Interaktive Fortbildung

Ein besonderer Fall von Hyperdontie

Heftarchiv Zahnmedizin
Dentale Anomalien und speziell die Hyperdontie können im gesamten Gebiss auftreten und können die natürliche Zahn- und Gebissentwicklung beeinträchtigen. Sie tritt mit einer Häufigkeit von 0,2 bis 1 Prozent auf und häufiger bei Jungen als bei Mädchen. In den meisten Fällen handelt es sich um eine einzelne Zahnüberzahl dem sogenannten Mesiodens im Frontzahnbereich des Oberkiefers, der zwischen den beiden Inzisivi durchbricht. Generell ist bei überzähligen Zähnen die Entfernung die Therapie der Wahl.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen männlichen Patienten, geboren 1996, der erstmalig nach einem Frontzahntrauma im August 2000 in der Praxis erschien. Die Zähne 51 und 61 waren geringfügig perkussionsempfindlich und es war eine diskrete Sulkusblutung festzustellen.

Die Allgemeinanamnese des Patienten war unauffällig, die üblichen Kinderkrankheiten waren durchlebt, lediglich berichteten die Eltern über einen verzögerten Milchzahndurchbruch. Die Mundhygiene und die Ernährungslage waren unauffällig. Eine genetische Disposition in Bezug auf eine Hyperdontie liegt nicht vor. Der Patient stellt sich in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle vor. Die Zähne 51 und 61 blieben auch bis zum Jahr 2004 reaktionslos. Im Jahr 2005 erschien der Patient erneut in der Praxis (Abbildung 1).

Bei eingehender Untersuchung der Mundhöhle zeigte sich ein kariesfreies Milchgebiss, jedoch waren die Zähne 52 bis 62 bereits verloren.

Allerdings zeigten sich die Zähne 12 bis 22 nicht im Durchbruch. Die Zähne 31 und 41 waren bereits durchgebrochen und die Zähne 32 und 42 befanden sich im Durchbruch, jedoch in lingualer Position von 31 und 41.

Auffällig war die extreme Kieferkammausdehnung in vestibulo-palatinaler Dimension im Frontzahnbereich des Oberkiefers. Da der Patient mittlerweile neun Jahre alt war, wurde eine Röntgenaufnahme, ein Orthopantomogramm (OPG), zur Abklärung der Kieferrelation (Abbildung 2) angefertigt.

Das OPG zeigte eine regelrechte Zahnkeimanlage im Unterkiefer und in der Oberkieferseitenzahnregion. Lediglich die Oberkieferfrontzahnsituation zeigte Auffälligkeiten. Zahn 21 befand sich in Zahndurchbruchsstellung, in regio 11 stellten sich zwei Schneidezähne dar, wobei einer der Zähne cranial verlagert war. Außerdem ließ sich erahnen, dass palatinal noch ein zusätzlicher Zahn angelegt war.

Therapieplanung

Zur Abklärung der Situation war ein operativer Eingriff unumgänglich. Der operative Eingriff sollte aufgrund des Alters des Patienten in Intubationsnarkose erfolgen. Aus diesem Grund wurde der Patient vom Kinderarzt auf Narkosefähigkeit untersucht und es fand ein Vorgespräch mit einem Anästhesisten statt.

Klinisches Vorgehen

Es wurde ein Schnitt von Zahn 12 bis 23 auf dem Kieferkamm gelegt und die Schleimhaut abpräpariert (Abbildung 3). Wie schon auf dem OPG vermutet, konnte palatinal ein zusätzlicher Zahn dargestellt werden, der die Form eines Prämolaren hatte (Abbildung 4). Nach der relativ problemlosen Entfernung des überzähligen Prämolaren musste nun eine Entscheidung getroffen werden, ob es sich bei dem zusätzlichen Inzisiven um einen überzähligen Zahn handelte, oder ob es vielleicht ein bereits auf dem Durchbruch befindlicher Schneidezahn war, der sich regulär einstellen würde. Um diese Entscheidung treffen zu können, war es notwendig, den weiter cranial liegenden Schneidezahn freizupräparieren und die mesiodistale Distanz der beiden Zähne zu vermessen und mit dem bereits im Durchbruch befindlichen Zahn 21 zu vergleichen.

Außerdem musste die Schmelzbeschaffenheit des weiter cranial liegenden Zahnes beurteilt werden (Abbildung 5). Die Vermessung und der Vergleich mit Zahn 21 ergab, dass es sich bei dem cranial liegenden Zahn um den regulären Inzisiven handelte. Somit konnte der caudal liegende überzählige Zahn entfernt werden (Abbildung 6).

Danach wurde der Kieferkamm digital komprimiert. Der Verschluss der Wunde erfolgte mit einfachen Knopfnähten.

Um den Durchbruch für Zahn 22 zu erleichtern, wurde in der Region auf die Naht verzichtet (Abbildung 7).

In Abbildung 8 sind die beiden entfernten Zähne dargestellt. Der postoperative Verlauf war unauffällig. Der Patient erschien in regelmäßigen Abständen in der Praxis. Jedoch konnte drei Monate nach der OP immer noch kein Zahndurchbruch des Zahnes 11 festgestellt werden.

