Fortbildungsteil 2/2010

Therapie oraler Ursachen von Halitosis

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Unter Berücksichtigung der Ursachenverteilung sollten sich Halitosis-Patienten zuerst an den Zahnarzt wenden, der etwa neun von zehn Patienten professionell von Mundgeruch befreien kann [Filippi und Müller, 2006]. Erst, wenn nach zahnärztlicher Untersuchung keine orale Ursache erkennbar ist, gilt es, die kausalen Zusammenhänge fachärztlich abzuklären.

Generell sollte die Therapie einem standardisierten Schema folgen, welches konkret auf die erhobenen intraoralen Befunde fokussiert [Yaegaki und Coil, 2000] (siehe Abbildung 1). Blind- (zum Beispiel grundsätzlich Mundspüllösung) oder Pauschaltherapien (kommerzielle All-in-one Sets) führen fast immer zu Misserfolg und Unzufriedenheit von Patient und Zahnarzt.

Der behandelnde Zahnarzt sollte sich an folgendem Ablauf orientieren [Quiryen et al., 2002]: Reduktion der Mikroorganismen, Reduktion des bakteriellen Nährstoffangebots, Umwandlung von flüchtigen Schwefelverbindungen (= Volatile sulfur compounds VSC) in nichtflüchtige Schwefelverbindungen und nur, falls erforderlich, zusätzliche orale Kosmetika.

Ursachenbezogene Therapie

Kann eine zahnärztliche Diagnose gestellt werden, wird Halitosis grundsätzlich ursachenbezogen therapiert. Das Therapiespektrum ist jedoch nur teilweise gut untersucht, für manche Therapieempfehlungen fehlt noch die wissenschaftliche Grundlage. Gemessen an der steigenden Akzeptanz des Themas «Halitosis» bei Patienten und Zahnärzten sowie an der derzeitigen Aktivität der Dental-, Lebensmittel- und Pharmaindustrie ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren nicht nur das Bewusstsein gegenüber Halitosis steigen, sondern dass auch die Zahl wissenschaftlicher Daten deutlich zunehmen wird. Dies wird die Diagnose- und Therapiekonzepte von Halitosis in einigen Bereichen entweder noch besser abstützen oder ablösen [Lang und Filippi, 2004].

Systemische Ursachen

Zu jeder Halitosisbehandlung sollte stets auch die Abklärung nicht oraler Ursachen gehören. Zur Abklärung gehört eine umfangreiche Anamnese mit Evaluation des allgemeinen Gesundheitszustands und möglicher Kofaktoren der Halitosisentstehung wie Rauchen, Schnarchen, Mundatmung, Wechseljahre, Trink- und Essverhalten, Medikation sowie Stress, im Hinblick auf eine reduzierte Speichelfliessrate [Seemann, 2000]. Diese für den individuellen Patienten zutreffenden Punkte müssen angesprochen und – falls möglich – korrigiert werden. Dieser Ursachenbereich schließt insgesamt auch eine Ernährungsberatung und die Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt ein, bis hin zu symptomatischer zahnärztlicher Therapie. Sind hier bereits extraorale Ursachen erkennbar, sollten diese in erster Line durch entsprechende Fachärzte therapiert werden. Bei rauchenden Halitosispatienten empfiehlt sich die «Let it be» – Kampagne (Rauchstopp in der zahnmedizinischen Praxis), da Rauchen schwere Formen der Parodontitis und somit auch Halitosis begünstigt [Ramseier et al. 2007].

Orale Ursachen

Restaurative Ursachen

Scheinen restaurative Ursachen im Vordergrund zu stehen, sollten diese Defekte möglichst rasch durch temporäre Füllungen verschlossen werden, um im ersten Recall die Auswirkung auf den Mundgeruch beurteilen zu können. In Frage kommen offene kariöse Läsionen, undichte Füllungen, nicht korrekt eingesetzte Implantatrekonstruktionen oder überstehende Kronenränder sowie Füllungsüberschüsse (siehe Abbildung 2). Auch schlecht gepflegte abnehmbare Prothesen oder Zahnersatz mit porösen Unterseiten müssen überprüft und gegebenenfalls neu unterfüttert werden.

Parodontale Ursache

Da bei bestehender Parodontitis marginalis eine erhöhte Methylmercaptankonzentration feststellbar ist, müsste die Wiederherstellung eines entzündungsfreien Parodonts mit geringen Taschentiefen zur Verminderung einer Halitosis führen [Jecke, 2002]. In diesem Zusammenhang wurde eine Reduktion zunächst erhöhter VSC nach Kürettage und Parodontalchirurgie sowie Verbesserung der Mundhygiene beobachtet [Tonzetich und Spouge, 1979; Seemann et al., 1999; Seemann et al., 2001]. Auch für die bakterielle Entzündung der periimplantären Gewebe können die gleichen Überlegungen gemacht werden. Jedoch liegen auch hier keine Ergebnisse von Langzeitstudien vor.

