Würdig sterben
Entstanden ist das deutsche Charta-Projekt vor dem Hintergrund einer internationalen Initiative, die als Budapest Commitments auf dem 10. Kongress der European Association for Palliative Care (EAPC) im Jahr 2007 vereinbart wurde. Auf Bundesebene teilen sich die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), der Deutsche Hospiz- und Palliativverband (DHPV) und die Bundesärztekammer (BÄK) die Trägerschaft, unterstützt durch die Robert Bosch Stiftung sowie die Deutsche Krebshilfe. Insgesamt waren 150 Experten beteiligt. Im Ergebnis sind fünf Leitsätze entstanden (sieh Info-Kasten). Sie bieten Orientierung für die Weiterentwicklung einer Palliativmedizin, die sich an die tatsächlichen Bedürfnissen unheilbar kranker und sterbender Menschen richtet.
BÄK-Präsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe erläuterte in Berlin bei der Vorstellung der Ergebnisse des „Charta-Prozesses“ die Beweggründe der Ärzteschaft, die Palliativmedizin zu stärken und weiter auszubauen. „Die Erkenntnis, dass Ärzte nicht alles heilen können, förderte 2004 die Grundsätze der ärztlichen Sterbebegleitung ans Licht.“
Medizinhistorisch betrachtet ist die Palliativmedizin (Definition der WHO) oder auch Palliative Care (Definition der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.) die eigentliche „Urmedizin“. Sie konzentriert sich nach dem Gebot „Lindern statt Heilen“ auf den ganzen Menschen, nicht nur auf seine Krankheit(en). Für den ärztlichen Nachwuchs sei diese Sichtweise eingängiger, als etwa für seine eigene Generation, sagte Hoppe.
Tötung auf Verlangen - kein deutsches Thema
„Wir finden, die Themen ‚Tötung auf Verlangen‘ und ‚Ärztlich assistierter Suizid‘ gehören in Deutschland nicht auf die gesundheitspolitische Agenda“, so Hoppe weiter. Beides sei mit dem ärztlichen Berufsethos schlicht nicht vereinbar. In einigen europäischen Ländern gelten andere Regeln. So ist in der Schweiz „Beihilfe zum Suizid“ nur dann strafbar, wenn dies aus selbstsüchtigen Gründen geschieht. In den Niederlanden existiert seit 2001 ein Gesetz, das Ärzten ermöglicht, unter Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Sorgfaltskriterien straffrei aktive Sterbehilfe zu leisten. Auch Belgien hat 2002 ein Gesetz beschlossen, das die Lebensbeendigung auf Verlangen durch Ärzte ermöglicht. Eine von der Deutschen Hospizstiftung vor einigen Jahren in Auftrag gegebene Umfrage spiegelt die Meinung der Deutschen zu dem sensiblen Thema: Danach befürworten 35 Prozent die aktive Sterbehilfe, während sich 56 Prozent für Palliativmedizin und Hospizarbeit aussprechen.
„Im 19. Jahrhundert war der Tod zu Hause ein von allen gefühlter und durchlebter Abschluss“, sagte Annette Widmann-Mauz, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Berlin. Ihr Haus verfolge die Verbesserung in der Pflege. Es biete jedoch nur die Rahmenbedingungen. Die Durchführung obliege den Organisationen, Verbänden und den Menschen an der Basis, so Mauz. Dafür müssten mehr Personen qualifiziert werden. Zum Beispiel auch jene, die wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten.
Konkret geht es um Zeit, Zuwendung und um eine andere gesellschaftliche Einstellung zum Thema „Sterben“, erklärte Dr. Birgit Weihrauch, DHPV-Vorstandsvorsitzende (Foto oben links). Fachkräfte und Ehrenamtliche seien zukünftig gefordert, stärker zu kooperieren. Ein Palliativ-Netzwerk ist interdisziplinär: Haus- und Fachärzte, ambulante Pflege-, Hospiz-, und palliative Beratungsdienste, Apotheker, Physiotherapeuten, Pflege-Einrichtungen, stationäre Hospize und kirchliche Organisationen arbeiten darin eng zusammen, betonte Weihrauch.
Speziallisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)
Die SAPV-Richtlinie (§ 132d Abs. 2 SGB V). wurde 2007 vom Gemeinsamen Bundesausschuß (G-BA) erlassen. Damit sind normative Grundlagen zur Umsetzung von regionalen Palliative Care Strukturen geschaffen worden. Doch von einer flächendeckenden Umsetzung ist man weit entfernt: Von den etwa 180 Milllionen Euro, die im Gesundheitsfond 2008 für Pallaitive Care vorgesehen waren, wurden gerade drei Millionen abgerufen. Die drei Träger fordern einstimmig: Um der Palliativversorgung Impulse zu geben, braucht es eine nationale Strategie unter Moderation des Bundes. Das schafft das Bewußtsein vom politisch Verantwortlichen bis zum einzelnen Bürger.