Die Kosten der Eurokrise

Wer am Ende zahlt

Die Rettung des Euro entwickelt sich zu einer Sisyphus-Aufgabe. Seit Monaten kämpfen die Regierungen der Euroländer um ihre schwachen Mitglieder. Doch die Ereignisse überschlagen sich, die Schulden wachsen immer schneller und die internationalen Gläubiger halten sich mit Stützungsmaßnahmen zurück. Wohin das führen wird, weiß noch niemand. Doch am Ende muss irgendwer die Schuldenberge abtragen.

Seit Mitte November gibt es in Griechenland eine neue Regierung unter dem ehemaligen EZB-Vizepräsidenten Lucas Papademos. Ihm traut man die Durchsetzung des Reformkurses zu. In Italien hat Silvio Berlusconi nach 17 Jahren Misswirtschaft endlich aufgegeben und der ehemalige EUKommissar Mario Monti soll die Geschäfte mit Sachverstand regeln. Doch die Zeit wird knapp. Die Renditen für zehnjährige italienische Anleihen waren inzwischen auf 7,5 Prozent gestiegen. Bei dieser Marke schlüpften Griechenland, Portugal und Irland unter den Rettungsschirm.

Gefahren lauern auch noch woanders. EUFinanzkommissar Olli Rehn drohte Belgien, Malta, Polen, Ungarn und Zypern mit Sanktionsverfahren, weil sie ihre hohe Staatsverschuldung nicht zügig genug abbauen. Die Wirtschaftsaussichten für die Euro-Länder trüben sich ein. Und zu allem Überfluss schickt die Ratingagentur Standard & Poor’s „aus Versehen“ eine Mail an ihre Abonnenten, dass sich Frankreichs Topnote AAA um ein A verschlechtert habe. Nach zwei Stunden war die Meldung gelöscht, der Zweifel aber blieb.

Im Zuge der Krise Italiens wackelt vielleicht auch die Topnote Österreichs. Dabei war die höchste Bonität dieser Länder Voraussetzung für den letzten Rettungsplan, der Ende Oktober beschlossen wurde. Alles schien in Butter. Die Ergebnisse konnten auch die sogenannten Märkte überzeugen. Der Dax stieg und die Zinsen für die Anleihen der Schuldnerländer gaben nach. Und das war der Plan: Schuldenschnitt für Griechenland. Die privaten Gläubiger verzichten in Form einer Umschuldung freiwillig auf 50 Prozent ihrer Forderungen. Dazu tauschen sie im Januar alte gegen neue Anleihen und erlassen den Griechen insgesamt 100 Milliarden Euro. Die Staaten der Eurozone sichern den Tausch mit 30 Milliarden ab. Einen Teil dieser Summe sollen die Griechen aus Privatisierungen beisteuern. Wie viel, ist bislang unklar. Wie viel die Geberländer zahlen müssen, bleibt ebenfalls vorerst im Dunklen. Bisher handelt es sich nur um Garantien.

Die vorhandenen Mittel des Rettungsschirms in Höhe von 440 Milliarden Euro, für die die 17 Euro-Staaten mit Garantien bürgen, sollen nicht erhöht werden. Von dieser Summe sind bislang für Portugal 26 Milliarden und 22,5 Milliarden Euro für Irland reserviert. Zusätzlich wird Geld für das zweite Rettungspaket für Griechenland benötigt. 250 bis 275 Milliarden bleiben übrig. Mithilfe eines Hebels sollen eine Billion Euro daraus gezaubert werden. Dabei übernimmt der Rettungsschirm eine Art Versicherungsfunktion. Sie tritt dann in Kraft, wenn ein Gläubiger wie zum Beispiel China Euro-Staatsanleihen kauft. Kann das emittierende Land am Ende der Laufzeit seine Schulden nicht zurückzahlen, springt der EFSF ein und zahlt einen Teil der Summe – etwa 25 bis 30 Prozent – zurück.

Finanzminister unter Druck

Für Finanzminister Schäuble geht diese Rechnung wunderbar auf. Für ihn bleibt es dabei: Deutschland steht weiterhin „nur“ für 211 Milliarden Euro gerade. Allerdings vergisst er den Hinweis, dass – sollte der Plan nicht funktionieren – viel mehr Geld fließt und die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland und die übrigen Länder ihre Garantien einlösen müssen, steigt. 2013 wird der Rettungsschirm EFSF vom dauerhaft geltenden Krisenmechanismus ESM abgelöst. In ihn zahlen die Staaten Bargeld ein. Deutschland überweist 22 Milliarden Euro in fünf Jahresraten à 4,3 Milliarden Euro. Dieses Geld wird von Bundeshaushalt abgezweigt.