In einem zweiten Eingriff unter Lokalanästhesie wurde dann die Schleimhaut in regio 11 eröffnet, um den Zahndurchbruch zu beschleunigen. Gleichzeitig wurde eine Resektion des Lippenbändchen durch- geführt.

Eine weitere Röntgenaufnahme wurde angefertigt (Abbildung 9). Sie zeigte einen mittlerweile regulären Zahndurchbruch der Oberkieferfrontzähne.

Der kleine Patient stellte sich im März 2006 erneut vor (Abbildung 10). Die Zähne 11 und 21 waren regelrecht durchgebrochen (Abbildung 11). Aufgrund des relativen Platzmangels und der Kieferrelationen wurden vom Ober- und Unterkiefer Abformungen angefertigt, um für die Kieferorthopädische Regulierung Dehnplatten herstellen zu können. Die Eingliederung der Dehnplatten erfolgten nach einer Woche mit der Anweisung, einmal wöchentlich zu dehnen (Abbildungen 12 bis 14).

Abbildungen 15 bis 18 zeigen die heutige Situation. Immer noch besteht ein Platzmangel. Mittlerweile sind alle Zähne durchgebrochen, weitere kieferorthopädische Regulierungsmaßnahmen sind in Planung.

Diskussion

Die Hyperdontie ist im Milchgebiss durchschnittlich bei 0,2 bis 1 Prozent der Kinder anzutreffen. Überzählige Zähne sind bei Jungen häufiger als bei Mädchen und überwiegend im Oberkiefer lokalisiert. Es sind vor allem zusätzliche Schneidezähne, die meist unilateral lokalisiert sind und eine reguläre Zahnform aufweisen. Die Zahnüberzahl kommt im bleibenden Gebiss häufiger vor als im Milchgebiss. Exakte Prävalenzdaten sind schwierig zu gewinnen, da überzählige Zähne häufig durch Verlagerung oder aus Platzgründen nicht durchbrechen. Durch gegenseitige Behinderung von Zahnkeimen bei der Eruption kann eine Zahnüberzahl klinisch sogar als verminderte Zahnzahl erscheinen. Deshalb müssen Röntgen-Panoramaaufnahmen angefertigt werden, um die Zahnzahl beurteilen zu können. Dies führt dazu, dass Studienpopulationen meist aus dem selektierten Patientengut von Kliniken bestehen.

Im permanenten Gebiss findet man die Hyperdontie in rund 2,5 bis 3,5 Prozent und häufiger beim männlichen als beim weiblichen Geschlecht, im Oberkiefer 8-mal so häufig wie im Unterkiefer. Bei rund der Hälfte aller überzähligen Zähne handelt es sich um einen Mesiodens. Er bricht in 75 Prozent der Fälle wegen Verlagerung nicht durch. Nach Mesiodentes stellen Paramolaren mit einer Morbidität von 0, 1 Prozent und Distomolaren mit 0,1 bis 0,3 Prozent die häufigsten überzähligen Zähne dar.

Im Zusammenhang mit Lippen-Kiefer- Gaumen-Spalten wird Hyperdontie wesentlich häufiger beobachtet. Die Therapie sieht immer eine chirurgische Entfernung vor. Anomalien der Zahnzahl sind unbekannt. Es besteht aber die Annahme, dass sie auf Störungen der Odontogenese durch Über- beziehungsweise Unterproduktion der Zahnleiste beruhen. Die Zahnüberzahl ist in der Regel mit Formanomalien verbunden.

Zu den Formen der Hyperdontie zählen:

• Mesiodens:

zapfenförmiger Zahn (Dens emboliformis), lokalisiert zwischen den oberen mittleren Schneidezähnen oder zwischen 1. und 2. Schneidezahn. Häufig bricht er durch Verlagerung und/oder aus Platzmangel nicht durch. Er kann bei genetischer Fixierung familiär gehäuft auftreten. Die operative Entfernung des retinierten Mesiodens ermöglicht in der Mehrzahl der Fälle die regelrechte Einstellung der permanenten Inzisivi.

• Paramolaren:

zusätzliche, meist im Oberkiefer zwischen den 1. und 2. oder 2. und 3. Permanenten Molaren lokalisierte, überwiegend einwurzelige Zähne.

• Distomolaren:

überzählige Zuwachszähne, die distal der 3. Molaren lokalisiert sind. Paramolaren und Distomolaren sind häufiger auch als zapfenförmige Zähne (Dentes emboliformis) angelegt. Durch ihre räumliche Anordnung können sie im Wurzelbereich mit den Molaren verwachsen (Dentes concreti). Wegen des erhöhten Kariesrisikos und aus kieferorthopädischen Gründen unterliegen sie der frühzeitigen Extraktion. Dabei ist die Gefahr der Verwachsung radiographisch in zwei Ebenen abzuklären.

• Kleidokraniale Dysplasie (Dysostosis cleidocranialis):

Krankheitsbild, bei dem es zu multiplen überzähligen Zahnanlagen kommt. Neben dem radiographischen Nachweis der meist retinierten überzähligen Zahnanlagen ist ein Defekt der Schlüssel- beine typisch, der es Betroffenen ermöglicht, die Schultern so weit nach vorn zu führen, bis diese sich berühren.

Regina Doll und Peter HofmannImplantologische ZahnarztpraxisKinderzahnarztpraxisDanziger Str. 378126 Königsfelddollhofmann@aol.com

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