Koordinierungskonferenz Öffentlichkeitsbeauftragte

Der Geist aus der Flasche

„Selektivverträge“ – mit diesem heißen Eisen befassten sich die Öffentlichkeitsbeauftragten auf ihrer Koordinierungskonferenz am 19. und 20. Februar in Frankfurt am Main. Fest steht: Der Geist geht nicht in die Flasche zurück. Intelligente Konzepte sind daher mehr denn je gefragt.

„Der sogenannte Vertragswettbewerb bleibt eine Mogelpackung, weil er eben nur eine vermeintliche Lösung für die Finanzierungsprobleme bietet“, eröffnete der KZBVVorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz die Diskussion. Gerade habe die Regierung den Bestandsschutz für Selektivverträge über drei Jahre verlängert – die Rahmenbedingungen blieben damit dieselben wie vor der Wahl. Statt sich der Debatte über eine Rationierung in der GKV zu stellen, setze die Politik immer noch alternativlos auf den internen Umverteilungsmechanismus. „Dem Mehr an Leistungen stehen aber nach wie vor nicht mehr Mittel gegenüber“, erläuterte Fedderwitz. „Und es wird auch in Zukunft nur sehr knappe Mittel in der GKV geben, denn eine Verbesserung der Einnahmesituation ist nicht in Sicht.“ Tatsache ist: „Der Systemdrift Richtung Wettbewerb bleibt.“ Die KZBV habe als Antwort darauf einen Stufenplan entwickelt, in dem sie die Anhebung der Osthonorare auf Westniveau und zugleich die Abschaffung der Budgetierung und der strikten Grundlohnsummenanbindung fordert. Und zwar ohne Wenn und Aber. „Sollten diese – im Übrigen auf Basis des Koalitionsvertrags – formulierten Forderungen nicht durchsetzbar sein, wollen wir einen Ausgleich für die strukturbedingten Budgetverwerfungen und parallel dazu die Festzuschüsse auf der Grundlage regionaler Punktwerte ausbauen“, verdeutlichte der KZBV-Chef. „Sollte man uns auch da ausbremsen, reagieren wir mit einem sofortigen Verhandlungsstopp!“

Heterogenes Feld

Wie wichtig vor diesem Hintergrund eine grundlegende Analyse dieser Verträge ist, hob der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer hervor. „Die Vertragsstrukturen sind völlig unterschiedlich. Allen Verträgen ist lediglich gemein, dass sie unter dem Paragrafen 73 c firmieren.“ Was in jedem Fall bedeutet: „Der Sicherstellungsauftrag wird an die Kasse abgegeben, die Hoheit der KZV geht verloren!“ Die Krankenkassen operierten freilich mit einer anderen Größe: der Patientennavigation. Das heißt, die Kasse verspricht dem Zahnarzt, ihm via Vertrag Patienten zuzuleiten. Eßer: „Hier handelt es sich um ein marktmächtiges Instrument, und zwar zulasten der Zahntechniker wie auch der Zahnärzte.“ Typischerweise könnten den Selektivverträgen nämlich nicht alle Zahnärzte beitreten. Eßer: „Hier wird selektiert!“ Die Zahnärzte seien nur deshalb motiviert, sich zu beteiligen, weil sie befürchten, ansonsten aufgrund des Steuerungseffekts Patienten zu verlieren. „Allerdings wird die Abhängigkeit vom Vertrag im Laufe der Zeit immer größer, und es bildet sich als Folge eine Monokultur der Patienten“, erklärte Eßer. „Während auf Kassenseite massive Fusionsbewegungen stattfinden, einzeln sich die Zahnärzte auf. “

Dass der 73 c bleiben wird, davon ist Eßer überzeugt. Mit der Öffnungsklausel werde darüber hinaus auch die PKV die neuen Vertragsoptionen nutzen und einen Strauß an selektivistischen Verträgen anbieten. Was aber sind seiner Ansicht nach die Voraussetzungen für Wettbewerbsgleichheit? „Erstens: Die Verträge müssen grundsätzlich allen Zahnärzten offen stehen. Zweitens: Es muss für die Behandlung zusätzliches Honorar geben, das nicht aus dem Budget bezahlt wird. Drittens darf davon die Privatliquidation ebenso wenig berührt sein wie die Therapiefreiheit.“

Inwiefern die Öffnungsklausel als präjudizierender Faktor für Selektivverträge gilt, erörterte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Peter Engel. „Die Öffnungsklausel ist nichts anderes als ein Kostendämpfungsinstrument zur Finanzierung der PKV“, machte Engel klar. „Die Zahnärzte spielen bei den Überlegungen überhaupt keine Rolle.“ Überdies sei die Öffnungsklausel wettbewerbs- und kartellrechtlich bedenklich: Sie tangiere das EU-Recht, führe zu einer Einschränkung der freien Arztwahl durch die Patientensteuerung und höhle die GOZ aus, mache sie also überflüssig. „Die Klausel bedeutet eine Marktmacht zugunsten der Versicherer und steigert die Rolle der Industrie aufgrund der Positivliste für Werkstoffe“, bilanzierte Engel. „Sie ist ein massiver Eingriff in die fachliche Weisungsfreiheit, sie hebt die Trennung zwischen Gebührenund Erstattungsrecht auf.“ Da die Rahmenbedingungen deutschlandweit abgeschlossen werden, führe diese Form von Preisfixierung die Gleichberechtigung der Partner ad absurdum. Engel: „Der Zahnarzt wird über staatliche Monopolstrukturen verwettbewerblicht. Letztlich führt der verschärfte Eingriff der PKV ins Behandlungsgeschehen zu einer Therapiediktion im Gebührenrecht.“ Für eine umfassende Wertediskussion plädierte der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dietmar Oesterreich. „Wir müssen den Kollegen eine Leitlinie an die Hand geben, einen Ethical Code“, betonte er. Ein gesellschaftliches Mandat sei notwendig für den aus der Wissenschaft herausgelösten akademischen Berufsstand. Oesterreich: „Die Zahnärzteschaft muss auf den gesellschaftlichen Wandel und veränderte Werte reagieren.“ Einerseits liefe man als Berufsstand Gefahr, mit Aufnahme von Selektivverträgen seine kollektive Identifikation zu verlieren. Zudem bestehe das Risiko einer Deprofessionalisierung – etwa im Sinne einer Vergewerblichung der Berufsausübung, einer Diversifizierung des Berufsstandes oder auch eines Verlusts gemeinsamer Werte. Andererseits beinhalteten Selektivverträge aber auch die Möglichkeit, auf bestimmte Versorgungsbedarfe zu reagieren, zum Beispiel auf die Unterversorgung immobiler Patienten.

