Karlsruher Konferenz 2011

Jung und Alt bestens versorgt

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Kinder und Senioren als Patienten in der Zahnarztpraxis – das war das große Thema der Karlsruher Konferenz 2011. Aber auch die hohe Politik kam nicht zu kurz: Den „Mund auf“-Vortrag hielt Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler – vor 1 400 Gästen.

„Kinderzahnheilkunde ist ein Querschnittsfach, weil es alle präventiven, diagnostischen und therapeutischen Aspekte der Zahnheilkunde beinhaltet“, betonte Prof. Dr. Christian Hirsch, Universität Leipzig. Über seine originären zahnmedizinischen Fertigkeiten hinaus müsse der Zahnarzt sehr kommunikationsstark sein, um junge Patienten mitzunehmen. Im Unterschied zu anderen Ländern, in denen ein Zahnarzt im Fach Kinderzahnheilkunde systematisch ausgebildet werde, versuche man in Deutschland, die im Studium erlernten Konzepte für Erwachsene eins zu eins auf Kinder zu übertragen – in der Regel ohne Erfolg, wie Hirsch ausführte.

Im Gegenteil: „Die Qualität und die Quantität der zahnärztlichen Versorgung für Kinder sind hierzulande unzureichend.“ Hirsch: „Nur etwa an 50 Prozent der Universitäten gibt es hierzulande extra Curricula zur Kinderzahnheilkunde. Das bedeutet: Der Hälfte der Zahnmedizinstudenten wird kein Wissen speziell zur Kinderzahnheilkunde vermittelt!“ Was aber ist wichtig für den Therapieerfolg? Ganz oben steht die innere Gelassenheit, verdeutlichte Hirsch: „Wer Sicherheit ausstrahlt und eine positive Atmosphäre schafft, stärkt das Selbstwertgefühl des kleinen Patienten.“

Immer mit der Ruhe

Ist dem Behandler dagegen selber mulmig, übertrage sich diese Angst auch auf das Kind. Und das Ziel, dem jungen Patienten die Angst zu nehmen und ihn schmerzfrei zu behandeln, werde konterkariert. Entscheidend sei:

• mit dem Kind zu kommunizieren,• sorgfältig zu diagnostizieren,• früh nach approximaler Karies zu suchen• und eine realistische Behandlungsplanung aufzustellen, die sich an der Wertigkeit der Zähne für die Gebissentwicklung orientiert. Vermieden werden sollten dagegen:• Behandlungen ohne vorhergehende Diagnostik und Planung wie auch Füllungen in schmerzfreien Milchzähnen mit Pulpabeteiligung,• trepanierte und offengelassene Zähne (Sie stellen Hirsch zufolge auch in der Kinderbehandlung keine Dauerlösung dar)• und direkte Überkappungen, schrittweise Kariestherapien und Inzisionen an Milchzähnen – sie seien einfach keine Therapie der Wahl im Milchgebiss.

Welche Rolle Karies in unserer Gesellschaft spielt und welche Präventions- und Behandlungsstrategien im Hinblick auf das Alter der Patienten aktuell sind, erläuterte Prof. Dr. Stefan Zimmer, Universität Witten/Herdecke. Zimmer: „Karies ist nicht nur ein Problem der Kinder.“ Sekundärläsionen und Kariesrezidive nehme man bei älteren Menschen nur nicht als so gravierend wahr wie die aktiven Läsionen des Wechselgebisses. Zimmer: „Ausschlaggebend ist beim Älteren nicht nur, welche Prophylaxe er aktuell betreibt, sondern welche er in den Jahrzehnten zuvor betrieben hat.“ Eine spezielle Präventionsstrategie sei zudem erforderlich, etwa mit individualisierten Zahnbürstengriffen. Zimmers Einschätzung nach „werden Mundspüllösungen enorm an Bedeutung gewinnen“ und seien „das einzig wirksame Instrument zur Parodontitisprophylaxe“. Er empfiehlt älteren Menschen Mundspüllösungen mit einem Fluoridgehalt von mindestens 200-500 ppm für die Kariesprophylaxe und mit antimikrobiellen Zusätzen zur Vorbeugung von Parodontitis.

