Die Mär vom kühnen Ritter Philipp
Es war einmal eine Königin namens Ulla. Sie hatte treue Helfer, die vom Volk die „Taliban“ genannt wurden. Und ihren Alltag gestaltete sie vorwiegend mit Gesundheitspolitik. Sie war fleißig und erließ viele Gesetze. Viele der Untertanen wurden der Flut der Regulierungen, der immer neuen Spargesetze und ihres kritisches Verhältnisses gegenüber Leistungserbringern allerdings derart überdrüssig, dass Ulla – nach achtjähriger Herrschaft – schließlich abgewählt wurde. Überraschenderweise folgte ihr ein kühner junger Ritter namens Philipp mit jungen, engagierten Gefolgsleuten. Das Volk atmete auf. Viele waren bereit, den neuen König zu unterstützen, denn sie wussten sehr wohl, dass er eine schwere Bürde übernahm. Doch als nach 100 Tagen noch immer nichts geschah, und der König auch nicht so recht wusste, was er tun sollte, drohte das Reich ins Chaos zu sinken.
So oder ähnlich könnte man beginnen, wollte man die gegenwärtige Gesundheitspolitik in die Form eines Märchens kleiden. In der Realität ist das, was derzeit in der Gesundheitspolitik passiert, aber alles andere als märchenhaft. Die Folgen einer verunglückten Gesundheitsreform der letzten Regierung greifen, ohne dass auch nur ansatzweise Alternativen in Sicht kommen. Die hoffnungsvollen Aussagen des Koalitionsvertrags werden von CDU und CSU behandelt, als seien sie das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben wurden. Aber auch der Gesundheitsminister scheint nur zaghaft bis halbherzig hinter seinem Programm zu stehen. Wer erwartete, dass er nach 100 Tagen im Amt und Sammeln der eigenen Truppen nun einen klaren Kurs erkennen lässt und mutig sowie selbstbewusst die Agenda setzt, ist inzwischen enttäuscht. Stattdessen verkündet Rösler in zweitklassig besetzten TV-Talkshows, dass er sich auch zurückziehen könne, wenn bestimmte Ziele des Koalitionsvertrags nicht umgesetzt würden.
Aber wird Rösler nicht zu früh als tragische Gestalt abgestempelt, die zwischen den Mühlen eines in vieler Hinsicht festgefahrenen Systems zerrieben wird? Wichtig ist, dass schnell schlüssige Konzepte vorgetragen werden. Auch wenn das große Rad sich nicht so schnell drehen lässt, muss bald bekannt werden, in welche Richtung es gedreht werden wird. Wer die künftige Gesundheitspolitik gestalten will, der muss wissen, dass er sie aus dem Reformregen und den Regulierungs-Gewittern der vergangenen Jahre herausführen muss. Die Branche braucht Zuverlässigkeit, Kalkulierbarkeit und einen Abbau der bürokratischen Mauern, die eine Perspektive auf ein harmonisch funktionierendes System gar nicht mehr zulassen. Die Ungeduld der Akteure des Gesundheitswesens ist berechtigt. Rösler hat deshalb nicht alle Zeit der Welt. Wer aber bereits jetzt die Hoffnung auf das Gelingen einer liberaleren Gesundheitspolitik aufgeben will, muss sich hingegen auch fragen lassen, ob er einen Reformaktionismus vergangener Jahre lieber hätte, der nicht selten sehr fragwürdige Entscheidungen produzierte. Ohne Zweifel: Gesundheitsminister zu sein ist in diesem Spannungsfeld aus Erwartungen und Strategie der wohl undankbarste Politiker-Job im Lande. Und einfacher wird die Arbeit gewiss auch nicht durch die Tatsache, dass Politik keineswegs vorrangig strategischen und langfristig vernünftigen Planungen folgt, sondern häufig eine Frage von Emotionen ist.
Die Probleme des Gesundheitssystems haben dafür gesorgt, dass die neue Mannschaft in BMG sich schneller mit der Frage beschäftigen muss, wie ein Leck zu dichten ist als mit der Konstruktion des neuen Tankers Gesundheitswesen. Bereits hier kommt es also zur Gretchenfrage: Steht Rösler zu seiner Aussage „Bloße Kostendämpfungsgesetze wird es mit mir nicht geben“? Oder wird er notgedrungen in Ulla Schmidts alte Werkzeugkiste greifen und weitere Regulierungsschräubchen einziehen? Gibt es – unabhängig von Regierungskommissionen und Fantasien anderer Koalitionäre – bald eine klare Kursansage? Top oder Flop – kühner Ritter oder Don Quichotte? Die Zeit der Reifeprüfung ist gekommen!
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