Auch die Banken sind gefordert. Sie sollen bis zum 30. Juni 2012 ihr Kernkapital auf neun Prozent der Bilanzsumme aufstocken. Derzeit liegt die Grenze bei vier Prozent. Betroffen sind die sogenannten systemrelevanten Banken. Das sind in Deutschland die Deutsche Bank und die Commerzbank, die gerade einen Verlust bei griechischen Anleihen in Höhe von 687 Millionen Euro abschreiben musste. Europaweit sind 91 Institute betroffen. Zusammen haben sie einen zusätzlichen Kapitalbedarf von 106 Milliarden Euro. Schaffen sie es nicht, sich das Geld selbst zu besorgen, sollen die jeweiligen Regierungen einspringen. In Deutschland träte der Rettungsschirm für Banken, Soffin, wieder in Aktion.

Ob diese Beschlüsse das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind, darf bezweifelt werden. Die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit verschärfen die Unruhe. Denn die Unsicherheiten sorgen dafür, dass sich die für den Hebel dringend gesuchten Investoren zurückhalten. China, Russland und Brasilien verlangen mehr Sicherheiten. So soll der IWF Garantien geben. Doch Direktorin Christine Lagarde weigert sich bislang. Die Folge: Dem mit AAA bewerteten ESFS droht der Verlust der Höchstnote.

In Brüssel schielt man deshalb nach den Schatzkammern der Euroländer. Gemeint sind vor allem die Sonderziehungsrechte (SZR). Dabei handelt es sich um eine Kunstwährung des Internationalen Währungsfonds. Sie repräsentieren die Ansprüche der Mitgliedstaaten an den Fonds und sind bares Geld wert. Deutschland hält insgesamt 181,4 Milliarden an Währungsreserven, davon knapp 132 Milliarden Euro in Gold. In den meisten Fällen liegen die SZR bei den Staaten selbst, in Deutschland bei der Bundesbank.

Die EZB würde die SZR gern übernehmen und damit auch die Stimme des jeweiligen Landes beim IWF. In Euro gerechnet sollen so 50 bis 60 Milliarden zusammenkommen, davon etwa 15 Milliarden aus Deutschland. Dieses Geld soll in eine Zweckgesellschaft des ESFS eingebracht werden und als Pfand dienen, damit der Fonds zusätzliche Kredite vergeben kann. Bislang lehnt die Bundesregierung diese Forderungen ab. Auch die Goldreserven bleiben für den EFSF tabu.

Bundesbank im Griff der EZB

Wie viel Zugriff aber die EZB bereits auf die Bundesbank hat, zeigt die Position der sogenannten Target-Kredite in der Bilanz der deutschen Notenbank. Dabei handelt es sich um Geld der Bundesbank, das sie den GIPS-Ländern (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien) über die EZB zur Verfügung stellt, damit diese ihren Importüberhang finanzieren können. Diesen Kredit bekommen die Länder zu deutlich niedrigeren Zinsen als über den Geldmarkt. Er deckt noch nicht einmal die Inflationsrate. Das war auch der Grund, warum Irland sich gesträubt hat, unter den Rettungsschirm zu schlüpfen. Jetzt bedient sich vor allem Italien. Insgesamt standen Ende September Target-Kredite an die 450 Milliarden Euro in der Bundesbank-Bilanz zu Buche. Die Notenbank hält entsprechende Forderungen gegen die EZB und die wiederum gegen das jeweilige Land. Wie das Ifo-Institut erklärt, „sind die Target-Kredite nicht Teil der Kreditvergabe über die Staatspapier-Verkäufe der EZB. Sie treten vielmehr zu diesen Krediten sowie auch zu den Rettungsfonds hinzu. Es ist rechtlich unklar, welcher Teil der von der Bundesbank vergebenen Kredite eingefordert werden kann, sollten einzelne Länder aus dem Euro-System ausscheiden.“

Was bedeutet das alles für die Deutschen? Wie viel ist bisher tatsächlich gezahlt worden? Nach Griechenland ist bisher noch kein Euro aus dem Bundeshaushalt geflossen. Allerdings hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau als deutsche Staatsbank bisher 13,5 Milliarden Euro überwiesen. Bis 2013 sollen es nach Plan 22,3 Milliarden sein. Der Bund bürgt für Verluste. Werden Griechenland bei einem Schuldenschnitt 50 Prozent erlassen sind das 11,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen die 211 Milliarden Garantien aus dem ESFS. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Bund den Banken wieder den Rücken stärken muss. Konkrete Zahlen, wie hoch die Ausfälle sein können, gibt es nicht. Alles hängt davon ab, ob die Schuldnerländer ihre Finanzen in den Griff bekommen, Kredite nicht benötigen und ihre aufgelaufenen Schulden zurückzahlen können. Verlieren immer mehr Euro-Länder an Kreditwürdigkeit, führt das automatisch auch zu einer Schwächung der deutschen Bonität, da sich immer mehr Forderungen an Berlin richten werden.

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass der neue EZB-Präsident, der Italiener Mario Draghi, die strikte Verfolgung der Geldwertstabilität aufgibt. Denn trotz steigender Inflation hat er den Leitzins gesenkt und kauft weiterhin Anleihen schwacher Länder auf. Wie in den USA könnte die Geldschwemme bei niedrigen Zinsen die Inflation anheizen und so helfen, die Schulden der Mitgliedsländer abzubauen. Denn eine rasche Reduzierung der Schulden ist das einzige Mittel, die Krise in den Griff zu bekommen.

Auch Deutschland muss trotz Triple-A-Bonität seine Schulden bekämpfen. Das kann mit Sparen geschehen, indem der Finanzminister Subventionen streicht und die Steuern erhöht. Bereits im letzten Jahr warf DIW-Präsident Klaus Zimmermann die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 25 Prozent als Gesamtlösung für die Haushaltsdefizite von Bund und Ländern in die Diskussion. Die Länder bedienen sich nach und nach bei der Grunderwerbsteuer. Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg haben sie schon auf fünf Prozent erhöht. Andere ziehen nach. Man will an das Geld der Besserverdienenden. Auch eine sogenannte Reichensteuer erhitzt immer mal die Gemüter.

Unpopuläre Gegenstrategien

Doch die Selbstbedienung des Staates bei seinen Bürgern kann nach hinten losgehen. Werden Unternehmer und Arbeitnehmer zu sehr geknebelt, führt auch das zur Rezession. Produktion und Konsum lassen nach. Nach einer Lösung, die für alle Staaten inklusive den USA gilt, forschten David Rhodes und Daniel Stelter. Die beiden amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler untersuchten für die weltweit operierende Unternehmensberatung Boston Consulting Group BCG Möglichkeiten, die internationale Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Was ihrer Meinung nach nicht funktioniert sind: drastische Sparprogramme und inflationäre Geldvermehrung. Haushaltsüberschüsse, die die Schuldenlast abtragen könnten, sind nicht zu erwarten.

Schon allein der demografische Wandel dürfte ein entsprechendes Wirtschaftswachstum verhindern. Auf Gerechtigkeit zu hoffen, dass diejenigen, die die Krise verursacht haben, auch bezahlen werden, dauert zu lange. Die weltweiten pekuniären Interessen zählen auch in der Politik mehr. Irgendwann verlieren auch Hasardeure und Betrüger ihren Schutz und die längst fällige Finanztransaktionssteuer wird endlich eingeführt.

Doch bis dahin werden die Länder ihren Bürgern in die Taschen greifen, um den Crash zu verhindern. „Back to Mesopotamia“ heißt die bereits angesprochene Studie. Der Grund: Auch im alten Mesopotamien hätte jeder Herrscher mit einem Schuldenerlass begonnen. Zwar geben sie zu, dass diese Maßnahme zu radikal wäre. Doch die Zahlen sprechen für sich. In 25 Jahren hat sich dank kreditfinanzierter Expansion ein Schuldenüberhang allein bei den Eurostaaten in Höhe von 6,1 Billionen Euro aufgebaut.

Rhodes und Stelter unterstellen dabei eine maximale Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Darüber hinaus sei nachhaltiges Wirtschaften nicht möglich, weil die Zinsen die Mittel für Investitionen auffressen. Als Gegenmittel schlagen sie vor:

Inflation

Die EZB und die amerikanische Notenbank schieben immer mehr Geld in die Märkte und heizen die Inflation an. Eine Entschuldung auf diese Weise dauert aber zu lange und außerdem verliert dabei auch die Altersvorsorge der Bürger ihren Wert. Für die Staaten ein gefährlicher Punkt.

Steuererhöhungen

Den Schuldenüberhang nachhaltig zu reduzieren, gelingt nur mit einer drastischen Steuererhöhung. Betroffen sind Finanzanlagen über 100 000 Euro. Die würde je nach Schuldenstand des betroffenen Staates festgesetzt und läge in etwa zwischen 20 und 30 Prozent. Hinzu käme noch eine Abgabe auf Erträge aus Immobilienvermögen. Die Studie zielt auf diese Vermögenssteuer ab. Einsparungen bei den öffentlichen Haushalten stehen kaum zur Debatte.

Die beiden Autoren sind sich bewusst, dass ihre Vorschläge kaum Chancen auf Umsetzung haben, jedenfalls nicht zurzeit. Ihrer Meinung nach schätzen Politiker und Banker die Krise noch zu schwach ein und setzen deshalb auf bequeme Lösungen. Doch je länger sie warten, desto wahrscheinlicher werde das beschriebene Szenario. Ihre realistische Erwartung: „Leider müssen die Umstände sich erst einmal ähnlich entwickeln wie in den 30er-Jahren, bis es zu den beschriebenen Maßnahmen kommt. In Mesopotamien war es ganz bestimmt einfacher.“

Marlene EndruweitWirtschafts-Fachjournalistinm.endruweit@netcologne.de

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