Kulturfilme in der Medizin
Mit der Entwicklung des Kinematografen durch die Brüder Auguste und Louis Lumière entstand ein neues Medium, welches das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat. Das unterhaltende Potential des Mediums Film zeigte sich bereits im „Kino der Attraktionen“, aneinandergereihte Kurzfilme, die oft nicht mehr als ein paar Szenen zeigten.
Wissenschaftliche Disziplinen, etwa die Botanik oder die Biologie bedienten sich rasch dieser Technik für ihre Zwecke. Auch in der Medizin wurde die neue Bildermaschine in kürzester Zeit von zahlreichen internationalen Wissenschaftlern rezipiert. So produzierte der Radiologe John Macintyre bereits 1897 in Glasgow erste Röntgenfilme von Gliedmaßen und aktiven Organen.
Erschließung des Körpers ...
Mit der Röntgenkinematografie sowie durch die Aufnahme von sich bewegenden Bakterien schien sich das Körperinnere neu zu erschließen. Beispielhaft waren auch die Aufnahmen eines schlagenden Hundeherzens durch Ludwig Braun in Wien. Mit diesen Bildern erhofften sich die Mediziner, neue Geheimnisse der Natur entziffern zu können.
Bereits 1898, also ein Jahr nach Macintyres Röntgenaufnahmen, filmte der Rumäne Gheorge Marinesco Bewegungsabfolgen bei Menschen mit Bewegungsstörungen, die er Wissenschaftlern in Paris darbot. Auch in Berlin entstanden Aufnahmen von neurologischen Patienten mit Bewegungsdysfunktionen, wie von Paul Schuster, Professor der Neurologie und späterer Direktor der Nervenabteilung im Städtischen Hufeland-Hospital in Berlin. Diese Aufnahmen von menschlichen Bewegungsabfolgen sind in Anlehnung an die chrono-fotografischen Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge und Etienne-Jules Marey in Paris Ende des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Doch im Unterschied zu letzteren konnten im Film jetzt Bewegungsabfolgen gezeigt werden, die zeitlich identisch schienen mit natürlichen Abläufen.
... als sinnliche Erfahrung ...
Die bewegten Bilder ermöglichten eine neue sinnliche Erfahrung. Denn die Abbildungen suggerierten eine Lebendigkeit, die identisch zu sein schien mit der Realität. Darüber hinaus fanden kinematografische Aufnahmen auch als Formen der Selbstkontrolle und der Wissenschaftsinszenierung ihren Einsatz. So erstellte der französische Mediziner Eugène Louis Doyen bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts operationstechnische Aufnahmen von sich selbst. Er tat dies aus zwei Gründen: Einerseits, um seine Praktiken zu verbessern und zu rationalisieren. Die Kamera übernahm dabei eine Kontrollfunktion. Andererseits intendierte er mit der Sichtbarmachung seiner OP-Technik und seiner Effektivität einen Prestige-Gewinn innerhalb seiner Zunft. Es war auch Doyen, der nach Berlin reiste, um eine Unterschenkelamputation durch seinen Berliner Kollegen Ernst von Bergmann filmisch in Szene zu setzen. Allerdings erzeugte dieser Vorgang ein unangenehmes Ergebnis: harsche Kritik seitens der Kollegen wegen mangelnder Wissenschaftlichkeit. Die Szenenbilder spiegeln die Theatralität seiner Selbstinszenierung. Das Potenzial dieser ein- bis zweiminütigen Lehrfilme wurde schnell offensichtlich: Es diente der Aufnahme, Analyse und der Repräsentation von lebenden Phänomenen. Insbesondere in Europa und den USA avancierte die Kinematografie rasch zu einem bevorzugten Instrument der Forschung und Lehre. Die Bildgebung bahnte sich durch diese technische Innovation verstärkt ihren Weg in die Klinik.
In den 1910er Jahren entstanden dann zunehmend medizinische Filme, die sich in der Narrationsstruktur, dem adressierten Publikum und den Aufführungsorten von den bisherigen Unterrichtsfilmen unterschieden. Auch in den USA wurden, initiiert durch Thomas Alva Edison, zahlreiche melodramatische Filme zur Gesundheitsaufklärung hergestellt, die in kommerziellen Kinos gezeigt wurden. Damit war der Beginn der Produktion von sogenannten Aufklärungs- und Kulturfilmen markiert, die im folgenden für Gesundheitskampagnen primär zur Bekämpfung von Tuberkulose, Syphilis, Alkoholismus und Krebs genutzt wurden. Charakteristisch für die Filme war ihr belehrender Geist und die wirklichkeitsnahe Szenerie.
