Wenn Ärzte irren
Täglich werden in Kliniken und Praxen hierzulande unzählige Patienten auf medizinisch hohem Niveau behandelt. Dabei gehen Patient und Arzt wie selbst - verständlich davon aus, dass die Eingriffe korrekt und nach neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen vorgenommen werden. Ungewollte Behandlungsergebnisse sind in der Medizin selbstredend nicht beabsichtigt – und sind dennoch ein (misslicher) Teil ärztlicher Versorgungswirklichkeit
Einerseits weil Risiken bei einer diagnos - tischen oder therapeutischen Intervention nicht ausgeschlossen werden können und andererseits weil auch Mediziner und nichtärztliches Personal in Krankenhäusern, Praxen und Heimen nur Menschen sind, die Fehler machen, kann man Komplikationen und unerwünschte Ereignisse nicht zu hundert Prozent ausschließen – dies betrifft sowohl das Tun als auch das Unterlassen medizinischen Handelns. Mittlerweile gehen seriöse Studien davon aus, dass die Zahl der Todesfälle, die auf Behandlungsfehler zurückgehen, dreimal so hoch ist wie die aktuelle Zahl der Verkehrstoten (Näheres siehe Infokasten „Zahlen und Daten“). Nicht zuletzt ist auch das korrekte Mitwirken des Patienten, das heißt seine Compliance von hoher Bedeutung für den Behandlungs - erfolg oder das Auftreten unerwünschter Ereignisse. Somit besteht auch eine Mitwirkungspflicht des Patienten. Doch nicht immer sind es menschliche Unzulänglichkeiten und Irrtümer, die zu Malaisen führen und sowohl Patient als auch Arzt bisweilen verstört zurücklassen. Fragt man nach den Ursachen von Behandlungsfehlern, muss man sich die Strukturen des Medizineralltags mit seinen hochkomplexen und ineinander verschachtelten Arbeitsabläufen vor Augen führen. Viel öfter als gemeinhin angenommen, liegt ein unerwünschtes Ereignis in äußeren prozessbedingten Faktoren begründet, inklu - sive des immensen Zeitdrucks, dem gerade Krankenhausmediziner ausgesetzt sind.
„80 Prozent der Fälle gehen auf eine Fehlerkette zurück und nicht auf die Fehlleistung eines Einzelnen“, sagt Dr. Günter Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer. So kommen Kommunikationsmängel zwischen Behandlern und Patienten, Unklarheiten über Verantwortlichkeiten, Verwechslungsmöglichkeiten von Medikamenten ebenso in Frage wie eindeutig handwerkliche Fehler von Ärzten.
Gemäß dem Sprichwort „Der Ton macht die Musik“ ist auch die Bezeichnung eines Vorfalls kennzeichnend für die Perspektive und das vorhandene oder fehlende Verständnis des Problems: Handelt es sich um einen Kunstfehler, einen Behandlungsfehler oder um ein unerwünschtes Ereignis?
Für das populäre Internetlexikon etwa ist der Begriff Kunstfehler ein „Euphemismus, der den Umstand aufgreift, dass die ärztliche Behandlung nach den Regeln der Kunst erfolgen muss“. Neutraler sei dagegen der Ausdruck Behandlungsfehler. „Dieser Ausdruck allerdings ist beschränkt in seiner Sichtweise, weil er ausschließlich ein persönliches Verschulden suggeriert, was häufig nicht zutrifft“, sagt Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK).
Patientensicherheit und Fehlermanagement
Die Anwendung des Begriffs komme oft einer Vorverurteilung gleich, was davon ablenke, dass nach den Ursachen von Fehlern geforscht wird. Doch genau darum geht es. „Wir müssen dazu kommen, zu fragen, was war schuld und nicht wer ist schuld“, so Jonitz auf einer Veranstaltung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter von BZÄK und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) im Herbst letzten Jahres. Hierzu müsse man das Thema enttabuisieren und versachlichen.