Zungenbelag

Etwa 60 Prozent aller oralen Mikroorganismen befinden sich auf der Zungenoberfläche [Yaegaki und Sanada, 1992; De Boever und Loesche, 1995] (siehe Abbildungen 3 und 4). Daher steht diese auch im Mittelpunkt vieler Therapieansätze. Es konnte in zahlreichen Untersuchungen gezeigt werden, dass eine adäquate Zungenreinigung zur Reduktion der VSC und somit zur Verminderung der Halitosis führt [Gilmore und Bhaskar, 1972; Gilmore et al., 1973; Gross et al., 1975; Tonzetich und NG, 1976; Kaizu et al., 1978; Tonzetich, 1978; Vasilakis und Preis, 1981; Ralph, 1988; Yaegaki und Sanada, 1992; Bosy et al., 1994; De Boever und Loesche, 1996; Miyazaki et al., 1996; Clark et al., 1997; Vollmer, 1997; Carlson-Mann, 1998; Quiryen et al., 1998]. Bedenken, dass es durch regelmäßiges Zungenreinigen zu histologischen Veränderungen des Zungenepithels kommen würde, konnten durch Tierversuche widerlegt werden [Vasilakis und Preis, 1981]. In fernöstlichen Kulturkreisen gehört die Zungenreinigung ohnehin zur täglichen Mundhygiene [Jecke, 2002]. Ferner kann eine regelmäßige Zungenreinigung vor allem bei älteren Patienten zu einer deutlichen Verbesserung der Geschmacksempfindung führen [Hyde et al., 1981].

Als Reiniger kommen sowohl Zahnbürsten als auch spezielle Zungenreiniger in Betracht [Ralph, 1988]. Auf dem Markt sind eine Fülle von Zungenreinigern erhältlich (siehe Abbildungen 5, 6 und 7). Den besten Zungenreiniger gibt es nicht. Zungenbürsten die zusammen mit einem Zungen-Gel verwendet werden, eignen sich besonders gut für die Zungenreinigung, da sie eine gute Tiefenwirkung haben (siehe Abbildung 8). Die Zunge sollte grundsätzlich von dorsal nach ventral gereinigt werden, ohne dabei das Weichgewebe zu verletzen [Rosenberg und Leib, 1997]. Dieser Vorgang sollte so lange wiederholt werden, bis nur noch ein geringfügiger Belag sichtbar ist [Clark et al., 1997] (siehe Abbildung 9). Viele Patienten leiden während der Zungenreinigung unter Würgereiz [Rowley et al., 1987; Quiryen et al.; 2002]. Regelmäßiges Zungenreinigen und/oder Schließen der Augen kann das Auslösen des Würgereflexes minimieren [Christensen, 1998). Vor allem die Höhe des Zungenreinigers entscheidet über die Handhabung und Effektivität eines Zungenreinigers [Schärer, 2007].

Wird Zungenbelag diagnostiziert, muss dieser zunächst professionell entfernt werden. Dies sollte nicht mit rotierenden Bürstchen oder Schallinstrumenten, sondern mit Handinstrumenten geschehen. Anschließend wird der Patient in die Technik der täglichen häuslichen Zungenreinigung instruiert. Zusätzlich zur mechanischen Reinigung ist bei starker Halitosis eine Mundspüllösung empfehlenswert. Die Industrie verspricht mit ihren vielfältigen oralen Kosmetika eine Verbesserung der Halitosis.

Grundsätzlich sollte jedoch nur auf Produkte zurückgegriffen werden deren Wirksamkeit wissenschaftlich überprüft wurde. Chlorhexidindigluconat, Zinkchlorid, Cetyl-Pyridin-Chlorid (CPC), Wasserstoffperoxid, Triclosan, Aminfluorid und Zinnfluorid beziehungsweise essenzielle Öle wurden bisher in ihrer Wirksamkeit auf Halitosis als positiv bewertet. Der Einsatz all dieser Präparate ist zeitlich limitiert [Quiryen et al., 2002] und sollte in professionellen Sprechstunden temporär zur Diagnosesicherung eingesetzt werden.

