Kunst als Befundobjekt
Zwanzig Radiografien von Skulpturen unterschiedlichster Materialien wie Marmor, Bronze oder Holz „intervenieren“ derzeit in die Dauerausstellung des BMM. Allesamt Leihgaben aus der Skulpturensammlung Staatliche Museen zu Berlin, aus dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles und Malibu, aus dem Museum of Fine Arts in Boston und aus dem Strauss Center for Conservation & Technical Studies der Harvard Art Museums, Cambridge.
Unsichtbare Details sichtbar machen
Seit nunmehr einem Jahrhundert (1910) werden aus kunsthistorischem Forschungsinteresse Skulpturen geröntgt. Ziel ist, ihren Aufbau zu untersuchen. So wird beispielsweise geprüft, ob Risse das Kunstwerk gefährden könnten, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Zudem zeigt ein Röntgenbild, welche Materialien verwendet und ob Restaurierungen vorgenommen wurden. Oder auch, wie viel originale Substanz noch enthalten ist.
„Für eine Befundung muss man immer beides haben, das Original und das Röntgen“, erklärte die Kuratorin Dr. Uta Kornmeier zur Eröffnung der Ausstellung in den Hallen des BMM. Kornmeier ist Forschungsassistentin der Direktion am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin. Neben den genannten Aspekten zeige das Röntgenbild aber vor allem, wie ein Werk hergestellt wurde. Denn: Selbst wenn ein Künstler die Außenseite perfekt gestaltet hat, bleiben unter der Oberfläche die Spuren seiner Arbeit erhalten. Diese Spuren zeichnen sich im Röntgenbild als Strahlenschatten ab. Diese zu deuten erfordert viel Erfahrung mit den bildgebenden Verfahren der Radiologie. Und ein immenses Wissen über die technischen Möglichkeiten, über die Fähigkeiten sowie über die persönlichen Vorlieben eines Künstlers.
Als ästhetisches Objekt habe das Röntgenbild seinen ganz eigenen Reiz, der seine Wirkung auch mal im Gegensatz zur Ästhetik des eigentlichen Kunstwerks entfalten kann. Das Röntgenbild sei ein „Zwillingsbild“ zum eigentlichen Kunstwerk, meint Kornmeier. Wenn auch eher ein zweieiiger Zwilling, weil „ähnlich, aber doch eigenständig und individuell“.
Ästhetik der Radiografien eine Bühne geben
Die Macher wollen mit der Schau auch die ästhetische Dimension der Röntgenbilder aufzeigen: Je nach Empfinden strahlen die Skulpturen in vielen Facetten zwischen Mystik, surrealer Anmut und überraschender Ausdrucksfähigkeit.
Kornmeier: „Alle Bilder sind analog, sprich 1:1. Dagegen ist die Größe bei heute üblichen digitalen Röntgenbildern veränderbar.“ Die Schau beleuchtet einzelne Aspekte, die für das Röntgen von Skulpturen und von anderen Kunstwerken relevant sind:
Strahlungsstärke
Röntgenbilder können je nach Intensität und Dauer die bestrahlte Materie mehr oder weniger durchdringen. „Harte“, energiereiche Strahlung dringt tiefer in das Objekt ein. Dagegen erzeugt „weiche“ Strahlung feinerere Schattierungen. So gibt es nie ein Original, das alles zeigt. Bei höherer Strahlungsintensität sind etwa nur noch Metalldrähte (wie beim David) gut erkennbar.
Materialdichte
Röntgenbilder sind Schattenbilder. Materie blockiert die Strahlen auf ihrem Weg zum Film und produziert entsprechend der Anordnung der Atome sehr feine Grauabstufungen. Weniger dichte Materialien wie Holz erzeugen ergo dunklere Bilder. Marmor ist für Röntgenuntersuchungen am wenigsten geeignet, da die Kristalle die Strahlung streuen. Dagegen sind Risse oder Einschlüsse aus Metall deutlich auszumachen.
Innenräume
Der Blick in das Innere einer Skulptur macht Stütz- und Verbindungskonstruktionen, Hohlräume und Einschlüsse sichtbar.
Ligaturen
Skulpturen bestehen oft aus mehreren Stücken. Zum Teil wurden sie beschädigt oder aus verschiedenen Stücken gefertigt. So weisen Bronzefiguren oft Verbindungsfugen an den Gliedmaßen auf. Via Röntgen können Reparatur oder Herstellung datiert werden.
Stützapparate
Bildwerke werden etwa mit dem abgetragenen Material aus einem großen Block geschaffen (Marmor) oder durch Hinzufügen von Werkstoffen wie Ton oder Wachs aufgebaut. Hier benutzen Künstler eine Art Skelett, auf das sie das Material aufmodellieren. Diesen inneren Stützapparat (Armatur) sieht man im Röntgen deutlich. Die Gestaltung erlaubt Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Künstlers.
Sichtachsen
Weil das Röntgen ein zweidimensionales, überlagertes Bild erzeugt, ist die Interpretation erschwert. Ursächlich hierfür ist der Fakt, dass die Röntgenstrahlen durch das Objekt hindurchgehen, bevor sie registriert werden. Dadurch entsteht ein Überlagerungsbild aller in einer Achse liegenden Elemente. sf