Interaktive Fortbildung

Labor-Kompositversorgungen bei einer sechsjährigen Patientin

Heftarchiv Zahnmedizin
Die vorliegende Falldarstellung zeigt eine non-invasive Behandlung zur qualitativ hochwertigen Versorgung einer heute siebenjährigen Patientin. Die junge Patientin leidet an einer Dentinogenesis imperfecta Typ II.

Entwicklungsbedingte Defekte der Zähne betreffen die Qualität (Hypomineralisation) oder die Quantität (Hypoplasie) der Zahnhartsubstanzen [Jälevik et al., 2000]. Ursachen für Störungen während der Bildung der Zahnhartsubstanzen können genetischen Ursprungs sein, wie zum Beispiel bei der Amelogenesis oder der Dentinogenesis imperfecta, und somit alle Zähne betreffen, oder zu verschiedenen Zeitpunkten während der Entwicklung hervorgerufen werden, so zum Beispiel bei der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) oder bei Turner-Zähnen, und dementsprechend nur einzelne Zähne betreffen [Pindborg, 1982; Jälevik et al., 2000].

Je jünger die Patienten sind, desto schwieriger stellt sich die zahnärztliche Behandlung dar. Fehlende Kooperation des Kindes sowie viele offene Fragen, was die bestmögliche und sinnvollste Versorgung ist [Willmott et al., 2008] sind dominierende Faktoren.

Falldarstellung

Im Winter 2007 stellte sich die damals fünfjährige Patientin mit ihrer Mutter in der Poliklinik für Zahnerhaltung in Würzburg mit dem Wunsch vor, die „hässlichen gelben Zähne“ schnellstmöglich zu behandeln, damit vor Schuleintritt die Hänseleien durch Gleichaltrige aufhören. Von einer funktionellen Einschränkung wurde nicht berichtet. Für das Mädchen war der Besuch in der Poliklinik der erste Zahnarztkontakt überhaupt. Die Mutter berichtete, dass zwei der Halbgeschwister ihrer Tochter (Kinder des Vaters) die gleichen „schlechten Zähne“ hätten. Bei ihnen habe man mit einer Versorgung bis zum Wachstumsabschluss gewartet. Da ihre Tochter aber unter den abfälligen Bemerkungen anderer Kinder im Kindergarten zu leiden habe, wünsche sie eine zeitnahe Versorgung.

Der intraorale Befund zeigte ein stark abradiertes Milchgebiss (Abbildung 1), der Schmelz war fast vollständig von den Zähnen abgeplatzt und die Kauflächen waren plan. Extraoral war weniger eine verminderte Höhe des unteren Gesichtsdrittels als vielmehr das vermeintlich fehlende Lippenrot der Oberlippe auffällig. Auffälligkeiten in der Anamnese wurden durch die Kinderärzte des Universitätsklinikums abgeklärt, in diesem Zusammenhang wurde eine Osteogenesis imperfecta assoziierte Dentinogenesis imperfecta ausgeschlossen, so dass es sich im vorliegenden Fall um eine Dentinogenesis imperfecta Typ II handelte.

Dies ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die gewöhnlich autosomal dominant vererbt wird und beide Dentitionen betrifft. Zugrunde liegt ein Defekt des Dentin-Sialophosphoproteins (DSPP), das für die Bildung nicht-kollagener Proteine des Dentins verantwortlich ist. Klinisch ist die Zahnfarbe (gelb-braun oder blau-grau) auffällig, nach Absplitterungen des Schmelzes kommt es zu einer sehr schnellen Attrition der Zähne [Schulte et al., 2007].

Das zu diesem Zeitpunkt angefertigte OPG (Abbildung 2) zeigte an den durchbrechenden Sechsjahrmolaren die für diese Erkrankung typische Knollenform der klinischen Krone, das vor der Eruption noch vorhandene Pulpakavum sowie die (fast) vollständige Obliteration desselben nach dem Durchbruch der Milchmolaren.

Da bei der Erstvorstellung die Milchschneidezähne schon gelockert waren und ebenfalls der Durchbruch der Sechsjahrmolaren bevorstand, wurde die Therapie um einige Monate verschoben. Bedingt durch eine Erkrankung der Mutter entfielen die geplanten Kontrolltermine, so dass sich die Patientin erst über ein Jahr später erneut zur Untersuchung einfand. In der Zwischenzeit waren alle Sechsjahrmolaren durchgebrochen und von der typischen Schmelzabplatzung betroffen, allerdings noch ausschließlich im Bereich der Okklusalflächen. Zahn 21 war etwa zur Hälfte durchgebrochen, während sich 51 noch in situ befand, im Unterkiefer waren 31 und 41 durchgebrochen, 82 exfoliiert und 72 noch in situ (Abbildungen 3 und 4).

