Bundeswehreinsatz (ISAF) in Afghanistan
Derzeit sind drei sogenannte Zahnarztgruppen in Afghanistan dauerhaft durch je einen deutschen Militärzahnarzt besetzt. Zwei Zahnärzte sind allgemeinzahnärztlich ausgebildet, der Dritte ist zusätzlich zum Fachzahnarzt für Oralchirurgie weitergebildet. Dabei gilt, dass der Zahnarzt auch in das allgemeine Rettungsmuster mit eingebunden werden kann, wenn es die Situation erfordert. Bei einem Massenanfall von Verwundeten unterstützt er dabei auf der Pflegestation und berät den leitenden Chirurgen bei Fragestellungen, die Kopf-Hals-Verletzungen betreffen.
Weiterhin haben vor allem die Anschläge in Afghanistan gezeigt, dass sich das Verletzungsmuster bei militärischen Auseinandersetzungen stark von Traumata bei Zivilisten unterscheidet. So kommt es überdurchschnittlich häufig aufgrund der militärischen Schutzkleidung zu Verletzungen des Mittelgesichtes und der Extremitäten. Die Ausbildung wird laufend an neue Kenntnisse und Erfahrungen über diese ballistischen Verletzungsmuster angepasst. Die persönliche medizinische Ausrüstung eines jeden Soldaten wurde bereits dementsprechend erweitert, damit die primäre Versorgung am Ort der Verwundung optimiert werden kann.
Zahnärztliche Versorgung in Afghanistan
Um eine zahnärztliche Versorgung nach deutschem Standard gewährleisten zu können, sind enorme logistische Herausforderungen im Vorfeld zu bewältigen und dauerhaft sicherzustellen. Dabei stellt neben der militärischen Lage auch das kontinentale Klima eine immense Belastung für Mensch und Material dar: Im Sommer sind Temperaturen um 50 Grad Hitze und häufige Sandstürme an der Tagesordnung, im Winter kommt es gerade in den Höhenlagen zu starken Schneefällen und Temperaturen bis 30 Grad Kälte. Für medizinische Geräte gibt es aber noch ein erklärtes „Feindbild“, den Sandstaub. Dieser erfordert häufigere Wartungs- und Pflegemaßnahmen aller Geräte und bindet damit zusätzlich Personal.
Neben den sehr speziellen Anforderungen an Transport und Lagerung von Medikamenten muss auch die Grundversorgung mit Wasser und Strom unter diesen klimatischen Bedingungen autark gewährleistet werden. Gerade im medizinischen Bereich mit einer möglichen Notstromversorgung und höchsten Anforderungen an die Wasserqualität sind ständige Wartungsarbeiten und Qualitätskontrollen unumgänglich. Glücklicherweise kommt es nur zu sehr geringen Engpässen und technisch bedingten Behandlungsausfällen. Eine prospektive Planung vor allem für Verbrauchsmaterialien und ein hoher Improvisationssinn mit einem guten Zusammenspiel aller Teilbereiche eines Klinikums sichern dabei die Behandlungsbereitschaft.
Behandlungseinrichtung in Mazar-e-Sharif
Sie ist räumlich in das Klinikum integriert und in direkter Nachbarschaft zur HNOAbteilung untergebracht. Die interdisziplinäre Kooperation wird damit wesentlich vereinfacht.
Es stehen zwei konventionelle Behandlungsplätze zur Verfügung. Die Behandlungseinrichtung verfügt darüber hinaus über die Möglichkeit des digitalen Röntgens (PSA und Zahnfilm) sowie über ein kleines zahntechnisches Labor, eine Anmeldung und einen Lagerraum. Zusätzlich können für komplexere Behandlungsfälle in der Abteilung für Radiologie CT-Aufnahmen angefertigt und befundet werden.
Bei ausgedehnten Verletzungen, die eine Versorgung in Allgemeinnarkose erfordern, kann auf zwei voll ausgestattete Operationssäle zurückgegriffen werden.
Behandlungsablauf
In der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung werden neben deutschen Soldaten gleichwohl auch die aller anderen ISAFNationen und bei freier Kapazität auch Zivilisten behandelt. Dabei ist zwischen dem zahnärztlichen Routinedienst, der ähnlich einer zivilen Praxisstruktur organisiert ist, und der ständigen Bereitschaft bei Verwundungen im Kopf-Hals-Bereich zu unterscheiden. Primäres Ziel der zahnärztlichen Behandlung ist die Wiederherstellung der Kampffähigkeit (Combat readiness) der Soldaten. Ist dieses gerade bei schwereren Verletzungen oder in Folge von dentogenen Entzündungen nicht innerhalb von zwei Wochen möglich, hat die Herstellung der Verlegefähigkeit für den Lufttransport höchste Priorität. Die anschließende Behandlung im Heimatland wird dann vorwiegend an den Bundeswehrkrankenhäusern bis zur abschließenden Rehabilitation durchgeführt.
Eine kurzzeitige stationäre Behandlung kann auch in der Klinik im Einsatzland erfolgen. Das ist gerade bei deutlich erschwerten Transportbedingungen durch Wetter oder Feindlage von entscheidendem Vorteil. Die beste zahnärztliche Versorgung ist immer die vorherige Versorgung im Heimatland.