Gründung der UFA
Das forcierte öffentliche Interesse am Medium Film fand mit der Gründung der „Universal Film Aktiengesellschaft” (UFA) 1917/18 in Berlin seine institutionelle Umsetzung. Die UFA, kofinanziert von der deutschen Regierung, etablierte am 1. Juli 1918 eine Kulturfilm-Abteilung, zu der auch eine medizinische Film-Abteilung gehörte. Hier wurden in der Folge Hunderte von Filmen gedreht: Filme für die medizinische Profession wie auch instruierende Filme für die allgemeine Öffentlichkeit. Die Verbreitung der UFA-Filme im gesamten damaligen Deutschen Reich ist in der Karte anschaulich dargestellt.
Ziel der UFA-Aufklärungsfilme war es insbesondere, massenwirksam und flächendeckend Kampagnen gegen zentrale Krankheiten wie Tuberkulose, Pocken oder Syphilis zu betreiben. Leitende Akteure in dieser Abteilung waren dabei die Mediziner Alexander von Rothe, Curt Thomalla und Nicholas Kaufmann. Sie erkannten bereits früh das Potential der Filme, als zentrales Medium der Gesundheitsaufklärung zu fungieren. In der Folge entstanden Filme wie „Geschlechtskrankheiten und ihre Folgen“ (1919) unter der Regie von Curt Thomalla und Nicholas Kaufmann. Thomalla drehte ein Jahr später „Die Pocken. Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung“. „Die weiße Seuche“ folgte 1921. Mit „Falsche Scham“ erreichte Thomalla 1925/1926 seinen künstlerischen Höhepunkt. Die Titel der Filme verweisen bereits auf den didaktischen Gestus, der den Kulturfilm insgesamt charakterisierte.
Expansion der Kulturfilme
Die Zeit von der Jahrhundertwende bis in die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich insgesamt als eine intensive, stark expandierende Phase dieser Kulturfilme bezeichnen, die vor allem in Frankreich, im Deutschen Reich und in den USA ihre Zentren hatte.
Einhergehend mit erheblichen filmtechnischen Neuerungen (Zeitraffer, Untewasser-, Röntgen- und Nahaufnahmen, Vergrößerungen und Animationstechniken) entstanden zahlreiche solcher Filme, die dann als „naturwissenschaftliche Abende“ im kommerziellen Kino angepriesen wurden. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich konstatieren, dass medizinische Filme zunehmend eine eigene visuelle Sprache entwickelten. Doch bereits ab dem Ende der 1910er Jahre wurden diese didaktischen Filme durch äußerst populäre fiktionale Filme herausgefordert.
In Werken von international bekannten Regisseuren wie Richard Oswald, Martin Berger, Georg Wilhelm Pabst oder Robert Wiene wurde das Dramatisierungspotenzial medizinischer Themen insbesondere im Bereich der Sexualaufklärung aufgegriffen und bis zum gesellschaftlichen Skandal hin ausgelotet. Das Publikum war fasziniert. Denn dabei entstanden nicht selten „Obscönfilme“, die das Label des Kultur-/Aufklärungsfilms nutzten, aber im Ergebnis als pornografische oder Sexfilme einzustufen waren.
Herausgeforderte Zensur
Die damit einhergehende Debatte, die filmisch und publizistisch ausgetragen wurde, endete in dem Reichslichtspielgesetz vom 12. Mai 1920. De facto eine Filmzensur. Von nun an musste jeder Film der Filmprüfstellen in Berlin und München zur Sichtung und Beurteilung vorgelegt werden, was zu Schnittauflagen, Titel- oder Zwischentiteländerungen oder sogar Aufführungsverbot führen konnte. Zunächst führten die Restriktionen zu einer Besucherkrise bei den herkömmlichen medizinischen Aufklärungsfilmen.
Nicht zuletzt weil diese Filme ein großes öffentliches Interesse erreichten, markieren sie den Beginn eines intensiven Diskurses über den Inhalt und die Funktion von sogenannten Aufklärungsfilmen. Ein Diskurs, der auch Auswirkungen auf die formale Ausgestaltung sogenannter medizinischer Filme hatte. Weil die medizinischen Aufklärungsfilme durch die erfolgreichen Fiktionalisierungen herausgefordert wurden, waren erstere gezwungen, andere Erzählstrategien zu suchen.
