Rund um die Müdigkeit
Auf Befragen erklären rund ein Drittel der Erwachsenen hierzulande, sich manchmal oder sogar oft übermäßig müde zu fühlen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, Angehörige höherer sozialer Schichten und Menschen, die in einer stabilen Partnerschaft leben, klagen dagegen seltener über Ermüdungserscheinungen als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Trotz des oft erheblichen Leidensdrucks suchen die meisten Betroffenen keinen Arzt auf, sondern versuchen, selbst Kompensationsmechanismen zu entwickeln, um mit ihrem Problem fertig zu werden. Sie nehmen dabei nicht selten erhebliche Beeinträchtigungen in Kauf, von einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit bis hin zu einer zum Teil erheblich beeinträchtigten Lebensqualität.
Detektivischer Spürsinn ist gefragt
Die Ursachen einer vermeintlich unerklärlichen Müdigkeit zu eruieren, verlangt detektivischen Spürsinn. Es ist zunächst zu hinterfragen, wie die Müdigkeit erlebt wird, ob es sich eher um ein Gefühl der Erschöpfung und mangelnder Energie handelt oder um eine verstärkte Schläfrigkeit bis hin zum Einnicken während des Tages. Außerdem sollte, so geben es die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin vor, nach motorischen Störungen, Gangunsicherheiten und Sehstörungen bei der Anamneseerhebung gefragt werden, da solche Symptome Hinweise auf eventuell ursächliche Erkrankungen geben können.
Die Schlafdauer ist immer zu ermitteln, da manche Menschen falsche Vorstellungen darüber haben, wie lange man schlafen muss, um sich erholt zu fühlen. Der Schlafbedarf sinkt nämlich während des Lebens. Säuglinge schlafen bis zu 16 Stunden, Erwachsenen reichen normalerweise sechs bis acht Stunden Schlaf, um die „Batterien“ wieder aufzuladen.
Auch sollte nach möglichen Störfaktoren des Schlafs wie Lärm, Licht sowie Konsum von Alkohol, Kaffee oder auch Colagetränken und Kaffeebonbons gefahndet werden. Zu bedenken ist ferner das Problem der Schichtarbeit, das nachhaltige Auswirkungen auf das Schlafverhalten und damit auch auf die Tagesbefindlichkeit hat.
Müde durch Schlafmangel
Eine sorgfältige Anamnese beim Symptom Müdigkeit ist wichtig, da die Ursachen sehr vielseitig sein können. Der wohl vordergründigste Grund dafür, sich während des Tages müde und zerschlagen zu fühlen, ist Schlafmangel. Er ist zumeist bedingt durch Schlafstörungen, wobei zwischen Ein- und Durchschlafstörungen zu differenzieren ist. Die Schlafstörung muss dem Betreffenden nicht bewusst sein, vielmehr kann auch eine allgemein schlechte Schlafqualität bei eigentlich ausreichender Schlafdauer dazu führen, dass man sich am Morgen nicht erholt, sondern nach wie vor müde fühlt.
Nicht selten sind Belastungssituationen, persönliche oder berufliche Probleme, anhaltender Stress oder belastende Lebensereignisse die Ursache für eine akute Schlafstörung. Diese kann sich in der Folge verselbständigen und zu einer chronischen Störung werden, wobei der konkrete Auslöser den Betroffenen dann oft gar nicht mehr bewusst ist. Von einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung gehen die Mediziner aus, wenn es neben dem gestörten Schlaf zu einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit kommt.