Dental fitness class
Dazu wurde das Instrument „Dental Fitness Standards and a Dental Fitness Classification System“ NATO-weit in den Streitkräften implementiert. Nach diesem Grundsatz wird in der Vorbereitung des Auslandaufenthaltes seit längerem eine zahnärztliche Untersuchung für jeden Soldaten grundsätzlich vorgeschrieben. Dabei ist entsprechend der Dental Fitness Classes eine Einschätzung der zu erwartenden zahnärztlichen Probleme oder Beschwerden vorzunehmen. Die Dental Fitness Class 1 wird vergeben, wenn bei Soldaten nach eingehender zahnärztlicher Untersuchung kein Behandlungsbedarf besteht. Wenn innerhalb der nächsten zwölf Monate kein Notfall zu erwarten ist, erfolgt die Vergabe der Fitness Class 2. Nur solche Soldaten, die die Bewertung 1 und 2 erhalten haben, können überhaupt in das Einsatzland verlegt werden. Alle anderen Soldaten sind vorher so zu behandeln, dass sie nach Möglichkeit die Dental Fitness Class 2 erreichen. Über diese Maßnahmen sollen nicht nur die Auftragserfüllung sichergestellt sondern auch Notfälle und Ausfallzeiten aufgrund zahnärztlicher Probleme im Auslandseinsatz möglichst gering gehalten werden.
Zahnärztliche Behandlung in Mazar-e-Sharif
Die Zahnarztgruppe in Mazar-e-Sharif versorgt alle Soldaten des Camps und der umliegenden Feldlager, die über keine eigene zahnärztliche Behandlungseinrichtung verfügen. Weiterhin ist hier der Fachzahnarzt für Oralchirurgie lokalisiert, der die Versorgung übernimmt, wenn besondere chirurgische Fragestellungen durch den zahnärztlichen Kollegen in Feyzabad oder Kunduz nicht gelöst werden können.
Durchschnittlich wurden in den Jahren 2008 und 2009 durch die Zahnarztgruppe 2116 Soldaten betreut. Im Behandlungszeitraum von 2008 bis 2009 wurden in der zahnärztlichen Behandlungseinrichtung bei deutschen ISAF-Soldaten insgesamt 3853 und bei Soldaten anderer Nationen 1055 zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen durchgeführt. Dabei stehen Füllungstherapie und endodontische Therapien im Vordergrund. Das kleine (aber feine) zahntechnische Labor ermöglicht auch kleinere prothetische Reparaturen und die Herstellung von „Knirscherschienen“, die vergleichsweise häufig indiziert sind.
Bei Soldaten anderer Nationen ist eine chirurgische Versorgung im Vergleich doppelt so häufig notwendig wie bei deutschen Soldaten. Dieses lässt sich sicherlich auf die gute Grundversorgung wie auch auf die Voruntersuchung im Inland zurückführen. Sie ist in den Streitkräften anderer Nationen meist nur optional und wird nicht konsequent oder gar nicht durchgeführt. So trägt die vorgeschriebene zahnärztliche Vorbehandlung im Heimatland entscheidend dazu bei, chirurgische Maßnahmen im Einsatz nachhaltig zu reduzieren.
Weiterhin fällt auf, dass überproportional viele endodontische Behandlungen bei den Soldaten notwendig waren. Die genaue Ursache hierfür ist derzeit noch unklar. Es kann davon ausgegangen werden, dass psychischer und physischer Stress in Verbindung mit einem anderen Keimspektrum in der Umwelt für eine Vielzahl der endodontischen Probleme verantwortlich sind.
Im Falle einer Verwundung im MKG-Bereich
Im Rahmen der Auslandseinsätze der Bundeswehr gilt die Maxime, den Soldaten im Falle einer Erkrankung, eines Unfalls oder einer Verwundung eine medizinische Versorgung zuteil werden zu lassen, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht. Um diesen hohen medizinischen Anspruch im Auslandseinsatz aufrechterhalten zu können, werden je nach Auftrag und Risiko multinationale sanitätsdienstliche Versorgungseinrichtungen aufgestellt.
Kommt es bei einem Soldaten zu einer schweren Verwundung, stellt eine Behandlungskette die sanitätsdienstliche Versorgung sicher, die auch den Verwundetentransport mit einbezieht. Dabei stehen Schockbekämpfung und Blutstillung im Vordergrund. Diese sogenannte Strategic Medical Evacuation Procedure ermöglicht dabei fast immer eine Repatriierung der Verletzten innerhalb von 48 Stunden ins Heimatland. Dabei ist sogar die Verlegung eines intubierten und beatmeten Patienten möglich und durchführbar, wenn spezielle Vorkehrungen gerade für die geänderten Druckbedingungen in Luftfahrzeugen getroffen wurden.
Da der Transport bei sehr beengten räumlichen Verhältnissen im Luftfahrzeug durchgeführt wird, ist aus zahnärztlicher Sicht vor allem die Aspirationsprophylaxe zu beachten. So ist nach derzeitigem Stand eine starre intermaxilläre Fixation zur Stabilisierung von Ober- und Unterkiefer mit einer Drahtschiene bei Unterkieferfrakturen kontraindiziert. Eine Stabilisierung mit sogenannten Ottenhäkchen hat sich hierfür als hilfreich und sinnvoll herausgestellt.
Die weitere Versorgung im Heimatland findet in einem der Bundeswehrkrankenhäuser statt. Vor dem Hintergrund der vergleichsweise zahlreichen Gesichtsschädelverletzungen wurden in den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz und Ulm spezielle multidisziplinäre Kopfzentren etabliert. Hier erfolgt die weitere individuelle Planung und Durchführung der Behandlung bis zur vollständigen Rehabilitation des Soldaten.
OFA Dr. Contantin von SeeFachsanitätszentrum MunsterEmminger Weg 6029633 Munstercontantinvonsee@gmx.de