Verfremdung durch Fiktion
Unter dem Deckmantel der Dokumentation wurde mit neuen Möglichkeiten der filmischen Darstellung experimentiert. So entstanden medizinische Filme, bei denen man durch den Einbau fiktionaler Elemente versuchte, sowohl Wissen über den Körper zu vermitteln, als auch das Publikum emotional anzusprechen.
Verbindung zur Charité
Dass die Geschichte dieser Filme in vielfacher Hinsicht eng verknüpft ist mit der Geschichte der Charité und der Berliner Medizin zeigt sich auf mehreren Ebenen. In personeller Hinsicht sind hier Ärzte der Charité zu nennen, die das Medium Film in ihrer Arbeit integrierten und die Weiterentwicklung forcierten, wie der Chirurg der Charité Ernst von Bergmann oder der Neurologe Paul Schuster. Insbesondere sei hier die Bedeutung von Nicholas Kaufmann hervorgehoben. Der ehemalige Assistenzarzt an der Charité leitete die medizinische Filmabteilung, die der Kulturabteilung der UFA zugeordnet war. Kaufmann selbst wurde als Regisseur, Drehbuchautor (u.a. „Wege zu Kraft und Schönheit“) und wissenschaftlicher Berater zu einer zentralen Figur dieser Filmproduktionen und zugleich das Bindeglied zwischen der UFA und der Charité.
Auch der Berliner Facharzt der Chirurgie und ehemaliger Leiter einer Berliner Privatklinik, Alexander von Rothe ist an dieser Stelle zu erwähnen. Mit einem neukonstruierten Apparat löste er das zentrale Problem der Antisepsis, also der Notwendigkeit, während der Aufnahmen Kamera und Scheinwerfer steril zu halten. Zugleich hat Rothe die Perspektive der Aufsicht standardisiert. Der Apparat war Kamera und Schweinwerfer zugleich, positioniert direkt über dem OP-Tisch. Per Fußklick konnte der operierende Arzt die Kamera in die gewünschte Position steuern. Dieser sogenannte Rothesche Apparat fand internationale Aufmerksamkeit und regen Absatz.
Auch institutionell bestand eine enge Verbindung zwischen dem Medium und der Charité. So wurden Lehrfilme immer wieder in der Charité gedreht wie der 1919/1920 produzierte Operationsfilm „Transperitonealer Kaiserschnitt“, der sich durch Zeichentrickanimationen auszeichnete und neben anderen Filmen auf dem Berliner Gynäkologenkongress im Juni 1920 gezeigt wurde.
Einen enormen Bedeutungszuwachs im Hinblick auf die Filmproduktion erfuhr die Charité in den 1920er Jahren. Aufgrund ihrer geringen marktwirtschaftlichen Relevanz war die UFA gezwungen, die Produktion von Aufklärungsfilmen einzustellen. Auf Regierungsinitiative wurde als eine Form der Kompensation das Medizinisch-Kinematografisches Universitätsinstitut an der Charité eingerichtet, von Alexander von Rothe geleitet. In der Folge entstanden zahlreiche Filme. Vermutlich bis zum Beginn der 1930er Jahre wurden hier Filme produziert, die ein breites Spektrum der Medizin abdeckten: Chirurgie, Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie, Mikrobiologie. Von diesen Filmen sind leider nur noch einige wenige überliefert.
Auch wenn sich in der Fülle der entstehenden Filme strukturelle Merkmale identifizieren lassen, so ist zugleich die Varianz und Vielfalt der Filme in ihrer formalen Ausgestaltung und thematische Breite bezeichnend.
Die Film- und Vortragsreihe
Diese doppelte Vielfalt sollte in einer Filmreihe verdeutlicht werden, die von Januar bis April 2010 im von Prof. Thomas Schnalke geleiteten Medizinhistorischen Museum der Charité lief. In der Ruine des ehemaligen Rudolf-Virchow-Hörsaales konnte ein inter-essiertes Publikum die Vielschichtigkeit dieser Filme an sieben Abenden mit Filmbeispielen aus der Zeit von 1895 bis 1948 wahrnehmen. Ein einführender Beitrag in die historischen Zusammenhänge des Films ging jeder Präsentation voraus. Hierfür konnten jeweils ausgewiesene Experten aus dem In- und Ausland gewonnen werden: Filmwissenschaftler, Historiker, Medizinhistoriker aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Im Anschluss an die Vortragsund Filmpräsentation bestand die Möglichkeit einer Publikumsdiskussion. Dieses Angebot traf auf reges Interesse. Inhaltlich fokussierte die Veranstaltung Filme, die in engem Zusammenhang mit der Geschichte der Charité stehen und sich thematisch mit dem „kranken“ versus „gesunden“, dem „idealisierten“ versus „verpönten“ Körper beschäftigten.