Schon seit geraumer Zeit beschäftigen sich daher Wissenschaft, Forschung und Ärzteschaft mit diesem sensiblen und emotional besetzen Bereich differenzierter, im Rahmen der Ursachenforschung wird er den Gebieten „Patientensicherheit“ und
„Fehlermanagement“ zugesprochen. Beim „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ etwa wird Patientensicherheit als „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“ definiert. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss von aktuell rund 270 Akteuren aus dem gesamten Gesundheitsbereich – darunter auch die Bundeszahnärztekammer –, das sich dem Fehlermanagement in der Medizin verschrieben hat. Patientensicherheit ist demnach das „Produkt aller Maßnahmen in Klinik, Arztpraxis und anderen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, die darauf gerichtet sind, Patienten vor vermeidbaren Schäden in Zusammenhang mit der Heilbehandlung zu bewahren. Die Patientensicherheit ist ein Bestandteil der Qualitätssicherung in der Medizin“. Gehen ungewollte Behandlungsergebnisse auf Fehler zurück, so werden sie als vermeidbare unerwünschte Ereignisse bezeichnet. „Fehler sind deshalb ein wichtiger Hebel, die Patientensicherheit nachhaltig zu verbessern.“ (Näheres siehe Kasten „Schlüsselbegriffe“)
Auch das Gutachten des Sachverständigenrats im Jahr 2007, in dem die Problematik des medizinischen Fehlermanagements aufgegriffen wurde, übernimmt den Begriff des unerwünschten Ereignisses. In der gegenwärtigen Diskussion und wissenschaftlichen Auseinandersetzung hat sich damit der Begriff als der gemeinsame Nenner herausgestellt, mit dem man sachlich und seriös operieren kann.
Vertrauensverlust durch unerwünschte Ereignisse
Doch gleich ob der boulevardeske skandalträchtige Ärztepfusch, der populäre Kunst- oder Behandlungsfehler oder die unerwünschten Ereignisse – fest steht, dass derartige Vorkommnisse das Vertrauen der Bevölkerung in die Medizin, von der sich jeder einzelne Patient Großes verspricht, immens stören. Dieses Vertrauen gilt es zurückzugewinnen. Dass Behandlungsfehler lange Zeit tabuisiert wurden, weil kein Arzt traute, sich öffentlich zu bekennen, trug nicht dazu bei, bei Patienten und Ärzten ein Klima des Verständnisses füreinander zu entwickeln. Im Gegenteil: Nicht selten treffen sich Patienten und Mediziner als Gegner vor Gericht wieder. Um all dem zuvorzukommen, empfehlen etwa die beiden Autorinnen Barbara Hoffmann und Julia Rohe in einem Beitrag für das Deutsche Ärzteblatt im Februar dieses Jahres zum Stichwort Patientensicherheit, dass sich zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen die „Sicherheitskultur zu einem berichtenden, lernenden, fairen Umgang in Praxen und Kliniken ändern“ müsse.
Offene und faire Diskussionskultur
Auch Ärzte wie Dr. Günter Jonitz fordern schon seit Langem eine öffentliche Diskussion, bei der der Arzt nicht länger als Täter gebrandmarkt wird. Er stellt sich damit in eine Reihe von Medizinern und Wissenschaftlern, die eine Streit- und Diskussionskultur einfordern, in der es möglich ist, sowohl intern, also in der Medizin selbst, als auch öffentlich über unerwünschte Ereignisse zu reden, ohne dass Ärzte an den Pranger gestellt werden. Dazu gehört, dass Ereignisse nicht nur gemeldet, sondern dann auch einer Analyse unterzogen werden, um eine Wiederholung zu vermeiden.
Jonitz zählt zu den Mitgründern des „Aktionsbündnisses Patientensicherheit“ und ist dessen Vorsitzender. Das Bündnis wurde im April 2005 als gemeinnütziger Verein gegründet. Es setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden. Vertreter aus allen Bereichen des Gesundheitswesens – einschließlich Ärzteschaft, Krankenkassen, Fachgesellschaften, Haftpflichtversicherer, Patientenverbände und Berufsverbände – kooperieren, um zur Verbesserung der Patientensicherheit beizutragen. So startete das Bündnis etwa die Aktion „Saubere Hände“, mit der die Händehygiene im Krankenhaus gefördert werden soll. Hintergrund sind Schätzungen, wonach etwa drei Millionen Menschen europaweit jedes Jahr an Erregern erkranken, die bei einem Krankenhausaufenthalt verursacht wurden.