Sekundenschlaf – Vorsicht Unfallgefahr
Müdigkeit ist vor allem dann nicht harmlos, wenn der Betreffende am Straßenverkehr teilnimmt. Dann nämlich droht der Sekundenschlaf, also das kurzzeitige ungewollte Einschlafen, das nach Angaben des Deutschen Verkehrssicherheitsrates für etwa jeden vierten Unfall mit Todesfolge auf Autobahnen verantwortlich zeichnet. Zum Sekundenschlaf kommt es vor allem bei monotonen Tätigkeiten und damit im Straßenverkehr weniger auf kurvenreichen Strecken als eher auf Autobahnen, wenn längere Fahrten mit nahezu gleicher Geschwindigkeit zurückgelegt werden. Das Müdewerden in diesen Situationen zeigt sich meist durch typische Symptome: Die Augenlider werden schwer, die Augen brennen und schmerzen, der Mund wird trocken und der Betreffende kann das Gähnen nicht mehr unterdrücken. Er schreckt immer wieder aus Unaufmerksamkeit oder auch aus dem Sekundenschlaf auf. Dieser setzt nicht unbedingt geschlossene Augen voraus, sondern kann sich auf bei offenen Augen ereignen.
Wer von solchen Müdigkeitsattacken überfallen wird, ist gut beraten, seinen Wagen auf den nächsten Parkplatz zu lenken und eine ausgedehnte Pause einzulegen mit einem Spaziergang an der frischen Luft oder auch einem kurzen „Powernap“.
Narkolepsie
Bei der Narkolepsie besteht ein Schlafzwang mit zum Teil ganztägig erhöhter Schläfrigkeit und/oder zwanghafter Einschlafneigung. Die Betroffenen – man schätzt ihre Zahl auf etwa 40 000 in Deutschland – können dem Schlafzwang oft nicht widerstehen und schlafen unkontrolliert ein. Es kann außerdem zum Auftreten von Kataplexien, also zum vorübergehenden Kontrollverlust über definierte Muskelgruppen, sowie zu einer regelrechten Schlaflähmung kommen. Typisch für die Narkolepsie ist ferner ein abnormer Schlafrhythmus mit verschobenen REM-Phasen, wodurch die Betroffenen ihren Schlaf oft als wenig erholsam empfinden. Mit steigendem Alter nimmt zudem in aller Regel das Schlafbedürfnis zu. Die Narkolepsie, im Volksmund auch Schlafkrankheit genannt, ist eine neurologische Erkrankung, die nicht heilbar ist. Die Behandlung besteht im Wesentlichen in einer Verhaltenstherapie und dem Erlernen von Copingstrategien.
Schlaf-Apnoe – müde sein bei angeblich gutem Schlaf
Auch von der Narkolepsie abgesehen, weist eine exzessive Einschlafneigung während des Tages auf eine krankhafte Ursache der Müdigkeit hin. Die Betroffenen geben oft an, ausreichend und durchaus auch gut zu schlafen, sich morgens dennoch nicht erholt, sondern eher wie zerschlagen zu fühlen.
Ursache der Beschwerden ist oft eine Schlaf-Apnoe, die infolge der vielen kurzen nächtlichen Atemstillstände verhindert, dass der Schläfer ausreichende Tiefschlafphasen durchlebt. Die Schlafarchitektur ist gestört, der Schlaf selbst fragmentiert, ohne dass dies den Patienten jedoch bewusst wird. Sie spüren lediglich eine vermeintlich unerklärliche Müdigkeit mit starker Einschlafneigung vor allem bei monotonen Tätigkeiten. Man spricht von einer definitiven Schlafapnoe bei mehr als zehn Atemaussetzern pro Stunde Schlaf.
Müdigkeit assoziiert mit chronischer Erkrankung
Es gibt verschiedene Infektionskrankheiten, die mit einer ausgeprägten Müdigkeit einhergehen, welche zudem als postinfektiöse Erschöpfung auch nach Abklingen der akuten Infektion für einige Zeit noch erhalten bleiben kann. Bekannt ist dies bei Erkältungen sowie einer Influenza, bei der Pneumonie, beim Pfeifferschen Drüsenfieber und auch bei akuten sowie chronischen Hepatitiden. So zeigt sich die starke Müdigkeit häufig als erstes gravierendes Symptom bei Patienten mit chronischer Leberentzündung wie einer chronischen Hepatitis B oder C oder auch anderen chronischen Lebererkrankungen.
Ebenso können andere chronische Erkrankungen wie die Zöliakie mit starken Erschöpfungs- und Müdigkeitsgefühlen assoziiert sein. Auch Menschen mit Stoffwechselerkrankungen wie etwa einem Diabetes mellitus oder einer Hypothyreose klagen regelhaft darüber, sich müde und in der normalen Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu fühlen.