Während Karies im Milchgebiss noch mit Kompomeren oder mit Glasionomerzementen versorgt werden könne, stehe im bleibenden Gebiss eine möglichst langlebige Restauration im Vordergrund. Der Behandler sollte minimalinvasiv – ohne Kronen oder Veneers – therapieren, etwa mit Composite oder der Kariesinfiltration. Beim älteren Menschen spielen Zimmer zufolge auch die Belastbarkeit des Patienten und die Art der Karies eine große Rolle – Stichwort Wurzelkaries. Die Zukunft sieht er in der Verlaufsdiagnostik: „Das oberste Ziel muss die Remineralisation möglichst kleiner Defekte sein.“ Wie man in drei Schritten zur Musterpraxis für Senioren gelangt, erklärte Dr. Elmar Ludwig aus Ulm. Erste Voraussetzung: die Barrierefreiheit der Zahnarztpraxis. Dazu zählten beispielsweise ein rollstuhlgerechter Zugang, ein Behinderten-WC und eine mobile Behandlungseinheit für Hausbesuche. Im zweiten Schritt sollten sich Behandler und Team fortbilden, um sich mit den altersspezifischen Erkrankungen, dem Umgang mit den Patienten und den juristischen Aspekten vertraut zu machen. Schließlich müsse ein Gesamtkonzept für die Praxis entwickelt werden, das die Versorgung dieser pflegebedürftigen Personen auch unter kassenzahnärztlichen Bedingungen erlaubt.

Junges versus altes Gebiss

„Die erkrankte Pulpa – Behandlung beim Kind, Behandlung beim alten Patienten“ thematisierte Prof. Dr. Michael Hülsmann, Göttingen. Er führte aus, dass nur das Milchgebiss eine partielle Vitalerhaltung emögliche, wobei die vollständige Wurzelkanalbehandlung dann aber gravierend eingeschränkt sei. Im alten Gebiss sollte man sich zumeist gegen eine Vitalerhaltung der kompromittierten Pulpa zugunsten einer Vitalexstirpation entscheiden, weil Verfahren wie die direkte oder indirekte Überkappung laut Hülsmann hier an ihre biologisch bedingten Grenzen stoßen. Ist eine Wurzelkanalbehandlung indiziert, ergäben sich beim alten Patienten zunächst eine Reihe „technischer Probleme“, wie eine möglicherweise begrenzte Mundöffnung und eine eingeschränkte Belastbarkeit. Kalzifikationen der Pulpakammer, Schwierigkeiten bei der Lokalisation der Wurzelkanaleingänge, Obliterationen der Wurzelkanäle und Probleme der vollständigen Erschließung könnten die Wurzelkanalbehandlung zu einer Herausforderung machen.

Beim Milchzahn setze die natürliche Resorption der Wurzelkanalbehandlung Limits in Bezug auf Längenbestimmung, Präparation, Desinfektion und Obturation. Der jugendliche Zahn mit dünnen Wurzelwänden und eventuell nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum verlange eine ganz anders geartete Abstimmung der Behandlungstechnik und unter Umständen die Wahl alternativer Füllmaterialien und -techniken. Neue Verfahren der Pulparegeneration zielten hier auf eine Revaskularisierung von Zähnen mit nekrotischer Pulpa.

Mund auf, hieß es am nächsten Tag für Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler. „Es gibt zwar kein strittigeres Feld als die Gesundheitspolitik, aber zumindest in Bezug auf die Versorgung darf es keinen Streit geben, weil wir in einem Land mit höchster Versorgungsqualität leben“, stellte er gleich zu Anfang seiner Rede klar. Rösler: „Gesundheit wird nicht billiger. Trotzdem ist es wichtig, dass man Gesundheit nicht nur als Kostenfaktor begreift.“ 170 Milliarden Euro habe die GKV 2010 umgesetzt, 260 Milliarden Euro hätten die Deutschen in dem Zeitraum für ihre Gesundheit ausgeben. „Der Markt boomt, aber dennoch sind die im Gesundheitswesen Beschäftigten nicht zufrieden, weil sie das Gefühl haben, in einem System unfairer Konkurrenz zu leben“, erläuterte er. Ausschlaggebend sei nicht die gute Leistung, sondern belohnt werde der, der das System kennt und es für seine Zwecke optimiert. Gesetzliche Vorgaben und Computermasken bestimmten die Arbeit. „Das Gesundheitswesen gleicht mit seinem hohen Maß an Ineffizienz, Unzufriedenheit und Bürokratie eher der Plan- denn der Marktwirtschaft. Das heißt, insgesamt bringen die Menschen nicht wegen, sondern trotz des Systems gute Leistungen“, kritisierte er. „Deshalb ist es nur logisch, dass wir dieses System überwinden und stattdessen die soziale Marktwirtschaft leben müssen, wenn wir Effizienz und Fairness herstellen wollen.“ Laut Rösler geht es allerdings nicht allein darum, Verordnungen abzuschaffen. Entscheidend für den Erfolg sei, die Geisteshaltung und die Mentalität zu verändern. Beispiel Qualitätssicherung: „Besser als Dokumentationsbögen sind mündige Patienten.“ Oder in der Prävention: „Den insgesamt zwei Millionen Präventionskursen zum Trotz werden die präventionsfernen Schichten nicht erreicht. Das BMG hat deshalb den Plan, niedergelassene Ärzte und Apotheker miteinzubeziehen bei der Frage, wie man die Vorsorge besser aufsetzt.“