Jonitz war auch Initiator einer Aktion, die 2008 großes Aufsehen erregte. 17 Angehörige von medizinischen Berufen schilderten in der Broschüre „Aus Fehlern lernen“, welche unerwünschten Ereignisse ihnen unterlaufen sind. Die Veröffentlichung kam einem Tabubruch gleich: Ärzte, Pfleger, Operateure, Anästhesisten und andere Heilberufler bekannten sich öffentlich zu Fehlern, die sie in ihrer Arbeit zu verantworten hatten. Mit dem öffentlichen Bekenntnis war der Bann gebrochen und es wurde (einmal mehr) deutlich, dass auch Angehörige von medizinischen Berufen Menschen sind, die Fehler machen. Indem sich die „Sünder“ öffentlich bekannten, führten sie das Thema aus einer jahrzehntelangen Verschwiegenheit heraus und gaben einen wesentlichen Impuls dazu, eine transparente und fair geführte gesellschaftliche Diskussion darüber zu etablieren, wie Ärzte und Patienten mit unerwünschten Ereignissen und Behandlungsfehlern umgehen können.
Ohnehin ist schon seit Längerem eine Änderung im Selbstverständnis von Ärzten in großen Teilen des Berufsstandes erkennbar. Nicht nur, dass sich Schlichtungsstellen der Heilberufskammern immer transparenter zeigen und ihre Daten der Öffentlichkeit präsentieren (siehe Infokasten „Zahlen und Daten“). Aus Eigenantrieb kümmern sich inzwischen viele Mediziner in Internet- Fehlerberichtssystemen intern und selbst um das Problem. Das belegt etwa die seit 2005 existierende Initiative „Jeder Fehler zählt“. In diesem Lernsystem für Hausärzte berichten branchenintern und anonym über das Internet Mediziner und Helferinnen über kritische Situationen.
Fehlerprävention auch bei Zahnärzten wichtig
Auch Zahnmediziner müssen sich bisweilen wegen Anschuldigungen, Patienten falsch behandelt zu haben, verantworten. Die körperschaftlichen Berufsverbände Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) haben die Dringlichkeit des Themas erkannt. So ist etwa die BZÄK dabei, valides Datenmaterial über die Tätigkeiten der Patientenberatungs- , Gutachter- und Schlichtungsstellen zu sammeln und aufzubereiten, sagt der Vizepräsident der BZÄK, Dr. Dietmar Oesterreich. „Zwar geht es dabei oftmals nicht spektakulär um Leben und Tod, aber ein Null-Risiko bei der Gesundheitsversorgung ist nun mal per se nicht möglich. Von der Befunderhebung, der Diagnosestellung, dem Qualitätsmanagement, der Hygienekette bis hin zur Patientenkommunikation und Aufklärung – der Prävention von Fehlern kommt eine große Bedeutung zu.“ Dennoch warnt er vor Hysterie. Man müsse unerwünschte Ereignisse immer in Relation zur Anzahl der gesamten Behandlungen setzen. „Obwohl jedes einzelne natürlich zu viel ist, spielt sich das von der Anzahl her im Promillebereich ab und ist sehr gering.“
Berufsstand gut aufgestellt
Dabei braucht sich die Zahnärzteschaft als Berufsstand mit den bereits unternommenen qualitätsfördernden Maßnahmen, die die Patientensicherheit weiter erhöhen, nicht zu verstecken: die Herausgabe wissenschaftlich fundierter Behandlungsleitlinien, die Einrichtung von Patientenberatungsstellen, die Sicherung eines funktionierenden Gutachter- und Schlichtungswesen, die Errichtung eines Qualitätsmanagements oder die Erstellung von wissenschaftlich abgesicherten Patienteninformationen sind nur einige institutionell errichtete Sicherheitsvorkehrungen, die in den Praxen vor Ort deren Sicherheitskultur untermauern. Da dies Thema immer stärker an Bedeutung gewinnt, ist auch die BZÄK im vergangenen Jahr dem „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ beigetreten. Damit soll nicht zuletzt dokumentiert werden, dass der Berufsstand seinen Beitrag leisten will. „Dies allerdings bei der Teilnahme unter den Prämissen: freiwillig, anonym und nicht justiziabel“, so Oesterreich.