Konzept der Basler Halitosis-Sprechstunde

In der Halitosis-Sprechstunde der Universität Basel beantwortet jeder neue Patient zu Beginn der Diagnostik einen 38 Fragen umfassenden Fragebogen (allgemeine und spezielle Halitosis-Anamnese), der die Gesprächsführung über das Tabuthema «Mundgeruch» wesentlich vereinfacht. Er gibt detailliert Aufschluss über Frequenz, Art, Tageszeit und Ausmaß der Halitosis, die resultierende psychische Belastung des Patienten, bereits erfolgte Behandlungen (Eigenbehandlung, professionelle Behandlung bei Ärzten oder Zahnärzten) sowie über die typischen Kofaktoren von Halitosis (Ernährungsgewohnheiten, Rauchen, Schnarchen, Stress). Der Fragebogen und der Halitosisbefund-Bogen können auf der Internetseite www.andreas-filippi.ch heruntergeladen werden. Nach einem einführenden Gespräch auf Basis dieses Fragbogens erfolgt eine zahnärztliche Untersuchung, die auf Prädilektionsstellen von Halitosis fokussiert. Sie umfasst eine Kontrolle der zahnärztlichen Füllungen und Restaurationen und falls vorhanden auch des abnehmbaren Zahnersatzes, ein parodontales Screening sowie eine Untersuchung der Weichgewebe (wie Befeuchtung der Mundschleimhaut, Speicheldrüsen-Ausführungsgänge, Zungenbelag, Waldeyer’scher Rachenring). Die Resultate der Untersuchung können auf dem Halitosisbefund-Bogen eingetragen werden. Die Diagnostik der Halitosis erfolgt immer organoleptisch und instrumentell (derzeit überwiegend mit dem Sulfidmonitor Halimeter); untersucht werden grundsätzlich Mund und Nase getrennt voneinander. Die Resultate aus den Messungen mit dem Halimeter korrelieren am besten mit der organoleptischen Bewertung gegenüber anderen Testmethoden [Brunner et al. 2010]. Nur im Einzelfall werden zusätzlich mikrobiologische Untersuchungen durchgeführt. Bei fehlender oraler Ursache wird der Patient zu einem Facharzt für innere Medizin oder Otorhinolaryngologie überwiesen. Bei diagnostizierter oraler Ursache der Halitosis wird ausschliesslich ursachenbezogen therapiert. Falls vorhanden, werden zunächst Entzündungen (zum Beispiel Gingivitis, Parodontitis, Perikoronitis, Periimplantitis) behandelt. Dem schließt sich – falls erforderlich – eine parodontale, konservierende oder prothetische Behandlung an, gegebenenfalls mit dentalhygienischer Unterstützung. Bei diagnostiziertem Zungenbelag wird der Patient in der mechanischen Reinigung des dorsalen Zungenrückens mit einem speziellen Zungenreiniger und Zungen-Gel instruiert, was initial durch die Anwendung einer Mundspüllösung unterstützt werden kann. Zurzeit werden die Patienten mit der Zungenbürste und dem Zungen-Gel von Meridol Halitosis®(Gaba, Therwil, Schweiz) in die Zungenreinigung eingeführt (siehe Abbildungen 8 und 9). Die Zungenreinigung sollte idealerweise zwei- bis dreimal täglich als Ergänzung zur Mundhygiene durchgeführt werden. In Basel wird vor allem bei erheblichem Zungenbelag und/oder bei starkem Würgereiz die Mundspülung Meridol Halitosis®(Gaba, Therwil, Schweiz) als temporäres Adjuvans für einige Wochen favorisiert, dann erfolgt eine Revaluation. Empfohlen wird, den Mund einbis zweimal täglich eine halbe Minute zu spülen. Nach ein bis zwei Wochen erfolgt eine organoleptische und instrumentelle Kontrolle des Patienten. In der Regel ist hier bereits sowohl subjektiv für den Patienten als auch objektiv eine deutliche Verbesserung wahrnehmbar.

Prognose

Die Dauer einer professionellen Halitosis-Therapie beschränkt sich in der Regel auf durchschnittlich zwei Behandlungssitzungen mit einem mittleren Gesamtaufwand von etwa einer Stunde. Werden die oben genannten diagnostischen und therapeutischen Konzepte konsequent und nicht nur halbherzig umgesetzt, lassen sich Therapieerfolgsraten von über 90 Prozent vorhersagbar erzielen [Filippi und Müller, 2006].

Ausblick

Diagnostik und Therapie von Mundgeruch werden sich in den nächsten Jahren deutlich verändern. Dies lässt sich an der Menge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wie an den vielen neuen Produkten für Mundgeruch-Patienten ablesen. In der Diagnostik werden in absehbarer Zeit günstigere Geräte auf den Markt kommen, die nicht nur die Summe der flüchtigen Schwefelverbindungen sondern auch andere mundgeruchrelevante Substanzen messen können [Mitsubayashi et al., 2006; Tanda et al., 2007]. So wird die Zahl falscher negativer Befunde bei instrumenteller Messung reduziert und die Diagnostik verfeinert. Zusätzlich werden neue semiquantitative Tests zur Überprüfung einzelner Prädilektionsstellen entwickelt, welche die schon heute nicht mehr üblichen mikrobiologischen Probenentnahmen ersetzen.

ZA Paco WeissProf. Dr. Andreas FilippiKlinik für zahnärztliche Chirurgie, -Radiologie,Mund- und KieferheilkundeUniversitätskliniken für ZahnmedizinHebelstr. 3, 4056 Basel

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