Bayerische Hausärzte

Kein Rückhalt für Hoppenthaller

Der Mediziner-Aufstand in Bayern ist abgesagt – und kostete den Vorsitzenden des süddeutschen Hausärzteverbandes obendrein seinen Posten. Weil Bayerns Hausärzte sich in einer Abstimmung mehrheitlich gegen den vom Verbandsoberen propagierten Ausstieg aus dem System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entschieden, entschloss sich der Anführer der Protestler, Dr. Wolfgang Hoppenthaller, zum Rücktritt.

Noch kurz vor Weihnachten probten Bayerns Hausärzte einen Aufsehen erregenden Aufstand, der auch von „Bild“ und „Tagesschau“ aufmerksam beäugt wurde: Um nicht weniger als die Rückgabe der Kassenzulassungen ging es, als Bayerns Hausärzte in einer Vollversammlung am 22. Dezember 2010 de facto über den Ausstieg aus dem GKV-System abzustimmen hatten. Und nicht wenige gesundheitspolitisch Verantwortliche befürchteten einen Dominoeffekt, dass der Regionalkonflikt ausufern und bundesweit andere Medizinergruppen von dem Gedanken infiziert werden könnten, aufgrund von Frust und Enttäuschung aus dem GKV-System auszusteigen.

Doch die als gesundheitspolitische Abrechnung inszenierte Abstimmung entwickelte sich für Hoppenthaller zum persönlichen Debakel: Lediglich 38 Prozent der rund 7 000 im Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) organisierten Ärzte waren bereit, den Zielen ihres Vorsitzenden zu folgen. Zu wenige, wie sich herausstellte, denn 60 Prozent hätten bekunden müssen, die Zulassung zurückzugeben. Insgesamt praktizieren in Bayern etwa 9 000 Mediziner als Hausärzte.

Dabei wurden sie Tage und Wochen zuvor von Hoppenthaller und seiner Gefolgschaft wie etwa dem Vorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, scharf angefeuert, dem „korrupten System“ den Rücken zu kehren und „aus der Gefangenschaft des Kassensystems“ auszusteigen. Hintergrund des Zorns und des Protests waren Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), die Hausarztverträge in Frage zu stellen, was die Mediziner zukünftige Einkommenseinbußen befürchten ließ. Konkret: Bundesgesundheitsminister Rösler beschränkte die Laufzeit von gesonderten Verträgen (Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung – HzV), die die Kassen mit den Hausärzten seit 2009 abzuschließen haben und die den Medizinern Einkommensverbesserungen bescheren, bis 2011 – ursprünglich waren sie bis 2014 angedacht gewesen. Gängige Praxis war bislang, dass ein Arzt für jeden Versicherten, der sich in einen solchen Vertrag einschreibt, eine erhöhte Regelvergütung erhält – unabhängig, ob durch den Vertrag Kosten gespart werden. Ab Januar 2011 jedoch müssen die Einsparungen nachgewiesen werden, bevor die Regelvergütung erhöht wird. Aus Sicht der Hausärzte wäre damit die Planungssicherheit für die Mediziner gefährdet, gleichzeitig käme dies einer Absenkung der Regelversorgung gleich. Mit der Ausstiegsdrohung wollte Hoppenthaller Krankenkassen und Politik dazu zwingen, die Pläne zu überdenken und damit bessere Honorare zu ermöglichen.

Politik und Krankenkassen gegen Ausstieg

Doch weder die einen noch die anderen spielten mit. Kassenseits kündigte als erste die AOK den Hausarztvertrag mit dem BHÄV, die Ersatzkassen folgten auf dem Fuße. Begründung: „Verletzung grundlegender Vertragspflichten“, so die Pressemitteilung des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) Bayern. Auch war die Front der Widersacher breit angelegt. So warnte etwa das BMG, ein Ausstieg bedeute für die Ärzte, dass sie sechs Jahre in Folge nicht mehr als Kassenarzt arbeiten und damit Behandlungen von gesetzlich Versicherten nicht mehr mit den Kassen abrechnen können. Und auch Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) legte sich ins Zeug. „Wer aussteigt, ist draußen. Und wer draußen ist, bleibt draußen“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen.“ Während die bayerische Landesregierung Anzeigen in Zeitungen schaltete, die vom Ausstieg abhalten sollten, schrieb Söder in mehreren Interviews den Verantwortlichen ins Stammbuch, dass sie fair miteinander verhandeln und keine taktischen Spielchen auf dem Rücken der Patienten betreiben sollten. Verbandsinteressen dürften den ethischen Aspekt der Versorgung nicht dominieren.

Unterstützung erhielt Söder in seiner rechtlichen Einschätzung vom Präsidenten des Bundesversicherungsamtes, Maximilian Gaßner: „Die Organisation eines Kollektivausstiegs ist nicht nur rechtswidrig, sie ist ein handfester grober Bruch des Hausarztvertrags, den die bayerischen Hausärzte geschlossen haben.“

Der örtliche DGB sah indes ein „unverantwortliches Spiel mit dem Feuer“ des BHÄV. Der Versuch „bestimmter Ärzte und Ärztefunktionäre“, Patienten im Kampf für Interessen „als politische Geiseln zu nehmen“, sei verwerflich, kritisierte der DGB-Regionsvorsitzende Werner Gloning.

Alle politischen Ämter niedergelegt

Offensichtlich pokerte Hoppenthaller mit hohem Einsatz, am Schluss blieb dem Allgemeinmediziner nur noch der Rücktritt: „Um künftigen Verhandlungen mit der Bayerischen Staatsregierung und mit den Krankenkassen nicht im Wege zu stehen, habe ich mich dazu entschlossen, alle politischen Ämter niederzulegen“, erklärte er einen Tag vor Weihnachten. Woraufhin der Ärztenachrichtendienst vermeldete, dass sich Vertreter der schwarz-gelben Koalition und der Gesetzlichen Krankenversicherung erleichtert über das Scheitern des bayerischen Hausärzte- Aufstands geäußert hätten. So forderte Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU), die Ärzte auf, jetzt den Boden für neue Verhandlungen zu bereiten. „Die bayerischen Hausärzte sollten das klare Ziel verfolgen, sich bald mit den Krankenkassen zusammenzusetzen und einen neuen Hausarztvertrag auszuhandeln, der im beiderseitigem Interesse ist”, sagte Singhammer. Auch die FDP-Gesundheitspolitikerin Ulrike Flach appellierte an den Hausärzteverband, die Entscheidung als Chance für einen Neuanfang zu sehen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung sieht in der Entscheidung der Ärzte eine realistische Einschätzung der individuellen Wirtschaftssituation.

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