Um dies zu unterstreichen, startet im Herbst 2010 ein Probebetrieb zu einem eigenständischen zahnärztlichen Fehlerberichtssystem auf Internetbasis, berichtet Barbara Bergmann-Krauss, Leiterin der Zahnärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (ZZQ) im Institut der Deutschen Zahnärzte. Analog zum System der Allgemeinärzte können dann Zahnmediziner unter dem Titel „Jeder Zahn zählt“ anonym Erfahrungen mit misslichen Situationen im Praxisalltag austauschen. „Zahnärzte müssen lernen, Behandlungsfehler nicht unter Verschluss zu halten, sondern mittels offener Diskussion untereinander dazu verhelfen, sie aufzuklären“, so Bergmann-Krauss. Es müsse ein Run einsetzen auf die Frage „Wo entstehen die Fehler?“. Auch der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, sieht in einem internen Berichtssystem eine Chance für das Fehlermanagement der Zahnärzteschaft: „Das Projekt „Jeder Zahn zählt“ gibt uns die Möglichkeit, einen Umgang mit unnötigen und unerwünschten Ereignissen, ja, auch mit Fehlern zu erreichen, der frei ist von kontraproduktiven Verdächtigungen und Vor-Verurteilungen. Dieses Projekt ist ein System von Zahnärzten für Zahnärzte.“
Patientenrechtegesetz
Von der Politik wurde die Problematik ebenfalls aufgegriffen. Auf einem Fachtag der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) Anfang März dieses Jahres kündigte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, an, dass 2011 ein Patientenrechtegesetz in Kraft treten solle. Angesichts von langwierigen juristischen Auseinandersetzungen sprach sich Zöller dafür aus, Geschädigten und Ärzten baldmöglichst klarere Rahmenbedingungen zu verschaffen. Zöller: „Patienten haben ein Recht darauf, dass Behandlungsfehlervorwürfe in einem transparenten und zügigen Verfahren geklärt werden“, sagte er bei der Veranstaltung. Auch Zöller mahnte an, „dass wir verstärkt aus Fehlern und Beinahe-Fehlern lernen müssen. Wir müssen eine Grundlage dafür schaffen, dass diese Fehler systematisch erfasst und ausgewertet werden können.“
Öffentliches Melderegister für Ärztefehler
Im Rahmen des Patientenrechtegesetzes möchte Zöller auch ein bundesweites öffentlich zugängliches Melderegister für ärztliche Behandlungsfehler installieren. Die Daten sollten zunächst anonym dokumentiert und veröffentlicht werden. „Registrieren heißt lernen”, sagte der CSU-Politiker. Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, sprach sich indes gegen ein derartiges „Zwangsregister“ aus. Auch die BZÄK hält wenig von Zöllers Vorstoß. „Wichtig ist, dass auch im zahnärztlichen Bereich eine Fehlerkultur herrscht, die keinem Zwang und keinen Sanktionen von außen unterliegt, sondern in Eigenregie und auf freiwilliger Basis, frei vom Zugriff Dritter, frei von Haftungsdiskussionen und anonym erfolgt“, so Dr. Oesterreich.
Patienten-Anlaufstellen
Patienten, die der Ansicht sind, eine medizinische Behandlung sei nicht korrekt erfolgt, haben derweil einige Anlaufstellen, an die sie sich richten können. Neben der Möglichkeit, sich an ihre Krankenkassen zu wenden, können sie privat ein medizinisches Gutachten erstellen lassen oder eine der vielen Patientenhilfsorganisationen aufsuchen. Darüber hinaus können sich seit 1975 Patienten bei Beschwerden über eine erfolgte Behandlung auch kostenfrei an Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen bei den Landesärzte- und Landeszahnärztekammern wenden. Die Schlichtungsstellen der Heilberufskammern basieren auf gesetzlicher Grundlage der Heilberufsgesetzgebung der Länder und auf durch die zuständigen Aufsichtsbehörden genehmigten Schlichtungsordnungen. Sie bieten ganz bewusst Patienten die Möglichkeit, unkompliziert und kurzfristig zu ihrem Recht zu kommen. Der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle norddeutscher Ärztekammern, Rechtsanwalt Johann Neu, sieht seine Aufgabe darin, „eine individuelle Konfliktlösung zwischen Patient und Arzt herbeizuführen und damit generell eine Klima-Verbesserung zwischen den Patienten und der Ärzteschaft zu bewirken.“ Wohl stellvertretend für die körperschaftlichen Bemühungen ist dies für Neu eine Behandlungsfehlerprophylaxe im Dienst der Patientensicherheit.