Das gilt ebenso für chronische Herz- oder auch Lungenerkrankungen, wobei bei Patienten mit solchen Störungen meist nicht eine anhaltende Müdigkeit auffällig ist, sondern eher eine rasche Ermüdbarkeit. Solche Erscheinungen können auch bei Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen wie einem Rheuma, einer Sarkoidose, einer Multiplen Sklerose oder beispielsweise einem Morbus Crohn auftreten.
Müdigkeit bei Krebs – Tumorfatigue
Erschöpfungssyndrome sind bei Krebserkrankungen so häufig, dass dafür sogar der Begriff der Tumorfatigue geprägt wurde. Starke Müdigkeit und ein mehr oder weniger plötzlicher Abfall der Leistungsfähigkeit trotz ausreichender Schlafdauer können daher als erstes Symptom auf eine Tumo-Werden beide Fragen verneint, so kann eine ausgeprägte Depression als Ursache der Müdigkeit ausgeschlossen werden. Wird mindestens eine Frage bejaht, so muss die Symptomatik gezielt mit Blick auf eine depressive Störung abgeklärt werden. Es muss dann zum Beispiel auch nach einem Morgentief gefragt werden, nach verändertem Appetit und verändertem Körpergewicht, nach Versagensängsten, Konzentrationsschwierigkeiten und nach Gedanken an den Tod und an einen Suizid.
Häufiger aber noch tritt die Fatigue in der Folge der Erkrankung und ihrer Behandlung auf. Sie nimmt sehr oft während der Chemotherapie ihren Anfang und kann bis zu Wochen und Monaten über die Behandlung hinaus anhalten. Die Tumorfatigue kann die betroffenen Patienten regelrecht lähmen. So geben viele Krebspatienten an, sich völlig erschöpft zu fühlen und ihre normalen Alltagsaktivitäten kaum mehr bewältigen zu können.
Ein vor allem bei Frauen im gebärfähigen Alter nicht seltener Grund für Erschöpfungsgefühle ist eine Anämie infolge eines Eisenmangels. Denn mit den monatlichen Blutungen gehen bei manchen Frauen nicht unbeträchtliche Mengen an Eisen verloren, was eine latente Anämie nach sich ziehen kann. Infolge der mangelnden Sauerstoffversorgung der Organe und Gewebe aber nimmt die Leistungsfähigkeit ab und die Betreffenden fühlen sich ausgelaugt und müde. Die Anämie kann selbstverständlich auch viele andere Ursachen haben wie eine eisenarme Kost, starke Wachstumsphasen bei Kindern oder Darmerkrankungen, die eine Resorption von Eisen erschweren oder verhindern.
Myasthenie
Weniger Müdigkeit als eher eine rasche Ermüdbarkeit ist das charakteristische Symptom der Myasthenie, einer seltenen neurologischen Erkrankung. Sie basiert auf einer abnormen belastungsabhängigen Muskelschwäche wechselnder Muskelgruppen. Bemerkbar macht sich die Schwäche bei wiederholten Bewegungen, was erklärt, warum die Symptomatik morgens eher weniger ausgeprägt ist als im weiteren Tagesverlauf. Die Myasthenie ist ein ernstzunehmendes Krankheitsbild, da es zu einem krisenhaften Versagen der Atemmuskulatur kommen kann.
Müdigkeit ist außerdem eine Begleiterscheinung bei vielen psychischen Störungen. Vor allem bei Depressionen, aber auch bei Angststörungen ist die Müdigkeit ein häufiger Begleiter. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin geben vor, bei der Anamnese des Symptoms Müdigkeit stets auch eine Depression abzuklären. Dies geht mit zwei einfachen Fragen: Haben Sie sich im vergangenen Monat oft niedergeschlagen, schwermütig oder hoffnungslos gefühlt? Und: Haben Sie im letzen Monat oft wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten gehabt?
