Schnelle Hilfe für Gewaltopfer
Körperliche und seelische Schäden stellen oft schwerwiegende und mitunter langandauernde Beeinträchtigungen für die Opfer einer Gewalttat dar. Bundesweit werden jedes Jahr mehr als 600 000 Menschen Opfer einer kriminellen Handlung. Die Palette reicht von Einbrüchen, Nachstellungen (Stalking), Mobbing bis hin zu körperlicher Gewaltanwendung und sexueller Nötigung. „Viele Opfer von Kriminalität und Gewalt, aber auch ihre Angehörigen und Hinterbliebenen sind auf die Solidarität des Gemeinwesens und damit auf staatliche Entschädigungsleistungen angewiesen“, so Helmut Rüster, Sprecher des Hilfsnetzwerks für Kriminalitätsopfer Weißer Ring.
Diese werden ihnen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gewährt. Nach dem OEG stehen den Geschädigten zuzahlungsfreie Heilbehandlungen für die gesundheitlichen Folgen einer Tat und Rehabilitationsmaßnahmen zu. Dies umfasst auch die psychotherapeutische Betreuung von Gewaltopfern.
„Durch die Anbindung des OEG an das Bundesversorgungsgesetz erhalten Gewaltopfer die gleichen Leistungen wie Kriegsopfer“, machte Dr. Rolf Schmachtenberg vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf dem Forum in Mainz deutlich.
Unnötig lange Verfahren
Viele Opfer erhielten die dringend benötigte Hilfe allerdings nicht zeitnah oder gar nicht. Grund hierfür ist zum einen, dass viele Betroffene nicht wissen, dass ihnen Leistungen nach dem OEG zustehen. Nur knapp elf Prozent der Geschädigten stellen nach Angaben des Weißen Rings Anträge auf Entschädigungsleistungen. Zum anderen werde das Gesetz vielerorts zu restriktiv angewendet oder die Verfahren ziehen sich unnötig lange hin, bemängelt der Weiße Ring. Der Verein fordert daher, Opfern von Gewalt bei Bedarf sofortige Hilfe durch fachkundige Therapeuten zur Verfügung zu stellen und eine schnelle Leistungsgewährung zu garantieren.
Dies gelte auch für die Behandlung psychischer Folgeschäden eines Verbrechens. „Je früher eine fachkundige Therapie ansetzt, umso besser ist dies für den Patienten“, betonte Dr. Brigitte Bosse, Psychotherapeutin vom Traumainstitut Mainz. Gewaltverbrechen könnten zu ganz unterschiedlichen psychischen Störungen führen. Das fange bei kurzfristigen reaktiven Störungen, einschließlich depressiver Beschwerden an und reiche bis hin zu schwerwiegenden dissoziativen Identitätsstörungen. Typisch für traumatisierte Patienten seien Gefühle von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein sowie das gedankliche Wiedererleben der Tat.
„Die Ausprägung eines Traumas hängt insbesondere von der Dauer und Häufigkeit sowie von der Schwere der Tat ab“, erklärte Bosse. Insbesondere schwere frühkindliche Gewaltanwendungen und extrem sadistische Erfahrungen könnten zu einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung führen.
Für den Heilungserfolg sei es auch wichtig, dass das erlittene Unrecht als Folge der Gewalttat anerkannt wird. „Eine gute Zusammenarbeit zwischen den Opfern, Opferanwälten und Therapeuten ist die Voraussetzung dafür, dass aus ,Opfern‘ wieder Menschen werden können, die sich als selbstbestimmt und autark erleben“, unterstrich Bosse.
Stalking als Straftat
Prof. Dr. Reinhard Böttcher, Bundesvorsitzender des Weißen Rings, forderte, auch neue Formen von Kriminalität zu berücksichtigen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem OEG solle beispielsweise auf Stalkingopfer ausgeweitet werden. Denn Stalking gelte in Deutschland mittlerweile als Straftat und führe in einer nicht unerheblichen Anzahl zu schweren seelischen Belastungen und Erkrankungen.
Der Weiße Ring bemängelt am OEG ferner, dass der Geschädigte glaubhaft nachweisen muss, dass die gesundheitliche Störung Folge des Verbrechens ist, um psychotherapeutische Leistungen erhalten zu können. „Viele Opfer werden dadurch zusätzlich belastet“, so Hartmut Kilger, Fachanwalt für Sozialrecht aus Tübingen.
Hinzu kommt, dass die geltende Versorgungsmedizin-Verordnung nicht die aktuellen medizinischen Erkenntnisse der durch psychische Traumen bedingten Störungen beinhaltet. Eine Anpassung sei dringend erforderlich, betonte Barbara Wüsten, Leiterin des Referats Opferhilfe/Recht beim Weißen Ring. Ärzte sollten außerdem Verbrechensopfer verstärkt auf ihre Rechte nach dem OEG hinweisen.
Petra SpielbergChristian-Gau-Straße 2450933 Köln