiner traute sich, so richtig loszulegen.

Langsam nur fand die einfache Wahrheit in die Hirne der Verlagsköpfe: Die Grundlage für medialen Erfolg ist immer von qualitativ gut recherchierter, von fachlichem Know-how und dem Gespür für gezielt auf den Weg zu bringender Information geprägt. Den Turn von papiergetragener Druckerschwärze zu gut aufgemachten Bits und Bytes behandelten sie als profane Konvertierung. Erst die gezielte Bereitstellung crossmedialer Arbeitsmittel brachte uns alle dann voran. Und die Befürchtung, dass der medial ausgerüstete Otto-Normalbürger den Fachjournalisten arbeitslos machen würde, war eher gedanklicher Kurzschluss als wirklich begründete journalistische Sorge.

Wenn die Kollegen von damals es doch noch hören könnten: Auch heute gilt: Journalisten liefern fachlich fundierte Informationen, sie sind – gerade im Fachpressebereich – die Dienstleister für fast alle Bereiche des informellen Bedarfs. Und wir Info-Dienstleister brauchen wiederum ein organisatorisches Umfeld, das unsere Arbeit in wirtschaftliche Gewinne umsetzt. Schon deshalb, damit wir etwas zu beißen haben. Diesen Gegenwert einzuholen, technisches Equipement vorzuhalten und mit gutem Marketing ein funktionales Umfeld für unsere Arbeit zu schaffen, ist Sache des betrieblichen Umfelds. Aber ohne unser Know-how geht es nicht. Ja, so sieht es nach wie vor aus, liebe Verleger!

Brüssel, Mittwoch,

6. Juli 2050

Die neuen demografischen Prognosen von Eurostat lassen aufatmen. Noch circa zwei Jahrzehnte, und wir werden unsere Altersgesellschaft wieder zur schönen spitzen Tannenbäumchen-Struktur trimmen können: Viele Junge sorgen für eine gemäßigte Menge alter Menschen. Das ist gut so: Meine Enkel werden sich wieder um ihre eigene Altersvorsorge kümmern können.

Kaum vorstellbar, was aus uns geworden wäre, hätten wir vor dreißig Jahren nicht die entsprechenden Schritte eingeleitet. Inzwischen ist das „von-der-Hand-in-den-Mund-Leben“ der Sozialversicherungen ja passé. „Umlageverfahren“ hieß damals das Wort, das den Kollegen um 2010 in der sozialpolitischen Berichterstattung die größten Kopfschmerzen bereitete.

Heute wird akribisch darauf geachtet, dass die Kapitalrücklagen-Statistik stimmt. Keine Rede mehr davon, dass man diejenigen, die nicht das große Geld haben, „schon an ihren Zähnen erkennt“. Trotzdem gibt es immer noch das politische Gezerre um die Leistungsbreite der medizinischen Grundabsicherung. „Kauen können“, systemische Erkrankungen oder craniomandibuläre Dysfunktionen gehören aber wie damals immer noch nicht dazu.

Brüssel, Donnerstag, 7. Juli 2050

Habe heute einen Stapel alter zm aus dem Jahr 2012 als Leihgabe erhalten. Ist schon schön, so altes Papier Blatt für Blatt umzudrehen, total „retro“. Aber warum taten die sich damals so schwer mit der Crossmedia-Schiene? Zugegeben, das war wohl alles noch viel aufwendiger. Die fachspezifische Spracherkennungssoftware steckte noch in den Kinderschuhen. Sie hatten noch keine simultanen Schriftsprachmodulatoren, keine Kopfcams mit automatischem Live-Stream und „Easy-Touch“-Schnitttechnik. Alles, ob Schrift, Bild, Film oder Ton, war noch weitestgehend technische „Handarbeit“. Da musste vieles zwangsläufig noch langfristiger geplant werden, war zeitlich behäbiger. Jetzt haben wir mit unserem weitmaschigen Korrespondentennetz in Europas Großstädten und unserer 30-köpfigen Zentral redaktion in Brüssel genügend Fachleute, die in Europa präsent sind, aber dafür vom Buchstaben bis zum Film alles auf Bedarf bieten. Es ist ein ganz anderes Arbeiten. Keine Rede mehr von Papier, abgesehen vielleicht von der Mitnahme-Zeitung auf der „Infolie“, die jederzeit Daten für die „Zeitung“ Marke Eigenbau abrufbar zusammenstellt.

Heute bleibt jedenfalls nicht mehr viel Raum zum Planen zwischen den obligatorisch dreistündlich angesetzten Infotreffen der Nachrichtenressorts am virtuellen Desk, das wichtigste davon abends um 19:00 Uhr MEZ. Vorhin gingen drei der Monitore online, auf jedem ein Kollege mit aktuellen Ergebnissen: vom Symposium der Europäischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Athen, vom nationalen EU-Gesundheitsministertreffen in Berlin und vom Treff der oralgenetischen Gesellschaft in Helsinki. Wie immer musste alles schnell gehen: Ein erster prüfender Blick auf die Simultanmitschnitte der Kurzreporte, direkt danach die gemeinsame kurze Absprache über die Inhalte der anschließend aufzusprechenden Infos, die die Spracherkennung auf die Tickerleiste für den unteren Rand des Berichts umsetzt.

Es lief alles wie geschmiert, mit üblichem Know-how wurde die Entscheidung getroffen, welche wissenschaftlichen Referate per Einblendung als Download-Zusatzservice angeboten werden. Dann folgte die Instruktion für die Multimedia-Redakteure für den Schnitt und die inhaltliche Aufbereitung der Ticker-Taskleiste. Also den Kollegen vor Ort ein kurzer Gruß mit Erfolgswünschen für die abendlichen Gespräche mit den noch vor Ort zum gesellschaftlichen Austausch dagebliebenen Meinungsbildnern. Danach wie immer der Wink zum Service-Roboter mit dem Wunsch nach der letzten Tasse Tee des Arbeitstages. Alles wird gut, selbst die Absprache mit der Chefredakteurin für die Aufgaben vom Freitag reichten gerade mal bis zur Neige der Teetasse.

Hier lag meine Chance: Nach kurzem Blick auf den Newsdesk-Monitor der EU-weiten News-Agencys dann doch noch der rechtzeitige Weg nach Hause, ab in den Garten zum Einloggen für den Cyber-Sport mit den 21 anderen Freunden für das wöchentliche Match der Mixed-Mannschaft aus Zahnärzten und Redakteuren.

Kaum vorstellbar, dass die Menschen sich früher mal real gemeinsam auf einem Platz treffen mussten, um Mannschaftssport zu betreiben. Schon verkehrstechnisch war das absoluter ökologischer Unsinn.

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