Die Reihe begann mit dem ersten Kulturfilm der UFA: „Krüppelnot – Krüppelhilfe“ von 1919/1920 bot einen Einblick in die medizinisch-orthopädische Arbeit des Berliner Oskar-Helene-Heims Ende der 1910er Jahre. Die Stärke des Films lag in der Fokussierung der Diskrepanz zwischen Darstellung und historischer Realität, zwischen Schein und Sein. In idealisierender Form wird die umfassende Arbeit der orthopädischen Klinik des Oskar-Helene-Heims in Berlin gezeigt, in dem Kinder und Heranwachsende neben einer medizinischen Behandlung von Rachitis sowie Knochenund Gelenktuberkulose auch die Möglichkeit einer schulischen und beruflichen Ausbildung erhielten. Der Film markierte zugleich eine Zäsur, indem er medizinische Aufklärungsfilme mit seiner abendfüllenden Länge vom Status des Kino-Begleitprogramms emanzipierte.
Mit „Wege zu Kraft und Schönheit“ wurde ein Film zur Inszenierung des idealisierten, ästhetisierten Körpers diskutiert. Dieser von Wilhelm Prager 1925 produzierte und im Berliner Ufa-Palast am Zoo uraufgeführte Film war, an der Zuschauerrezeption gemessen, die erfolgreichste UFA-Produktion und im Hinblick auf die sich daran anschließenden Diskussionen, einer der umstrittensten Kulturfilme, wurden hier doch nackte tanzende Körper gezeigt. Der Regisseur Prager, der seine Karriere als Theaterschauspieler, -direktor und -intendant begonnen hatte, arbeitete für diesen Film mit dem Mitbegründer der medizinischen Filmabteilung und Nicholas Kaufmann zusammen. Kaufmann hatte das Drehbuch des Films verfasst und begleitete die Filmproduktion als wissenschaftlicher Berater – war er es doch, der bereits extensive Erfahrungen in der Produktion von medizinischen Filmen hatte.
Die in „Wege zu Kraft und Schönheit“ angedeutete Thematisierung der Sexualität wurde dann in dem Film „Geschlecht in Fesseln“ durchbuchstabiert. Der spezifische Fokus dieses fiktionalen Filmes von Wilhelm Dieterle aus dem Jahr 1928 wird durch den Untertitel des Filmes deutlich: „Die Sexualnot der Strafgefangenen“. Mithilfe des Protagonisten, des arbeitslosen Ingenieurs Franz Sommer, der durch ein Missgeschick ins Gefängnis gerät, klagt Dieterle eine Reform des Strafgesetzes ein und fordert, auch Strafgefangenen ein Recht auf Sexualität zuzubilligen. Welchen Verlauf eine Verweigerung dieses Rechts nehmen kann, zeigt die Geschichte von Franz Sommer, der von Wilhelm Dieterle selbst gespielt wird: aus Verzehrung nach Sexualität wird eine Freundschaft zu einem Mitgefangenen zu einer Liebesgeschichte. Als er seine Homosexualität seiner Frau gesteht, die im Verlauf der Gefangenschaft ihres Mannes ebenfalls untreu geworden ist, begehen beide in ihrer Verzweiflung Selbstmord.
Sozialkritik im frühen Film
Dramatische Szenen waren auch im daran anschließenden fiktionalen Film „Kreuzzug des Weibes“ zu sehen, einem Film von Martin Berger aus dem Jahr 1926. In diesem Film wird um den damaligen Starschauspieler Conrad Veidt als starrsinniger Staatsanwalt das Thema der Abtreibung verhandelt. Veidt ist mit drei Abtreibungsfällen aus verschiedenen sozialen Schichten konfrontiert: der eines Arbeiterehepaars, eines etablierten wohlhabenden Ehepaares sowie einer Lehrerin, die Opfer einer Vergewaltigung durch einen geistig behinderten Menschen wird. Dabei macht Berger deutlich, welche Relevanz die soziale Herkunft für einen verbotenen Eingriff in die Schwangerschaft hat. Zugleich vollzieht sich im Film ein Wandel der Haltung des Hauptdarstellers: Der Staatsanwalt, der für seine schwarzweiß-malerische Härte bekannt ist, beginnt erst die geltende Rechtsprechung zu hinterfragen, als er erfährt, dass seine Verlobte das Vergewaltigungsopfer ist.