Flatrate für Reiche

Weil man sich nicht aussuchen kann, ob man krank wird oder nicht, dürfe die Gesundheit nicht mit einem Preisschild versehen werden. Rösler. „Gesunde helfen Kranken – dieser Kerngedanke der Solidarität darf niemals in Frage gestellt werden.“ Das Hauptproblem der GKV sei jedoch, dass dort auch der Ausgleich zwischen Arm und Reich stattfinde. „In jeder Gesellschaft muss es diesen Ausgleich geben, aber er gehört nicht in die GKV, sondern ins Steuersystem“, so Rösler. „Da in der GKV zudem nur die Lohneinkommen berücksichtigt werden, kommt der Beitrag von 15,5 Prozent für viele einer Flatrate gleich. Besserverdiener sind zumeist in der PKV versichert und beteiligen sich somit nicht mehr am Ausgleich. Und das ist ungerecht. Ein Teil hat sich damit nämlich aus der Solidarität verabschiedet.“ Sein Hauptziel: Ein Transfer des Sozialausgleichs in das – mehrsätzige – Steuersystem. Auf dem Weg dahin habe die Regierung bereits strukturelle Maßnahmen ergriffen, etwa den GKV-Beitrag festgeschrieben, einkommensunabhängige Zusatzbeiträge eingeführt sowie das Arzneimittelsparpaket durchgesetzt. Rösler: „Das ist kein optimales Modell, aber es kommt dem schon sehr nahe. Jetzt können Krankenkassen selbst bestimmen, wie sie auf der Preisseite agieren.“ Die Krux sei, dass man nicht bei Null anfange, sondern die Altlasten, wie das GKVDefizit von elf Milliarden Euro übernehme, „und es anfangs nur darum ging, die GKV am Leben zu halten.“

Die Frage des KZBV-Vorsitzenden Dr. Jürgen Fedderwitz, ob sich auch der Zahnarzt vom BMG mitgenommen fühlen könne, bejahte Rösler: „Uns ist wichtig, die Freiberuflichkeit zu stärken. Und Freiberuflichkeit fängt für mich schon bei der Frage an, wer mit wem verhandelt. Fairer Wettbewerb heißt auch, über Preise verhandeln zu können. Öffnungsklauseln in der Gebührenregelung sind allerdings nicht das richtige Werkzeug.“ Die PKV und die Länder hätten zwar auf die Öffnungsklausel gedrängt, um von der Gebührenordnung abweichen zu können. Umgekehrt hätten sich die Ärzte und Zahnärzte aber vehement gegen die Klausel gewehrt, weil direkte Verhandlungen zwischen dem einzelnen Zahnarzt und den großen Kassen keine Auseinandersetzungen auf Augenhöhe darstellten. Rösler: „Genau aus diesem Grund habe ich mich gegen die Öffnungsklausel entschieden.“ Dafür sei der Honoraranstieg einstellig ausgefallen statt wie gefordert zweistellig. Rösler. „Fakt war, dass beides nicht zu haben war. Eine andere Aussage wäre unehrlich und unrealistisch.“

Berufung statt Beruf

„Arzt ist man nicht zehn oder zwölf Stunden am Tag, sondern sein ganzes Leben lang. Mediziner werde man immer noch aus Berufung“, hielt BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel in seinem Schlusswort fest. „Das gesellschaftliche Engagement der Zahnärzte geht weit über das Berufliche hinaus. Wir sind unserem Berufsethos verpflichtet und für unsere Patienten da.“ Er legte dar, dass zurzeit auch in Japan Zahnärzte unter unglaublich schweren psychischen und physischen Belastungen Hilfe leisten.

Engel: „Das ist praktizierte Zivilcourage und tiefes Interesse am Gemeinwohl. Damit aber Zahnärzte ihr Berufsethos auch leben können, darf das Recht auf gute medizinische Versorgung nicht an rein ökonomischen Rastern scheitern!“

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