Doch Beratungsstellen wie UPD und Patientenschutzorganisationen wie die Verbraucherzentralen berichten immer wieder, gerade den Einrichtungen der Berufsverbände werde oftmals misstraut, weil Patienten an deren Unabhängigkeit zweifeln. Häufig gingen Patienten davon aus, dass sich Ärzte untereinander nicht schaden wollen, frei nach dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“, so Anne-Dorothee Speck, von der UPD-Beratungsstelle Hamburg. Dabei geht es vielen Patienten gar nicht um hohe Schmerzensgelder oder um eine drastische Bestrafung des Arztes. „Die meisten meiner Mandanten haben kein Interesse an langwierigen Gerichtsverfahren“, sagt Dr. Ruth Schultze-Zeu, Fachanwältin für Medizinrecht in Berlin. Anne-Dorothee Speck ergänzt: Was in vielen Behandlungsfehler-Beratungen auffalle, sei, dass Betroffene den Eindruck haben, sie werden in ihrer Not nicht gesehen und man schenke ihnen kein Gehör. „Eine Entschuldigung des Verursachers bringt einem geschädigten Patienten oft die persönliche Genugtuung, nach der er sucht“, so Speck.
Haftungsrecht versus Offenheit
Gerade dies jedoch ist der Knackpunkt: Wenn sich Ärzte nur ungern oder gar nicht für möglicherweise entstandene Fehl-Behandlungen entschuldigen, dann nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil sie haftungsrechtliche Konsequenzen befürchten (müssen). Während das Bekunden eines Bedauerns gegenüber dem Patienten nicht justiziabel ist, kann eine klar formulierte Entschuldigung bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung als Schuldeingeständnis gewertet werden. Grund: Juristisch betrachtet wird angenommen, dass der, der sich entschuldigt, auch schuldhaft einen Fehler begangen hat. Somit wird eine förmliche Entschuldigung mit einem tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Verhalten in Verbindung gebracht.
Auch in versicherungsvertraglicher Hinsicht gibt es Hürden: Prinzipiell wollen es sich die Versicherer vorbehalten, darüber zu befinden, ob ein Anspruch eines Dritten begründet ist oder abgewehrt werden muss. Daher wird auch in dem Ratgeber „Recht in der Praxis“ empfohlen, im Gespräch mit Patienten, die sich falsch behandelt fühlen, niemals eine Schuld einzugestehen. Mediziner, die dies tun, laufen Gefahr, dass sie damit die Ansprüche bei ihrer Versicherung gefährden. Davor schützt auch nicht, dass 2008 das Versicherungsvertragsgesetz verändert wurde. Um auf der sicheren Seite zu sein, warnt der Ratgeber daher davor, voreilig Ansprüche nach Schadensereignissen anzuerkennen.
Ärzte sind vielfach in der Zwickmühle
Es bleibt: Ärzte sind in der Zwickmühle. Begehen sie Fehler und stehen dazu, müssen sie nicht nur damit rechnen, kein Verständnis zu finden, und gebrandmarkt zu werden. Darüber hinaus laufen sie Gefahr, sich in gesetzliche Auseinandersetzungen zu begeben und schlimmstenfalls juristisch belangt zu werden. Dass Ärzte unerwünschte Ereignisse und Fehler verschweigen, hat auch damit zu tun, dass es sie ihre Existenz kosten kann. Und so steht Ethos gegen Rechtsprinzip und Bestrafung, wird Offenheit durch juristische Fesseln verhindert. Deswegen kann sich ein Arzt selten ‚richtig‘ verhalten.
Gerade aus diesem Grund ist es für Barbara Bergmann-Krauss von der ZZQ so wichtig, dass Fehlermeldungssysteme berufsintern und anonym organisiert werden. „Diese Berichtssysteme müssen anonym sein, weil Ärzte sonst wieder geradewegs in das Dilemma von juristischen Auseinandersetzungen kämen. Keiner berichtet mehr was, wenn er Gefahr läuft, dafür belangt zu werden. Dies kann nur im geschützten Raum geschehen.“
Das sieht auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit so: „Mitarbeiter im Gesundheitswesen können nur dann einen konstruktiven Umgang mit Fehlern üben, wenn sie ausdrücklich dazu ermutigt werden. Das ist Voraussetzung, damit sie eine Einstellung entwickeln, die durch Offenheit geprägt und frei von Angst ist. In diese Sicherheitskultur müssen sie vertrauen und sich auf sie verlassen können.“