Bei der Abklärung einer Angststörung im Kontext mit dem Symptom Müdigkeit sollte hingegen nach nervlicher Anspannung gefragt werden, nach Sorgen, dem Gefühl, aus dem seelischen Gleichgewicht geraten zu sein und nach möglichen Angstattacken.
Das chronische Müdigkeitssyndrom
Als eigenständiges Krankheitsbild wird das „chronische Müdigkeitssyndrom“, kurz CFS für „Chronic Fatigue Syndrome“ angesehen. Die Betroffenen leiden unter einer lähmenden geistigen und körperlichen Erschöpfung und geben meist weitere Symptome an wie Kopf-, Hals-, Glieder- und Muskelschmerzen sowie Konzentrationsund Gedächtnisstörungen.
Die Prävalenz des CFS wird auf etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung geschätzt, wobei Kinder und Jugendliche seltener betroffen sind als Erwachsene, Frauen dabei deutlich häufiger als Männer. Der Krankheitsgipfel liegt zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr. Laborteste, anhand derer sich das CFS nachweisen ließe, gibt es bislang nicht. Ebenso wenig sind die konkreten Ursachen des CFS bekannt. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass die Störung als Krankheitsbild immer wieder in Frage gestellt wird. Vermutet wird, dass das Erschöpfungssyndrom Folge einer Infektionskrankheit ist. Belegt ist diese Hypothese bislang aber nicht.
Das CFS kann möglicherweise auch auf eine neuroimmunologische Regulationsstörung zurückgehen, also auf ein gestörtes Zusammenspiel des Immun-, Nerven- und Hormonsystems. Das Erschöpfungssyndrom hält in aller Regel einige Jahre an und kann den Betroffenen in schweren Krankheitsphasen ans Haus und sogar ans Bett fesseln. Es bildet sich allerdings oftmals nach einer gewissen Krankheitsdauer spontan zurück.
Müde durch Medikamente
Bei der Anamnese des Symptoms Müdigkeit sollte stets auch nach der Einnahme von Medikamenten gefragt werden, wobei explizit darauf hinzuweisen ist, dass alle Medikamente gemeint sind, auch Mittel, die rezeptfrei zu erwerben sind. Denn „Müdigkeit“ ist eine häufige Nebenwirkung verschiedener Arzneimittel.
Dazu gehören in erster Linie Schlafmittel wie die Benzodiazepine, die bei entsprechend langer Wirkdauer trotz des vermeintlich erholsamen Schlafs am darauffolgenden Morgen einen so genannten Hang-over- Effekt bedingen können. Auch die Einnahme von Antidepressiva oder Neuroleptika kann als Begleitreaktion Müdigkeit hervorrufen. Häufig ist eine solche Nebenwirkung ferner bei der Anwendung von Antihistaminika, bei Opiaten, Medikamenten zur Therapie der Parkinsonkrankheit und bei Antihypertensiva.
Therapie der Müdigkeit
Geht die Müdigkeit auf eine Erkrankung wie eine Stoffwechselstörung oder eine Hepatitis zurück, muss primär versucht werden, die Grunderkrankung zu behandeln oder deren Therapie zu optimieren, um indirekt auch das Symptom Müdigkeit zu lindern.
Sind bestimmte Medikamente die Ursache der Erschöpfung, so muss geprüft werden, ob deren Einnahme zwingend erforderlich ist und ob nicht möglicherweise die Therapie so geändert werden kann, dass keine Erschöpfung als Nebenwirkung auftritt.
Kommt es aufgrund von starken Belastungssituationen oder durch anhaltenden Schlafmangel zu Symptomen wie einer starken Erschöpfung und verstärkter Müdigkeit, kann die Lösung des Problems nur darin bestehen, einen Gang zurückzuschalten, Stress abzubauen und durch eine adäquate Schlafhygiene für eine erholsame Nachtruhe zu sorgen. Wichtig ist in solchen Fällen außerdem eine vernünftige Lebensführung mit gesunder, abwechslungsreicher und vollwertiger Ernährung, ausreichender körperlicher Aktivität und einem regelmäßigen Wechsel von Aktivitäts- und Erholungsphasen.
Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln