Plattenepithelkarzinom der Kieferhöhle
Ein 79-jähriger Mann stellte sich aufgrund einer seit geraumer Zeit bestehenden Hypästhesie im Bereich der linken Wange bei seinem Hausarzt vor. Dieser überwies den Patienten in die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
Bei der klinischen Inspektion von extraintraoral konnten keine pathologischen Befunde erhoben werden (Abbildung 1).
Die angegebene Hypästhesie im Bereich des N. infraorbitalis links wurde durch eine verminderte Spitz-Stumpf-Diskrimination und eine verschlechterte Zwei-Punkt-Diskrimination verifiziert. Das veranlasste Orthopantomogramm zeigte keine Auffälligkeiten (Abbildung 2a). In der Nasennebenhöhlen-Aufnahme fielen eine homogene Verschattung der linken Kieferhöhle und eine Konturunterbrechung im Bereich der Crista zygomaticoalveolaris auf (Abbildung 2b).
Zur weiteren bildgebenden Diagnostik erfolgte die Durchführung einer Magnetresonanztomographie von Schädel und Hals. Im Bereich des linken Sinus maxillaris zeigte sich eine inhomogene kontrastmittelaufnehmende Formation mit einer Größe von 4 cm x 3 cm mit Destruktion der medialen und der lateralen knöchernen Kieferhöhlenwände und mit Infiltration von Musculus masseter und Musculus pterygoideus lateralis. Insgesamt entsprach der radiologische Befund in erster Linie einem malignen, destruktiv wachsenden Nasennebenhöhlentumor (Abbildung 3
Spiegelbefundlich zeigte sich keine pathologische Veränderung im Oropharynx, jedoch eine polypöse Raumforderung im Bereich des mittleren Nasengangs links, von der unter Lokalanästhesie eine Probebiopsie entnommen wurde. Das pathologische Gutachten beschrieb eine Infiltration der Nasennebenhöhlenschleimhaut durch ein mittelgradig differenziertes, fokal verhornendes Plattenepithelkarzinom. In der immunhistochemischen Färbung zeigte sich eine charakteristische zytoplasmatische Positivität für den epithelialen Marker CK 5/6 (Abbildung 4).
Im Rahmen des weiteren Tumor-Stagings zeigten sich sonographisch und magnetresonanztomographisch zervikal beidseits keine malignomsuspekten Lymphknoten. In der Positronenemissionscomputertomographie (PET/CT) bestätigte sich der Tumorbefund in der linken Kieferhöhle ohne Auftreten weiterer peripherer Herde. Eine Infiltration der Orbita konnte mit der bisherigen Bildgebung nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Die anschließende Dünnschicht-Computertomographie der Nasennebenhöhlen bestätigte die bereits beschriebene osteodestruktiv und infiltrierend wachsende 3,2 cm x 3,3 cm x 3,6 cm große Raumforderung in der linken Kieferhöhle und zeigte zudem eine Infiltration der Orbita links mit Kontakt zum Musculus rectus inferior. Ferner stellte sich eine Osteodestruktion der Schädelbasis sowie des Processus pterygoideus neben der bekannten Destruktion der medialen und der lateralen Kieferhöhlenwände links dar (Abbildung 5).
In Anbetracht des Alters des Patienten, des sehr fortgeschrittenen Tumorstadiums, der Infiltration der Orbita und unter Berücksichtigung des Patientenwunsches wurde von einem operativen Vorgehen abgesehen und eine primäre Radiatio durchgeführt.
Diskussion
Maligne Tumoren im Bereich der inneren Nase und der Nasennebenhöhlen (sinonasale Tumoren) sind im Vergleich zu den anderen malignen Tumoren des Kopf-Hals-Bereichs eher selten (Anteil etwa drei bis fünf Prozent) [Barnes et al., 2005; Gellrich et al., 2004]. In der Gruppe der sinonasalen Karzinome sind Plattenepithelkarzinome mit rund 80 Prozent am häufigsten vertreten, wobei sich diese in zwei Drittel der Fälle in der Kieferhöhle manifestieren [Naumann et al., 1992; Zenner, 2008; Reiß, 2009].
Es besteht eine männliche Prävalenz mit 2:1 bei einem Morbiditätsgipfel im siebten Lebensjahrzehnt [Naumann et al., 1992]. Als ätiologische Faktoren werden die chronische Sinusitis, Genussmittelgifte (Tabak, Alkohol, Rauschgift) und gewerblich inhalative Noxen diskutiert [Brinton et al., 1984; Shimizu et al., 1989; Hayes et al., 1987; Becker et al., 1988; Gellrich et al., 2004; Reichert und Wagner, 2007]. Aufgrund der Ausbreitungsmöglichkeiten in die umgebenden Hohlräume sind Neoplasien der Nasennebenhöhlen – wie im vorliegenden Fall – oft lange Zeit klinisch asymptomatisch. Etwa 80 Prozent der Malignome in Nasenund Nasennebenhöhlen werden erst in weit fortgeschrittenem Stadium entdeckt. [Wustrow et al., 1989; Naumann et al., 1992; Ehrenfeld et al., 2002; Rhee et al., 2006]. Erste Symptome können eine einseitige Nasenatmungsbehinderung, dumpfe Schmerzen, unklare Zahnschmerzen, eine chronische Sinusitis, blutige/fötide/eitrige Nasensekretion, äußere und innere Konturveränderungen, Fötor und Sensibilitätsstörungen im Bereich des N. infraorbitalis – wie im beschriebenen Fall – sein [Reichert und Wagner, 2007; Zenner, 2008].
Zur Diagnostik und Beurteilung von Malignomen der Kieferhöhle können verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen. Als nicht geeignetes bildgebendes Verfahren ist das Orthopantomogramm zu werten. Auch die konventionelle Nasennebenhöhlenaufnahme hat nur eine sehr begrenzte Aussagekraft hinsichtlich der Diagnostik von potenziell malignen Prozessen im Nasennebenhöhlenbereich. Für die Darstellung der genauen Lokalisation und der Ausdehnung des Primärtumors ist die Computertomographie und/oder Magnetresonanztomographie unverzichtbar und sollte daher frühzeitig zum Einsatz kommen [Gellrich et al., 2004; Naumann et al., 1992; Reiß, 2009]. Die definitive Diagnose und Abgrenzung zu anderen Malignomen erfolgt durch die histologische Untersuchung einer Biopsie. Wichtiger Teil der prätherapeutischen Staging-Untersuchung ist die Bildgebung der regionären Metastasierungswege und der Ausschluss von Fernmetastasen [Gellrich et al., 2004]. Im vorliegenden Fall waren weder die zervikalen Lymphknoten befallen, noch konnten Fernmetastasen dargestellt werden. Insgesamt ist mit einer zervikalen Lymphknotenmetastasierung in fünf bis zehn Prozent der Fälle und mit Fernmetastasen in unter fünf Prozent der Fälle zu rechnen [Naumann et al., 1992].
Differentialdiagnostische Überlegungen betreffen im Wesentlichen chronische Sinusitiden, das Rhinosklerom und Blastomykosen. Aufgrund der Schwächung beziehungsweise Zerstörung von angrenzenden Knochenstrukturen können auch Schleimhautzysten, -zelen und -polypen und Traumafolgen zunächst mit Tumoren der Nasennebenhöhlen verwechselt werden. Andere Tumoren der Nasennebenhöhlen sind im Wesentlichen Papillome, Sarkome, maligne Lymphome, adenoid-zystische Karzinome, und Adenokarzinome [Naumann et al., 1992; Barnes et al., 2005; Reichert und Wagner, 2007].
Die chirurgische Resektion mit dem primären Ziel der vollständigen Entfernung des Tumors ist bei Plattenepithelkarzinomen der Nasennebenhöhlen die Therapie der Wahl. Eine adjuvante Strahlentherapie erfolgt bei Tumoren, bei denen bereits eine Arrosion und Destruktion des Knochens vorliegt, bei non in sano resezierten Tumoren und bei allen Tumoren mit positivem Nodalstatus [Gellrich et al., 2004; Zenner, 2008; Reiß, 2009]. Ist der Tumor zum Beispiel bei ausgedehnter Infiltration der Orbita oder des Neurokraniums primär inoperabel oder lassen das Alter oder die Allgemeinsituation des Patienten eine Operation im erforderlichen Ausmaß – wie im vorliegenden Fall – nicht zu, müssen Therapiealternativen in Betracht gezogen werden. Bei inoperablen Tumoren verbleibt die Möglichkeit der primären Strahlentherapie mit/ohne adjuvante/ r Chemotherapie [Zenner, 2008].
Das lange klinisch beschwerdefreie Intervall und die atypische Symptomatik, die ein ausgedehntes Tumorwachstum zulassen, führen zu einer hohen Letalität und zu einer ungünstigen Prognose bei Plattenepithelkarzinomen der Kieferhöhle [Naumann et al., 1992; Rhee et al., 2006; Reichert und Wagner, 2007]. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Malignomen der Nasennebenhöhle liegt zwischen 30 und 60 Prozent. Zu Lokalrezidiven kommt es bei etwa 30 Prozent der Patienten, meist in den ersten zwei Jahren nach der primären Therapie [Naumann et al., 1992; Reiß, 2009].
Dr. Waltraud WaissPD Dr. Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- undGesichtschirurgie, Universität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 Regensburgwaltraud.waiss@klinik.uni-regensburg.de
Dr. Petra RümmeleInstitut für PathologieUniversität Regensburg