Gastkommentar

Spiel mit dem Feuer

Weitreichende Konsequenzen für das deutsche Gesundheitssystem erwartet der Berliner gesundheitspolitische Fachjournalist Julian Visarius, falls es zur Einführung einer Gesundheitsprämie kommt.

Die Medien haben die Regierungskommission, die über die Zukunft der GKV – Umlageversicherung oder Prämie – entscheiden soll, ironisch kommentiert.

Davon abgesehen, dass keine Abgeordneten mit an Bord sind – nur vier von ihnen dürfen als Gäste am Katzentisch sitzen, da sind schon ernsthafte Gedanken über den deutschen Parlamentarismus gestattet –, sind die Länder nicht vertreten. Gelingt ein konsentierter Regierungsentwurf, glatt gebügelte parlamentarische Beratungen, müssen noch die Länder ihr Votum im Bundesrat abgeben.

Fiele die Entscheidung für eine Prämie, scheint es fraglich, ob die Länder zustimmen. Für Bayern lehnen Horst Seehofer und Markus Söder die Prämie unmissverständlich ab. Auch die SPD-geführten Länder werden nicht zustimmen, und dann sind da noch die Länderfinanzminister. Sie werden bei dem Gedanken an Steuerausfälle und die Folgen für die Beihilfe eine Prämie mit Sozialausgleich aus Steuermitteln für Blasphemie halten. Zudem: Wie werden zum Zeitpunkt der Entscheidung die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat aussehen? Der Bundesrat, an dem schon so manche Reform gescheitert ist, wird ein entscheidender Faktor sein.

Die Rösler-Kommission hat aber noch ganz andere Hürden zu nehmen, nicht umsonst ist die Zusammensetzung ressortübergreifend. Wolfgang Schäuble wird mit Argusaugen auf seine Steuermilliarden blicken, Ilse Aigner das System der landwirtschaftlichen Krankenversicherung verteidigen und bayrischen Dampf in die Verhandlungen bringen. Kristina Schröder wird darauf achten, dass die Familien nicht übervorteilt werden und keine negativen Auswirkungen in der Pflege entstehen. Rainer Brüderle wird für die Prämie in Parteinahme für die Arbeitgeber kämpfen, Thomas de Maizière als Wachhund der Kanzlerin agieren, Ursula von der Leyen die Interessen der anderen Sicherungssysteme vertreten.

Die unangenehmste Aufgabe aber fällt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu. Sie wird der Kommission die rechtlichen, vor allem auch europarechtlichen Konsequenzen erläutern müssen. Diese sind gravierend und könnten das gesamte Gesundheitssystem, die deutsche und damit auch die kontinentale Sozialkultur völlig verändern.

Findet der Sozialausgleich nicht mehr im System statt, handelt es sich laut EuGH nicht mehr um ein geschlossenes Sozialsystem, dann werden die Krankenkassen privatrechtliche Unternehmen mit allen Konsequenzen: Mehrwertsteuerpflicht, europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht.

Was die Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren in Brüssel und in Luxemburg abzuwenden versucht, den Unternehmensstatus der Kassen, europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht für das deutsche Gesundheitswesen, wäre dann unaufhaltbar. Die AOKen mit teilweise 40 Prozent Marktanteil müssten zerschlagen werden, alle Verträge wären privatrechtliche Verträge, es gäbe keinen Kollektivvertrag mehr, nur noch Selektivverträge, die aber nur einen bestimmten Marktanteil (Kartellrecht) abdecken dürften, keine Körperschaften, und so weiter. Damit wären auch die heutigen Strukturen der Leistungserbringer obsolet, das Ende der Selbstverwaltung eingeläutet. Man mag das im ersten Moment begrüßen, bei näherem Betrachten dürfte aber auch den Leistungsanbietern der Schweiß auf die Stirn treten. Alle kollektiv vereinbarten Instrumente, zum Beispiel die Festzuschüsse, wären dahin.

Neues Spiel – neues Glück? Wohl kaum. Der Versicherte hat durch Privatisierungswellen der letzten Jahre überall kleine Verteuerungen seines Lebens, einen Realkaufkraftverlust in Kauf nehmen müssen. Aus eigener Tasche wird er immer weniger für die Gesundheit ausgeben können, und die Solidargemeinschaft GKV existiert nicht mehr. Der Staat wird im Bedarfsfall mit Basiserstattungen einspringen müssen.

Ob die Leistungserbringer das wollen?

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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