Podcasts, Games und E-Klausuren
Einen Kugelschreiber müssen die Medizinstudenten in Greifswald nicht mehr zu jeder schriftlichen Prüfung mitbringen. Seit 2009 laufen die Multiple-Choice-Klausuren an der Fakultät webbasiert an Laptops, ganz ohne Papier. Dank der Prüfungssoftware spart sich die Uni nicht nur zeitaufwendiges Kopieren, auch die Ergebnisse stehen bei einer E-Klausur schon wenig später mittels automatischer Auswertung fest. Lange Wartezeiten auf Zensuren sind damit passé. Schummeln übrigens auch: Die Softwares geben die Fragen in unterschiedlicher Reihenfolge aus – sich an den Antworten des Nachbarn zu orientieren, bringt nichts mehr. Neben dem Zeitgewinn und der Spicksperre bieten elektronische Klausuren die Möglichkeit, Prüfungen innovativer zu gestalten. Multimediale Inhalte wie Grafiken oder Videosequenzen können optimal eingebunden werden.
Auch die gute alte Vorlesung hat im Zuge der medialen Revolution einen neuen Anstrich bekommen: Sie ist mobil geworden. Immer mehr Hochschulen stellen Podcasts – das sind Video- oder Audioaufzeichnungen der Vorlesungen – als E-Lecture ins Netz. Zur Vorbereitung auf Prüfungen oder zur besseren Nachbearbeitung können Studierende jederzeit auf dieses Angebot zugreifen. Manche Professoren richten sogar seminarbegleitende Websites ein, auf denen sie Materialien wie Powerpoint-Präsentationen oder weiterführende Links zusammenstellen. Der Markt für Web 2.0-Anwendungen im Bildungssektor ist in Bewegung. So gibt es schon jetzt Trends, die die gerade errungenen Innovationen stark verstaubt aussehen lassen.
Methoden von übermorgen
Im Aufwind, aber noch nicht weit verbreitet, ist das sogenannte gamebasierte Lernen. Diese Lehrmethode arbeitet mit Massively Multiplayer Online Games (MMOG), wie zum Beispiel dem Onlinespiel „World Without Oil“. Die Teilnehmer müssen gemeinsam Ideen entwickeln, um die ersten 32 Wochen nach einer globalen Ölkrise zu überbrücken – frei nach dem Motto: Not macht erfinderisch. Studenten der Geologie, der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch Mediziner können in dieser Simulation ihr Wissen anwenden. In der Gruppe müssen sie kooperative Lösungen finden, aber auch Führungsverantwortung übernehmen. Experten sehen darin eine gute Vorbereitung auf das Berufsleben.
„Befürworter des gamebasierten Lernens unterstreichen die produktive Rolle des Spielens, bei dem das Experimentieren, das Ausprobieren von Identitäten und sogar das Scheitern möglich ist. Spielen trägt auch zur Entwicklung einer speziellen Disposition bei, die gut zu einer informationsbasierten Kultur und schnellem Wandel passt“, heißt es in der US-Publikation „Horizon Report 2011“ (siehe Kasten). Seit 2002 identifiziert und beschreibt der jährliche Innovationsbericht Technologien, die voraussichtlich innerhalb der kommenden fünf Jahre großen Einfluss gewinnen werden. Die aktuelle Ausgabe fokussiert sich auf die Bereiche Lehre, Lernen und kreative Forschung.
Mit neuen Möglichkeiten auf diesem Gebiet befasst sich auch das Multimedia Kontor Hamburg (MMKH), das eng mit den Hamburger Hochschulen zusammenarbeitet. Geschäftsführer Marc Göcks misst neben dem gamebasierten auch dem gestenbasierten Lernen eine große Bedeutung für die mittelfristige Zukunft zu. „Damit lassen sich beispielsweise in der Medizin Operationssituationen sehr gut simulieren“, erklärt er. Etwa, indem Studenten mithilfe eines Sensorhandschuhs in einer virtuellen Umgebung chirurgische Handgriffe üben. Dafür gibt es zwar schon jetzt Trainingssoftwares, dort werden die Schnitte aber mit einer Computermaus am Bildschirm ausgeführt. Das Tragen des Handschuhs macht die Erfahrung viel unmittelbarer. Studierende erleben so hautnah, wie es sich anfühlt, wenn sie einen Schnitt mit dem Skalpell zu tief oder zu flach ansetzen.
In der immer stärkeren Verbreitung mobiler Endgeräte wie Tabletcomputern oder Smartphones sieht Göcks einen weiteren Faktor, der die Hochschullandschaft verändern wird. Speziell für den Bildungsbereich entwickelte Applikationen (Apps) könnten viele Möglichkeiten bieten, die Interaktion zwischen Studierenden und Lehrenden zu intensivieren. So könnte eine Professorin für Marketing während ihrer Vorlesung eine Meinungsumfrage starten und die Ergebnisse mithilfe einer Software, die die Studierenden sich auf ihre mobilen Geräte laden, sammeln und sofort auswerten.
Von einer flächendeckenden Verbreitung sind experimentelle Web-2.0-Anwendungen wie diese noch einige Jahre entfernt. Auch wenn sie vielversprechend klingen: Ob es sich lohnt, diesen Trend weiterzuverfolgen, sollte man genau beobachten. Das betont auch Göcks: „Es stellt sich natürlich immer die Frage, ob eine bestimmte Web-2.0-Anwendung einen wirklichen Mehrwert bringt. Es muss erprobt und unter didaktischen Aspekten evaluiert werden, ob sie einen zusätzlichen Lernerfolg erzielt.“
Uni profitiert von Web 2.0
Die Möglichkeiten des Web 2.0 sollten Fachhochschulen und Universitäten im Auge behalten, empfiehlt er: „Hochschulen können das Thema nicht mehr ignorieren. Im Gegenteil: Viele Unis und Fachhochschulen, die sich hier schon stark positioniert haben, werden auch interessanter für Studenten.“ E-Learning wird von vielen Studenten genutzt – aber die Angebote erfreuen sich unterschiedlicher Beliebtheit.
Ein Viertel der Studentenschaft stuft E-Portfolios (Lerntagebücher, in denen Studierende ihre Kompetenzen darstellen und sich vernetzen können), computergestützte Prüfungen und Onlineveranstaltungen, die die Präsenzlehre ersetzen, als besonders nutzbringend ein. Zu diesem Ergebnis kommt die HISBUS-Untersuchung: „Studieren im Web 2.0 – Studienbezogene Webund E-Learning-Dienste“ (siehe Kasten). Podcasts von Veranstaltungen, ergänzt mit Folien und anderen Materialien, fanden knapp 60 Prozent der Befragten „sehr nützlich“ bis „nützlich“. Blogs stehen im Ansehen der Studierenden laut HISBUS am schlechtesten da. Nur 17 Prozent empfinden sie als gewinnbringend.
Susanne TheisenFreie Journalistin in KölnSusanneTheisen@gmx.net