Therapieplanung

Primäres Ziel war die Erhaltung der durchbrechenden und teils schon geschädigten Zähne. Da durch den fehlerhaften Verbund von Schmelz und Dentin jederzeit eine Abplatzung des Schmelzes stattfinden konnte, sollte der noch vorhandene und normal gebildete Schmelz in die Versorgung mit einbezogen werden. Eine Rekonstruktion der Okklusalfläche in der direkten Technik war alleine aufgrund der dafür notwendigen Zeit in Hinblick auf die Ausdauer der Patientin nicht möglich. Ebenso erschien fraglich, ob damit ein funktionell zufriedenstellendes Ergebnis hätte erzielt werden können. Eine geringfügige Biss hebung war wünschenswert, um den Durchbruch der Frontzähne zu ermöglichen.

Da kaum Erfahrungen für laborgefertigte Versorgungen bei sehr jungen Patienten vorliegen, wurden zunächst Situationsmodelle erstellt. Die Modellanalyse ergab, dass eine vollständige Überkronung aller Flächen der Sechsjahrmolaren mit Komposit ohne Präparation mit einer Bisshebung von knapp drei Millimetern im Seitenzahnbereich bei mittelwertigem Einartikulieren aus konservierender und kieferorthopädischer Sicht die bestmögliche Versorgung darstellte.

Klinisches Vorgehen

Die Abformung für die Herstellung der Meistermodelle erfolgte mit individuellen Löffeln und einem additionsvernetzenden Silikon. Die Modelle wurden aus Superhartgips erstellt und die zu versorgenden Zähne isoliert. Die räumliche Zuordnung der Modelle erfolgte über eine einfache Bissnahme mit Wachs. Die Kronen, die eher die Form einer Schale besitzen (Abbildung 5), wurden aus einem Mikrofüller-Komposit (SR Adoro, Ivoclar Vivadent, Schaan, Liechtenstein) geschichtet. Dieses Komposit wird im zahntechnischen Labor ausschließlich für die Herstellung von Kronen, Brücken (mit und ohne Gerüst) und Verblendungen verwendet. Es hat einen Gewichtsanteil von 65 Prozent anorganischer Füllkörper, eine Biegefestigkeit von 120 bis 125 MPa sowie ein E-Modul von 7 000 bis 7 500 MPa.

Zwei Wochen nach der Abformung erfolgte die Eingliederung der Schalen. Da das Einprobieren keinen invasiven Vorgang darstellte, wurde es von der Patientin sehr gut akzeptiert. Eine zusätzliche Motivation erfolgte schon zu Beginn der Behandlung: Da die Patientin ihre Zähne und auch die „neuen Zähne“ auf dem Modell anschauen konnte (Abbildung 6), konnte sie erahnen, was in der anstehenden Sitzung passieren würde. Das Einprobieren nahm wenige Minuten in Anspruch, das Einsetzen selbst war in kurze Behandlungsintervalle gegliedert. Zum adhäsiven Verbund wurde ein Zwei-Flaschen-Adhäsivsystem in der etch-and-rinse-Technik (Optibond FL, KerrHawe SA, Bioggio, Schweiz, plus 37-prozentige Phosphorsäure) sowie ein dualhärtendes Komposit (Bifix, VoCo, Cuxhaven) verwendet. Das Einsetzen erfolgte aufgrund der Restaurationsform unter relativer Trockenlegung. Obwohl beim Einsetzten zum ersten Mal wirklich im Mund der Patientin gearbeitet wurde, tolerierte sie dies hervorragend.

Nach der Eingliederung zeigte die junge Patientin eine ausgeprägte Irritation beim Kieferschluss (Abbildungen 7 bis 9), so dass dieser zunächst als nicht reproduzierbar eingestuft und eine definitive Okklusionskontrolle auf den geplanten Recalltermin zwei Wochen später verschoben wurde.

An diesem Termin berichtete die Mutter von der oben erwähnten Irritation, die aber nur einen Tag angehalten habe. Danach habe ihre Tochter mit Freude wieder gegessen. Auch das Sprechen oder Schlucken sei ihr nicht schwergefallen. Klinisch hatte sich die Situation so eingestellt wie im Artikulator simuliert. Eine Korrektur der statischen und dynamischen Okklusion war somit nicht notwendig. Auffallend war die nun sehr schnelle Eruption der übrigen Schneidezähne. Um einer ausgeprägten Intrusion der Sechsjahrmolaren sowie einer Zungenfehlfunktion durch die Non-Okklusion der Milchmolaren zu begegnen, wurden erneut Situationsmodelle erstellt. Da trotz der deutlichen Bisshebung nicht ausreichend Platz für eine Cover-Denture-Prothese in Ober- und Unterkiefer als Ersatz der klinischen Milchzahnkronen möglich war, wurde in diesem Fall der Unterkiefer wegen der grazileren Gestaltungsmöglichkeiten gewählt (Abbildungen 10 bis 12). Die Eingliederung erfolgte drei Wochen später (Abbildung 13).

Der Zahnersatz bestand aus zwei Sätteln mit lingualer Extension sowie einem Sublingualbügel. Die Okklusalflächen der verwendeten Prothesenzähne wurden abgeflacht, um eine bessere Kontaktsituation zum Oberkie fer herzustellen. Zur zusätzlichen Verankerung wurden zwei C-Klammern an den Milcheckzähnen angebracht (Abbildung 14).

