Mehr als nur Papierkram
Um dem Fall vorzubeugen, fremdbestimmt zu leiden, wenn man nicht mehr in der Lage ist, den eigenen Willen zu bekunden, gibt es Patientenverfügungen. Ihre gesetzliche Grundlage findet sich seit September 2009 im Bürgerlichen Gesetzbuch. Das ärztliche Berufsrecht trägt den Regelungen durch neue „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ vom 21. Januar 2011 Rechnung.
Demnach muss der Unterzeichner einer Patientenverfügung volljährig und einwilligungsfähig sein. „Auch müssen Patientenverfügungen schriftlich formuliert sein und die noch nicht eingetretenen medizinischen Situationen und ihre gewünschten Konsequenzen hinreichend konkret bezeichnen“, machte der Fachanwalt für Medizinrecht, Prof. Dr. Martin Spaetgens, auf einem Fachsymposium der Rechtsanwaltskammer Koblenz und der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz in Mainz deutlich.
Zulässig sei zum Beispiel die Formulierung: „Sollte es im Falle eines Schlaganfalls zu irreversiblen Einschränkungen meiner Hirnfunktion kommen, lehne ich eine künstliche Ernährung mit einer PEG-Sonde ab.“ Nicht ausreichend sei dagegen der Satz: „Wenn ich einmal sehr krank und nicht mehr in der Lage bin, ein für mich erträgliches Leben zu führen, möchte ich würdevoll sterben dürfen.“
Konkret muss sie sein
Trotz der gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung seien jedoch nicht alle Fragen hinreichend geklärt, so Spaetgens. So ist eine Patientenverfügung nur dann anzuwenden, wenn der Patient nicht mehr entscheidungsoder einwilligungsfähig ist. „Vor allem in Fällen fortscheitender Demenz ist es aber oft schwer, dies eindeutig einzuschätzen“, sagt der Medizinrechtler. Gleiches gelte zum Beispiel für den Fall des Widerrufs einer Patientenverfügung durch einen dementen Patienten.
Nach dem Gesetz dürfe der Arzt eine Verfügung auch nicht direkt umsetzen, sondern müsse sich zur Vollstreckung des Patientenwillens zunächst an einen Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten wenden. „Diesen Ansatz halte ich für falsch, da dies im Zweifelsfall zu einem Zeitverlust zulasten des Patienten führt“, kritisiert Spaetgens. Seiner Ansicht nach sollten Ärzte daher eine Patientenverfügung direkt umsetzen, wenn der erklärte Wille eins zu eins auf eine Behandlungssituation übertragbar ist. Gleichwohl sei es sinnvoll, eine Patientenverfügung in Kombination mit einer Vorsorgevollmacht und einer Betreuungsverfügung abzufassen.
Die Regelungen zu den Patientenverfügungen weisen auch aus Sicht von Rechtsanwalt Dr. Andreas Ammer, Justitiar der vertragsärztlichen Vereinigung Trier und des Medi- Verbunds Trier, noch einige Lücken auf. „Auf die Ärzteschaft wurde hier etwas abgewälzt, was kaum zu bewältigen ist“, moniert Ammer. Der Arzt stünde nunmehr ständig im Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Verpflichtung zum Schutz des Lebens. „Aktives Tun und passives Unterlassen mischen sich in der Praxis und es hängt von Zufällen ab, wie die Behandlung abgebrochen wird“, betont Ammer.
Praktikabel für Ärzte muss sie sein
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Juni 2011 habe Ärzten den Umgang mit sterbenden Patienten zudem nicht leichter gemacht. „Nach dem BGH-Urteil rechtfertigt die Einwilligung eines Patienten mittels Patientenverfügung nicht nur ein Unterlassen, sondern auch den aktiven Therapieabbruch“, erklärt der Anwalt. Dieser bleibt folglich straffrei.
Umgekehrt drohten dem Arzt bei Nichtbeachtung einer rechtsverbindlichen Patientenverfügung beziehungsweise des (mutmaßlichen) Willens des Patienten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung, eine Deliktshaftung wegen unerlaubter Handlung, Schadenersatzoder Schmerzensgeldforderungen als auch eine Rückforderung des ärztlichen Honorars durch die Kassenärztliche Vereinigung oder die Private Krankenversicherung wegen aufgedrängter Behandlungsmaßnahmen.
Ethisch begründet muss sie sein
Dr. Peter Wöhrlin, Neurologe aus Mainz, wies auf dem Fachsymposium jenseits aller juristischen Fragen auch auf die ethische Seite einer Patientenverfügung hin. „Die situative Ethik des Sterbens wird gesellschaftlich kaum diskutiert, spielt für die Betroffenen aber eine herausragende Rolle, gleich ob sie Sterbender oder Angehöriger sind“, meint Wöhrlin. Eine rein wortgetreue Auslegung einer Patientenverfügung sieht der niedergelassene Neurologe daher kritisch. Ärzte dürften den jeweiligen Patienten nicht nur funktional betrachten, sondern sollten Anteil am jeweiligen Zustand des zu Behandelnden nehmen, um eine ethische relevante Entscheidung treffen zu können. Beim Verfassen einer Patientenverfügung sollten daher auch die Erfahrungen des Einzelnen in der Auseinandersetzung mit dem Tod und die Motive für den Sterbewunsch einfließen, so der Neurologe. Die Ärzte seien gefordert, dem Patienten hierbei beratend zur Seite zu stehen.
Petra SpielbergAltmünsterstr. 165207 Wiesbaden