An dieses Drama schloss sich dann der überwiegend dokumentarisch gedrehte Film „Frauennot – Frauenglück“ von Eduard Tissé und Sergej Eisenstein aus dem Jahr 1929 an. Der Impetus des Anti-Abtreibungsfilms wird dabei durch den Untertitel sehr deutlich: Das Hohelied der ärztlichen Kunst. Idealisiert wird hier nicht nur der schwangere Frauenkörper besprochen, sondern auch die herausragende Rolle der Medizin und der Mediziner. Mit dieser schweizerischen Produktion wurde zugleich der internationale Zusammenhang der Kulturfilmproduktion deutlich. Denn diese Filme entstanden zwar in nationalen Zusammenhängen, hatten aber Reichweiten und Verbreitungswege, die über die Nation hinausgingen. “Frauennot – Frauenglück“ wurde überwiegend in der Universitäts-Frauenklinik Zürich gedreht, um dann in der Schweiz, Österreich, Frankreich und Deutschland in jeweils unterschiedlichen Fassungen gezeigt zu werden. Zudem markiert dieser Film eine zentrale Zäsur in der Filmgeschichte: die Einführung des Tonfilms im Jahr 1929. Waren die ersten international zirkulierenden Fassungen des Films stumm, wurde später der in der Charité gezeigte Film mit Tonelementen ausgestattet.
In dem fiktionalen Tonfilm „Robert Koch – Bekämpfer des Todes“ von Hans Steinhoff aus dem Jahr 1939 wurde eine zentrale Figur der Bakteriologie und der Berliner Medizin thematisiert. Darüber hinaus wurde mit diesem Film auch der Zusammenhang zwischen nationalsozialistischer Ideologie und der Filmgeschichte verdeutlicht. Parteiaufmärsche oder nationalsozialistische Parolen zeigte der Film nicht. Und doch ist er repräsentativ für die nationalsozialistische Filmpolitik: Die Aufopferung und Hingabe Robert Kochs, um seine Ziele zu erreichen, wird mit dem Kampf gegen die Bakterien und dem „Sieg des Verstandes über sie“ dramatisiert. Subtile Anspielungen, körperliche Gesten, aber auch bewußte Auslassungen werden in der Reihe als Stilmittel des Films der 1930er Jahre aufgezeigt.
Geschlechtskrankheiten als zentrales Thema
Die Filmreihe begann mit einer Berliner Institution, der orthopädischen Klinik des Oskar-Helene-Heims. Der Kreis schloss sich, denn sie endete auch am Drehort Berlin. Mit dem Film „Straßenbekanntschaft“ wurde ein zentrales Thema der medizinischen Filme aufgegriffen: Geschlechtskrankheiten. Dieser von Peter Pewas 1948 fertiggestellte Film, ist einer der ersten Filme der Deutschen Filmaktiengesellschaft, kurz der DEFA (Berlin/Ost). Pewas inszenierte dabei in dramatischer Weise die vor allem in Zusammenhang mit der Prostitution verhandelten Ansteckungswege. Vor dem Hintergrund der Mangelwirtschaft wird über die Figur Erika insbesondere die Rolle der Frauen, ihrer Bedürfnisse und Ängste in der frühen Nachkriegszeit diskutiert. Dabei gerät die lebenshungrige Hauptdarstellerin, gespielt von Gisela Trowe, schon bald auf die „schiefe Bahn“. Durch Sex mit einem Freier erkrankt sie an Syphilis. Erst nach Interventionen ihres Freundes, des Journalisten Walter Helbig, gespielt von Siegmar Schneider, lässt sie sich erfolgreich behandeln.
Fazit
Das Ziel der Reihe, auf bisher weitestgehend unbekannte Zusammenhänge zwischen der Film- und Charité-Geschichte aufmerksam zu machen, kann als gelungen bezeichnend werden. Eindeutige Belege sind die sehr gut besuchte Filmreihe und das starke Diskussionsbedürfnis der Zuschauer.
Zweifelsohne besitzen historische Filme auch heute noch das Potential, wissenschaftliche Themen verständlich an die Öffentlichkeit zu tragen. Sie geben Einblicke in Zusammenhänge und ermöglichen zugleich eine Diskussion über unser heutiges Gesundheitssystem.
Dr. phil. Anja LaukötterForschungsbereich „Geschichte der Gefühle“Max-Planck-Institut für Bildungsforschunglaukoetter@mpib-berlin.mpg.de