Intelligente Konzepte

„Wir wissen genau, dass wir keine Dumping-Selektivverträge wollen“, resümierte Oesterreich. „Dort, wo eine Unterversorgung existiert, sind wir jedoch gefordert, intelligente Konzepte zu entwickeln.“

Die Vertragslandschaft aus Krankenkassensicht schilderte Jochen Gabriel, Gruppenleiter zahnärztliche Leistungen für die DAK. „Ungefähr 90 bis 95 Prozent der Patienten sind sich gewiss, dass sie in diesem System wirklich gut versorgt sind und den besten Zahnarzt haben“, führte Gabriel aus. „Aber fünf bis zehn Prozent erleben die Versorgung als unzureichend und/oder zu teuer. Und diese Patienten sind grundsätzlich bereit zu wechseln – zu einer neuen Krankenkasse oder eben auch zu einem anderen Behandler.“ Gründe für die Unzufriedenheit laut Gabriel: das Bedürfnis nach mehr Sicherheit, mehr Information und weniger Kosten. Selektivverträge hätten freilich auch Nachteile für die jeweilige Krankenkasse, so Gabriel: Zum einen seien sie aufwändig, weil sie zielgruppenspezifische Lösungen erfordern, zugleich erziele man relativ geringe Reichweiten, müsse die Ärzte besser vergüten und höhere Transaktionskosten zahlen. Gabriel: „Selektiv ist für die Kasse eher teuer, doch die Kasse erhält ein Gesicht.“ Ziel des Vetrags sei, den Kunden zu binden. Gabriel: „Premiumpartner sind für uns die KZVen – dort ist das Know-how, dort findet sich die breite zahnärztliche Basis.“ Ebenfalls attraktiv: Zahnarztnetzwerke, weil die in der Regel gut organisiert, schnell und flexibel seien. Und Indento? „Diesen Vertrag haben wir allein wegen der Kundenbindung gemacht“, sagte Gabriel. Eigentlich gehe es der DAK aber um jene Verträge, die die Versorgungsqualität steigern, sprich um innovative Vertragskonstrukte. Gabriel: „Indento ist das Weißbrot, die anderen das Vollkornbrot.“ Prospektive Felder seien für die DAK der Bereich Endo und die CMD.

Das Vertragskonzept des baden-württembergischen Ärztenetzes Medi stellte dessen Vorsitzender Dr. Werner Baumgärtner vor. „Die Situation der Ärzte ist anders als die der Zahnärzte – bei uns kommen 90 bis 95 Prozent der Einnahmen aus dem Kollektivvertrag“, erklärte er vorab. Die Selektivverträge bei Medi seien grundsätzlich keine Einzel-, sondern Vollverträge. Die beteiligte Kasse zahlt also im Gegensatz zur KV jeden einzelnen Fall statt einer Pauschale pro Patient. Bundesweit seien drei Millionen Patienten in die Verträge eingeschrieben. Baumgärtner: „Der Selektivvertrag dient dabei auch der Absicherung der wohnortnahen Versorgung – allein aus den Einnahmen des Kollektivvertrags ist die Praxisexistenz nämlich nicht zu halten.“ Die Verträge seien für alle offen: „Der Arzt muss nicht Mitglied bei Medi sein, um mitzumachen!“ Sie gelten nur für die flächendeckende Versorgung in Baden-Württemberg, kurz: 50 Prozent der betreffenden Ärzte müssen sich laut Baumgärtner an dem Vertrag beteiligen, damit er überhaupt zustande kommt. Im Unterschied zu Hausärzteverträgen arbeiten im Medi-Netz Haus- und Fachärzte zusammen. Was die Finanzierung betrifft: „Das Geld kommt von den Kassen – die Umverteilung muss doch nicht auf Ärzte-Ebene geschehen“, sagte Baumgärtner kokett und verdeutlichte dadurch einmal mehr die Systemunterschiede zwischen Ärzten und Zahnärzten. „In den Bema passen diese wettbewerblichen Strukturen nicht, weil das Mehr an Qualität und Leistung immer aus dem gemeinsamen Topf gezahlt wird“, stellte Eßer fest. Wie wichtig es darum ist, statisches Denken zu überwinden, betonte abschließend Fedderwitz: „Kollektiv, selektiv, GKV, PKV – das sind Begriffe, die sich vielleicht in Zukunft verwaschen werden.“

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