Die hier beschriebene Versorgung ist inzwischen seit über 18 Monaten in situ. Sie ist exemplarisch für die Restaurationen unterschiedlicher Strukturanomalien, die inzwischen nach diesem Konzept behandelt wurden.

Nachfolgend sind weitere Indikationen sowie klinische und wissenschaftliche Aspekte zu dieser Thematik erläutert.

Epikrise

Nach den ersten positiven Erfahrungen mit Komposit-Laborversorgungen [Vitkov et al., 2006] bei jungen Patienten sowie einzelnen ähnlichen Fallberichten [Delgado et al., 2008; Harley et al., 1993; Hunter et al., 1997; Sengun et al., 2002; Stines, 2008] wurde die Indikation auf folgende Krankheitsbilder ausgedehnt: Amelogenesis imperfecta, Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, Hypoplasien bei einem Frühgeborenen, Hypoplasien unbekannter Genese, Aufbau persistierender Milchzähne und Erosionen.

Die ältesten Arbeiten von uns eingegliederter Restaurationen sind nun drei Jahre in situ (Abbildungen 15 und 16), die neueste seit drei Monaten (Abbildungen 17 und 18). Außer einer kleinflächigen Chipfraktur, die mittels direkter Technik sofort repariert werden konnte, gab es bisher keine Misserfolge. Da diese Technik aber besonders bei sehr jungen Patienten angewendet wurde, bleibt abzuwarten, ob der Wunsch der einmaligen Behandlung eines einzelnen Zahnes bis zum Wachstumsabschluss zu erfüllen ist.

Da die behandelten Erkrankungen eine geringe Prävalenz und die strukturellen Veränderungen die unterschiedlichsten Ausprägungen zeigen, gibt es zu Indikationsstellung und Erfolg der Behandlung wenig Datenmaterial. Eine für die heutigen Qualitätsstandards ausreichend große Studienpopulation lässt sich nur durch große und dementsprechend teure Multicenter-Studien rekrutieren [Volz-Zang, 2006]. Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die häufige Sorge der Eltern, mit ihrem Kind könne experimentiert werden [Gensthaler, 2004] Für Erkrankungen wie die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation gibt es inzwischen erste Daten zum Einsatz geeigneter Restaurationsmaterialien sowie der Häufigkeit notwendiger Zahnarztbesuche [Lygidakis et al., 2003; Fayle, 2003; Mejàre et al., 2005; Jälevik et al., 2002]. Aber auch hier wurden nur direkte Techniken evaluiert.

In vielen Fallberichten wird die Behandlung älterer Jugendlicher beschrieben, bei denen weder das Wachstum noch die Compliance eine derart große Rolle spielen wie bei wesentlich jüngeren Patienten. Auf der anderen Seite gibt es zunehmend Berichte über das immer frühere Auftreten der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation auch schon im Milchgebiss [Elfrink et al., 2008]. Der Behandlungsbedarf bei jün- geren Patienten wird daher sicherlich steigen.

Fundiertes Wissen über den adhäsiven Verbund von Restaurationsmaterialien an den hypoplastischen/hypomineralisierten Zahnhartsubstanzen fehlt für beide Dentitionen [William et al., 2006a; William et al., 2006b; Venezie et al., 1994; Saroglu et al., 2006]. Eine Weiter- oder Neuentwicklung von Therapieoptionen ist dementsprechend dringend notwendig.

Mit Keramik- oder Gussrestaurationen wurde bisher meist bis zum Abschluss des Wachstums beziehungsweise bis zum vollständigen Durchbruch gewartet [Daly et al., 2009]. Es wurde bisher meist empfohlen, die Zähne nicht vorher zu behandeln, um den physiologischen Durchbruch und die Einstellung während der Wechselgebissphasen nicht zu behindern. Vergleichende Daten gibt es aber nicht. Kompositrestaurationen können jederzeit erweitert, repariert oder reduziert werden. Sie zeigen im Gegensatz zu den anderen Laborarbeiten eine deutlichere Abrasionstendenz und stehen daher der korrekten Einstellung eines Zahnes nicht im Weg.

Betrachtet man die notwendigen Faktoren

• non- oder minimal-invasive Behandlung• kurze und unkomplizierte Behandlungszeiten• Reparatur-/Erweiterungsfähigkeit• Funktionalität• Ästhetik,

so erfüllt die vorgestellte Versorgung alle Kriterien. Die Langlebigkeit kann bisher nicht abschließend beurteilt werden, auch wenn die bisherigen Ergebnisse vielversprechend sind.

Dr. med. dent. Stefanie FeierabendAbteilung für Zahnerhaltung und ParodontolgieAlbert-Ludwigs-Universität FreiburgHugstetter Str. 5579106 Freiburgstefanie.feierabend@uniklinik-freiburg.de

Karl Halbleib, ZahntechnikerPoliklinik für Zahnerhaltung undParodontologieJulius-Maximilians-Universität WürzburgPleicherwall 297070 Würzburg

N.I.C.E. ZahntechnikHumboldtstr. 2497209 Veitshöchheimk.halbleib@gmx.dewww.nice-zahntechnik.de

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