Kinder richtig fördern
Die im zweistelligen Milliardenbereich angesiedelten staatlichen Transferleistungen mit der charmanten Bezeichnung „Kindergeld“ sind bei der Einführung und auch bei nahezu jeder späteren Begründungsnotwendigkeit stets mit dem Argument unterfüttert worden, das Ja zum Kind müsse materiell flankiert werden. Es handelt sich also um eine Art Belohnung oder Prämie. Demzufolge ist diese Sozialleistung auch nicht an Einkommensgrenzen gekoppelt, sondern wird mit der Gießkanne pro Kinderzahl verteilt. Und zwar an den jeweiligen Erziehungsberechtigten.
Das hat zur Folge, dass diese Leistung gar nicht unmittelbar den Kindern zugute kommt. Sie fließt in das individuelle Haushaltseinkommen ein – peinlich für Millionäre, hochwillkommen für wirtschaftlich schwache Familien. Während die Besserverdiener auch ohne Kindergeld keine Probleme hätten, den Kindern Musikunterricht, Nachhilfe, Ballettkurs oder Reitstunde zu finanzieren, bessern finanziell Schlechtergestellte damit ihr Familienbudget auf. In diesen durch Arbeitslosigkeit oder Beziehungsdramen gezeichneten Kreisen partizipieren die Kinder von dieser für sie gedachten Zuwendung wenig oder gar nicht.
Im Prinzip ist folglich bereits die Bezeichnung „Kindergeld“ falsch. Noch falscher ist es, sich von einer Anhebung der Regelsätze oder Zuschläge eine Besserung jener Zustände zu erwarten, dass Kinder aller Schichten ordentlich vorbereitet und versorgt im Kindergarten oder in der Schule erscheinen. Da die bloße Erhöhung dieser aus allgemeinen Steuermitteln zu tragenden Leistung keine Änderung der Geburtenhäufigkeit gezeitigt hat, wäre es eigentlich an der Zeit, das bisherige System grundsätzlich zu überdenken oder gar in Frage zu stellen. Das hätten die Karlsruher Richter gewiss nicht ohne Sympathie gesehen.
An oberster Stelle muss doch die Beantwortung der Frage stehen: Was trägt dazu bei, der breiten Mittelschicht das Ja zum Kind zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern, und was dient zugleich dem Kindeswohl? Es muss doch allen an der Problemlösung Interessierten zu denken geben, dass weit mehr als die Hälfte der Akademikerinnen gewollt kinderlos bleibt. Eine zweite, in gleicher Weise wichtige Frage lautet: Was muss geschehen, damit Kinder aus der Schicht, die man sich angewöhnt hat Prekariat zu nennen, die Chance bekommen, an Bildungs- und Fördereinrichtungen teilzunehmen, die kulturellen, sportlichen und sozialen Angebote wahrzunehmen?
Die Antworten sind im Prinzip schlicht: Anstelle finanzieller Transferleistungen müssten diese Mittel in Bildungseinrichtungen investiert werden. Und zwar hätte das schon längst passieren müssen. Dann würden wir heute nicht über zu wenig Kita-Plätze für die U3-Betreuung jammern, uns über schlecht ausgebildete Erzieherinnen in Kindertagesstätten empören, die Schließung von Musikschulen bedauern, über zu große Schulklassen klagen und uns über Sinn und Unsinn von Studiengebühren die Köpfe heiß reden.
Natürlich dürfen verantwortliche Politiker nicht so blauäugig sein, dadurch allein die spezielle Problematik mit bildungsfernen und/oder arbeitslosen Milieus lösen zu können. Da diese Gesellschaft jedoch nicht sehenden Auges und zugleich tatenlos dulden kann, dass sich hier bereits im Kindesalter geschlossene Sozialkarrieren entwickeln, könnten Gutscheine zur kontrollierten Verwendung den Zugang eröffnen. Bildung und Teilhabe sind nun einmal der Schlüssel zur Arbeitswelt und damit zur Integration in die Gesellschaft. Derartige Anstrengungen sind vor dem Hintergrund der beängstigenden demografischen Entwicklung nicht nur aktuell, sondern dringend geboten.